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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Böcklin

sei nun einmal alles in allem wahrer als alles vermeintliche Ab- oder Nach¬
schreiben, Auf Rubens hätte ja auch noch in Bezug auf andres bei Böcklin
hingewiesen werden können, z. B. seine Geringschätzung des Porträtieren-?.
"Die elendeste aller Kunstgattungen, weil der Künstler dabei am meisten ge¬
bunden ist. Na überhaupt das Porträt -- zum Glück hat van Dyck anderswo
Gelegenheit gehabt, zu zeigen, daß er mehr konnte, als Porträtmaler sein."
Bisher war man in Bezug auf van Dyck wohl andrer Meinung, und da das
"anderswo" doch nur noch auf seine religiösen Genrebilder gehn kann, so sagt
der Ausspruch recht viel für den, der ihn gethan hat, für van Dyck aber
natürlich gar nichts. Wer hier weiter denken mag, wird leicht einsehen,
daß Böcklin vieles, was ihn an van Dyck anzog, auch bei Rubens finden
konnte und gefunden hat -- woran Floerke mit Recht erinnert, und nun be¬
giebt sich das Seltsame, daß ein Geschlecht, das Böcklin Hymnen singt, mit
dem lebensfroher Rubens nichts mehr anzufangen weiß. Ist er nicht krank
genng, denn das Gesunde hat ja für die hochgestiegnen Kulturen immer etwas
Plebejisches, oder woher kommt es sonst?

Aber wir möchten zunächst einiges vorwegnehmen, was den Menschen
Böcklin angeht. Neben köstlichen Geschichtchen stehn da ernste und treffende
Betrachtungen vou ihm. Wodurch soll man heute zum Schaffen angeregt werden!
Wir "leben" so wenig; wie wohnen wir und kleiden wir uns? Mensch¬
liche Formen, namentlich von Frauen, sehen wir nur bei Unglücksfällen. Die
Familie haben wir nicht, sie hat uns. Die Kinder? Anfangs vielleicht viel
Frende, aber später Kampf und Sorgen. Wodurch soll mau einmal Heller
sehen, freudiger, leichter sich aussprechen? Da bleibt mir der Wein. "Nur
der ist ein wirklicher Genuß, hilft uus gegen das Leben, trotzdem schaffen, und
er schenkt einem noch manchmal Stunden, wo man den ganzen Kram vergißt
und wunder glaubt, wer und wo man wäre." So denkt der hohe Fünfziger,
der keine neuen Bekanntschaften mehr machen will, weil sie uns nur Gene
auflegen. "Heraus kommt dabei ja doch nie etwas Menschliches." Anderswo
wird er lustig und witzig. Wenn jemand eine weiße Weste an hatte und sich
darin besonders schön fühlte, pflegte er zu sagen: "Wie steht doch bei Cennino
Ceunini? Jedes unvernünftige Tier ist am Bauche weiß." Einstmals aber,
als er in päpstlichen Zeiten außerhalb der Thore Roms mit seiner Frau
spazieren ging, geriet er in eine bedenkliche Gegend, wo er von einer Eng¬
schlucht aus wirkliche Räuber mit schußbereiten Gewehren hinter Büschen lauern
sah. Er erkennt die Gefahr, findet aber den Anblick so interessant, daß er der
einige Schritte zurückgebliebnen Gattin zuflüstert: "Gieb mir die Hand und
komm mal her, so was hast dn noch nie gesehen, aber leise," und dann erst
zieht er sich vorsichtig zurück. In seiner Villa oberhalb Florenz besucht ihn
einmal ein Professor. Er führt ihn in den Garten, sie kommen an ein Loch,
in das er seine Cigarrenstummel zu werfen pflegt: "Das ist meine Tcibak-
Plnntage!" "Ja, so geht das aber nicht, da müssen Sie Samen einlegen,
wenn Sie Tabnkpflanzen haben wollen," belehrt ihn der Gute.


