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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Löcklm

werden das nicht sehr höflich ausgedrückt finden, vielleicht mich nicht ganz
vorsichtig, da es ungewiß ist, ob sich die Böcklinverehrung noch steigern
lassen wird.

Zwölf Jahre nach dem Zeitpunkt, wo Schlaks Mitteilungen schließen,
lernte Gustav Floerke, der bis 1879 Professor der Kunstgeschichte an der
Weimarer Akademie gewesen war, Böcklin kennen, er lebte mit ihm an ver-
schiednen Orten zehn Jahre lang (1881 bis 1891) zusammen und machte
darüber Aufzeichnungen, die so, wie sie sich nach seinein Tode in Rostock (1898)
fanden, vou seinem Sohne bei Bruckmann in München nnter dem Titel:
Zehn Jahre mit Böcklin in einem prächtig ausgestatteten Bande mit vielen
Bildertafeln herausgegeben worden sind. Ein merkwürdiges Buch, das dem
auf seiner Höhe stehenden Böcklin gewidmet ist. Floerke hat in seiner Jugend
zwei nach unserm persönlichen Geschmack allerliebste Verstexte geschrieben (zu
des Bildhauers Fritz Schulze originellen Silhouetten aus dem römischen Leben
und zu Schwinds Märchen von den sieben Raben) und dann später noch einige
italienische Novellen und Schilderungen, von denen uns das, was wir kennen
gelernt haben, manieriert und unbedeutend vorgekommen ist. Er war ohne
Frage ein feiner Kopf, ein Künstler des höhern Lebensgenusses, ein Hhper-
ästhetiker, wie man heute sagt, den seine Überkritik wohl an schaffender Arbeit
gehindert hat, wenigstens scheint es begreiflich, daß, wer zehn Jahre lang
einem Künstler beobachtend folgt und es nicht über Anmerkungen hinausbringt,
kein fruchtbarer Schriftsteller hat werden können. Für das Verständnis Böcklins
ist das auch übrigens gedankenreiche Buch jedenfalls wichtig, weil es viele
Züge zu seinem Bilde bringt, die den meisten Lesern neu sein werden, nicht
alle freilich sind vorteilhaft, und manchmal fragt man: Kann Böcklin selbst
das so gemeint haben, oder hätte er es geäußert, wenn er bedacht hätte, daß
es einmal gebucht und für jedermann zur Einsicht offen liegen würde? Das
sind die direkten Äußerungen. Noch mehr Freiheit des Urteils wird man
den Erzählungen und Berichten Floerkes (wie jeder Mitteilung eines dritten)
gegenüber haben dürfen, vollends aber seinen Schlußfolgerungen gegeuüber
nud seinen Auffassungen, wo man außerdem immer mit dem Standpunkt einer
bedingungslose!? Verehrung Böcklins zu rechnen hat: "Böcklin und Schwind
sind unsre einzigen originellen und unerschöpflichen Künstler; Böcklin ist nie-
mands Schüler, aber er hat es vermocht, jeden zu verstehn, der ihm kongenial
war, von allen und aus allem zu lernen, was seiner Fülle assimilierbar er¬
schien." Sehr gütig von ihm, wird man denken, und besonders menschen¬
freundlich auch, daß Schwind da so mitlaufen darf. Eher verstehn wir die
Erinnerung an Rubens, der die Natur packe, wo es gerade sei, und sie dann
hinstelle; auch Böcklin bemächtige sich ihrer mit ähnlich gewaltiger Selbstver¬
ständlichkeit, wenn er auch nicht die hinreißende Kraft von Rubens habe.
Dieser, heißt es an einer andern Stelle, scheine die Natur manchmal zu ver¬
gewaltigen, d. h. die Natur, die die "andern" haben; in Wirklichkeit lasse er
sie nnr seinen Nenschvpfungszwecken dienen, und diese künstlerische Wahrheit


Löcklm

werden das nicht sehr höflich ausgedrückt finden, vielleicht mich nicht ganz
vorsichtig, da es ungewiß ist, ob sich die Böcklinverehrung noch steigern
lassen wird.