Böcklin

sei nun einmal alles in allem wahrer als alles vermeintliche Ab- oder Nach¬
schreiben, Auf Rubens hätte ja auch noch in Bezug auf andres bei Böcklin
hingewiesen werden können, z. B. seine Geringschätzung des Porträtieren-?.
„Die elendeste aller Kunstgattungen, weil der Künstler dabei am meisten ge¬
bunden ist. Na überhaupt das Porträt — zum Glück hat van Dyck anderswo
Gelegenheit gehabt, zu zeigen, daß er mehr konnte, als Porträtmaler sein."
Bisher war man in Bezug auf van Dyck wohl andrer Meinung, und da das
„anderswo" doch nur noch auf seine religiösen Genrebilder gehn kann, so sagt
der Ausspruch recht viel für den, der ihn gethan hat, für van Dyck aber
natürlich gar nichts. Wer hier weiter denken mag, wird leicht einsehen,
daß Böcklin vieles, was ihn an van Dyck anzog, auch bei Rubens finden
konnte und gefunden hat — woran Floerke mit Recht erinnert, und nun be¬
giebt sich das Seltsame, daß ein Geschlecht, das Böcklin Hymnen singt, mit
dem lebensfroher Rubens nichts mehr anzufangen weiß. Ist er nicht krank
genng, denn das Gesunde hat ja für die hochgestiegnen Kulturen immer etwas
Plebejisches, oder woher kommt es sonst?

Aber wir möchten zunächst einiges vorwegnehmen, was den Menschen
Böcklin angeht. Neben köstlichen Geschichtchen stehn da ernste und treffende
Betrachtungen vou ihm. Wodurch soll man heute zum Schaffen angeregt werden!
Wir „leben" so wenig; wie wohnen wir und kleiden wir uns? Mensch¬
liche Formen, namentlich von Frauen, sehen wir nur bei Unglücksfällen. Die
Familie haben wir nicht, sie hat uns. Die Kinder? Anfangs vielleicht viel
Frende, aber später Kampf und Sorgen. Wodurch soll mau einmal Heller
sehen, freudiger, leichter sich aussprechen? Da bleibt mir der Wein. „Nur
der ist ein wirklicher Genuß, hilft uus gegen das Leben, trotzdem schaffen, und
er schenkt einem noch manchmal Stunden, wo man den ganzen Kram vergißt
und wunder glaubt, wer und wo man wäre." So denkt der hohe Fünfziger,
der keine neuen Bekanntschaften mehr machen will, weil sie uns nur Gene
auflegen. „Heraus kommt dabei ja doch nie etwas Menschliches." Anderswo
wird er lustig und witzig. Wenn jemand eine weiße Weste an hatte und sich
darin besonders schön fühlte, pflegte er zu sagen: „Wie steht doch bei Cennino
Ceunini? Jedes unvernünftige Tier ist am Bauche weiß." Einstmals aber,
als er in päpstlichen Zeiten außerhalb der Thore Roms mit seiner Frau
spazieren ging, geriet er in eine bedenkliche Gegend, wo er von einer Eng¬
schlucht aus wirkliche Räuber mit schußbereiten Gewehren hinter Büschen lauern
sah. Er erkennt die Gefahr, findet aber den Anblick so interessant, daß er der
einige Schritte zurückgebliebnen Gattin zuflüstert: „Gieb mir die Hand und
komm mal her, so was hast dn noch nie gesehen, aber leise," und dann erst
zieht er sich vorsichtig zurück. In seiner Villa oberhalb Florenz besucht ihn
einmal ein Professor. Er führt ihn in den Garten, sie kommen an ein Loch,
in das er seine Cigarrenstummel zu werfen pflegt: „Das ist meine Tcibak-
Plnntage!" „Ja, so geht das aber nicht, da müssen Sie Samen einlegen,
wenn Sie Tabnkpflanzen haben wollen," belehrt ihn der Gute.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/485>, abgerufen am 01.09.2024.