Zwölf Jahre nach dem Zeitpunkt, wo Schlaks Mitteilungen schließen,
lernte Gustav Floerke, der bis 1879 Professor der Kunstgeschichte an der
Weimarer Akademie gewesen war, Böcklin kennen, er lebte mit ihm an ver-
schiednen Orten zehn Jahre lang (1881 bis 1891) zusammen und machte
darüber Aufzeichnungen, die so, wie sie sich nach seinein Tode in Rostock (1898)
fanden, vou seinem Sohne bei Bruckmann in München nnter dem Titel:
Zehn Jahre mit Böcklin in einem prächtig ausgestatteten Bande mit vielen
Bildertafeln herausgegeben worden sind. Ein merkwürdiges Buch, das dem
auf seiner Höhe stehenden Böcklin gewidmet ist. Floerke hat in seiner Jugend
zwei nach unserm persönlichen Geschmack allerliebste Verstexte geschrieben (zu
des Bildhauers Fritz Schulze originellen Silhouetten aus dem römischen Leben
und zu Schwinds Märchen von den sieben Raben) und dann später noch einige
italienische Novellen und Schilderungen, von denen uns das, was wir kennen
gelernt haben, manieriert und unbedeutend vorgekommen ist. Er war ohne
Frage ein feiner Kopf, ein Künstler des höhern Lebensgenusses, ein Hhper-
ästhetiker, wie man heute sagt, den seine Überkritik wohl an schaffender Arbeit
gehindert hat, wenigstens scheint es begreiflich, daß, wer zehn Jahre lang
einem Künstler beobachtend folgt und es nicht über Anmerkungen hinausbringt,
kein fruchtbarer Schriftsteller hat werden können. Für das Verständnis Böcklins
ist das auch übrigens gedankenreiche Buch jedenfalls wichtig, weil es viele
Züge zu seinem Bilde bringt, die den meisten Lesern neu sein werden, nicht
alle freilich sind vorteilhaft, und manchmal fragt man: Kann Böcklin selbst
das so gemeint haben, oder hätte er es geäußert, wenn er bedacht hätte, daß
es einmal gebucht und für jedermann zur Einsicht offen liegen würde? Das
sind die direkten Äußerungen. Noch mehr Freiheit des Urteils wird man
den Erzählungen und Berichten Floerkes (wie jeder Mitteilung eines dritten)
gegenüber haben dürfen, vollends aber seinen Schlußfolgerungen gegeuüber
nud seinen Auffassungen, wo man außerdem immer mit dem Standpunkt einer
bedingungslose!? Verehrung Böcklins zu rechnen hat: „Böcklin und Schwind
sind unsre einzigen originellen und unerschöpflichen Künstler; Böcklin ist nie-
mands Schüler, aber er hat es vermocht, jeden zu verstehn, der ihm kongenial
war, von allen und aus allem zu lernen, was seiner Fülle assimilierbar er¬
schien." Sehr gütig von ihm, wird man denken, und besonders menschen¬
freundlich auch, daß Schwind da so mitlaufen darf. Eher verstehn wir die
Erinnerung an Rubens, der die Natur packe, wo es gerade sei, und sie dann
hinstelle; auch Böcklin bemächtige sich ihrer mit ähnlich gewaltiger Selbstver¬
ständlichkeit, wenn er auch nicht die hinreißende Kraft von Rubens habe.
Dieser, heißt es an einer andern Stelle, scheine die Natur manchmal zu ver¬
gewaltigen, d. h. die Natur, die die „andern" haben; in Wirklichkeit lasse er
sie nnr seinen Nenschvpfungszwecken dienen, und diese künstlerische Wahrheit


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[0484] Löcklm werden das nicht sehr höflich ausgedrückt finden, vielleicht mich nicht ganz vorsichtig, da es ungewiß ist, ob sich die Böcklinverehrung noch steigern lassen wird. Zwölf Jahre nach dem Zeitpunkt, wo Schlaks Mitteilungen schließen, lernte Gustav Floerke, der bis 1879 Professor der Kunstgeschichte an der Weimarer Akademie gewesen war, Böcklin kennen, er lebte mit ihm an ver- schiednen Orten zehn Jahre lang (1881 bis 1891) zusammen und machte darüber Aufzeichnungen, die so, wie sie sich nach seinein Tode in Rostock (1898) fanden, vou seinem Sohne bei Bruckmann in München nnter dem Titel: Zehn Jahre mit Böcklin in einem prächtig ausgestatteten Bande mit vielen Bildertafeln herausgegeben worden sind. Ein merkwürdiges Buch, das dem auf seiner Höhe stehenden Böcklin gewidmet ist. Floerke hat in seiner Jugend zwei nach unserm persönlichen Geschmack allerliebste Verstexte geschrieben (zu des Bildhauers Fritz Schulze originellen Silhouetten aus dem römischen Leben und zu Schwinds Märchen von den sieben Raben) und dann später noch einige italienische Novellen und Schilderungen, von denen uns das, was wir kennen gelernt haben, manieriert und unbedeutend vorgekommen ist. Er war ohne Frage ein feiner Kopf, ein Künstler des höhern Lebensgenusses, ein Hhper- ästhetiker, wie man heute sagt, den seine Überkritik wohl an schaffender Arbeit gehindert hat, wenigstens scheint es begreiflich, daß, wer zehn Jahre lang einem Künstler beobachtend folgt und es nicht über Anmerkungen hinausbringt, kein fruchtbarer Schriftsteller hat werden können. Für das Verständnis Böcklins ist das auch übrigens gedankenreiche Buch jedenfalls wichtig, weil es viele Züge zu seinem Bilde bringt, die den meisten Lesern neu sein werden, nicht alle freilich sind vorteilhaft, und manchmal fragt man: Kann Böcklin selbst das so gemeint haben, oder hätte er es geäußert, wenn er bedacht hätte, daß es einmal gebucht und für jedermann zur Einsicht offen liegen würde? Das sind die direkten Äußerungen. Noch mehr Freiheit des Urteils wird man den Erzählungen und Berichten Floerkes (wie jeder Mitteilung eines dritten) gegenüber haben dürfen, vollends aber seinen Schlußfolgerungen gegeuüber nud seinen Auffassungen, wo man außerdem immer mit dem Standpunkt einer bedingungslose!? Verehrung Böcklins zu rechnen hat: „Böcklin und Schwind sind unsre einzigen originellen und unerschöpflichen Künstler; Böcklin ist nie- mands Schüler, aber er hat es vermocht, jeden zu verstehn, der ihm kongenial war, von allen und aus allem zu lernen, was seiner Fülle assimilierbar er¬ schien." Sehr gütig von ihm, wird man denken, und besonders menschen¬ freundlich auch, daß Schwind da so mitlaufen darf. Eher verstehn wir die Erinnerung an Rubens, der die Natur packe, wo es gerade sei, und sie dann hinstelle; auch Böcklin bemächtige sich ihrer mit ähnlich gewaltiger Selbstver¬ ständlichkeit, wenn er auch nicht die hinreißende Kraft von Rubens habe. Dieser, heißt es an einer andern Stelle, scheine die Natur manchmal zu ver¬ gewaltigen, d. h. die Natur, die die „andern" haben; in Wirklichkeit lasse er sie nnr seinen Nenschvpfungszwecken dienen, und diese künstlerische Wahrheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/484>, abgerufen am 06.10.2024.