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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der ältere jüngere Lranach

der Zehen. Die Gewänder, namentlich die der Männer, sind meist in sehr
harte Falten gelegt, auch an Stellen, wo eine Faltenbildung kaum möglich
ist. Diese Falten machen meist den Eindruck, als wären sie in Erz getrieben,
vor allem die öfter vorkommenden parallel von oben nach unter verlaufenden.
Gewöhnlich werden diese in ihrem Verlaufe durch quer einschneidende tiefe
Tutter unterbrochen" usw.

Und noch eine Probe von der Art, wie Flechsig gearbeitet hat! Über
ein Bild in der städtischen Galerie in Bcnnberg, "Wilibald und Walburg,
verehrt von dem Bischof von Eichstätt Gabriel von Eid" schreibt er: "So¬
lange ich die Entwicklung Crcmachs noch nicht genau kannte, habe ich dieses
Bild unbedenklich für eins der schönsten eigenhändigen Werke Cranachs ge¬
halten. Als ich nun den Pslockschen Altar in Annaberg so gründlich kennen
gelernt hatte, daß ich mir wohl sagen durfte, kein einziger lebender Forscher
könnte mir darin gleichkommen, und ich bald darnach das Bild in Bamberg
wiedersah, fingen die Zweifel an. Diese Zweifel konnte ich schließlich nur dadurch
beseitigen, daß ich an einem Nachmittag in Annaberg mir noch einmal jede
Form, jede Farbe, jede technische Eigentümlichkeit des Pslockschen Altars
gründlich einprägte, darauf sofort nach Bamberg abreiste und am nächsten
Vormittag dort das Wilibaldbild mit den mir noch ganz deutlich vor Augen
stehenden Annaberger Bildern verglich. Von diesem Tage an war ich überzeugt,
daß das Bamberger Bild und der Pflocksche Altar von derselben Hand gemalt
seien."

Das Ergebnis seiner genauen Vergleichung aller Bilder des Pseudvgrüne-
wald ist folgendes. Wir befinden uns von Anfang an in Sachsen, in Witten-
berg, in der Werkstatt Cranachs. Die vier Bildergruppen bilden eine Ent¬
wicklungsreihe, und zwar umspannen sie einen Zeitraum von etwa fünfzehn
Jahren. Innerhalb dieses Zeitraums vollzieht sich die Entwicklung des Künstlers,
namentlich im Anfange, so rasch, wie es nur in der Jugend, etwa vom fünf¬
zehnten bis zum dreißigsten Lebensjahre möglich ist. Das fünfzehnte Lebens¬
jahr als Anfangspunkt künstlerischer Thätigkeit würde zwar heutzutage als
eine große Ausnahme von der Regel angesehen werden, entspricht aber den
künstlerischen und sozialen Verhältnissen jener Zeit, es kann sogar, die nötige
Befähigung vorausgesetzt, für völlig normal gelten, besonders wenn man an¬
nehmen will, daß der Fünfzehnjährige in einer rein künstlerischen Atmosphäre
aufgewachsen sei. Es ist also schon psychologisch ganz unmöglich, daß Cranach
der Maler auch nur eines dieser Bilder gewesen sei. Der Künstler hat zu¬
nächst noch gar keinen eignen Stil. Er versucht das und jenes, ehe er ins
rechte Fahrwasser kommt, er ahmt anfangs Cranach nach, gerät dann, wahr¬
scheinlich auf der Wanderschaft, unter andre Einflüsse, erst allmählich wird er
Herr aller künstlerischen Ausdrucksmittel, doch ist der Zeichner in ihm dem
Maler immer um ein Stück voraus, auch noch in späterer Zeit beeinträchtigt
die Farbe nicht selten die Wirkung seiner Bilder. Er hat endlich eine Anzahl
ganz besondrer Kennzeichen, die sich nur bei ihm finden: in der Landschaft,


Der ältere jüngere Lranach

der Zehen. Die Gewänder, namentlich die der Männer, sind meist in sehr
harte Falten gelegt, auch an Stellen, wo eine Faltenbildung kaum möglich
ist. Diese Falten machen meist den Eindruck, als wären sie in Erz getrieben,
vor allem die öfter vorkommenden parallel von oben nach unter verlaufenden.
Gewöhnlich werden diese in ihrem Verlaufe durch quer einschneidende tiefe
Tutter unterbrochen" usw.

Und noch eine Probe von der Art, wie Flechsig gearbeitet hat! Über
ein Bild in der städtischen Galerie in Bcnnberg, „Wilibald und Walburg,
verehrt von dem Bischof von Eichstätt Gabriel von Eid" schreibt er: „So¬
lange ich die Entwicklung Crcmachs noch nicht genau kannte, habe ich dieses
Bild unbedenklich für eins der schönsten eigenhändigen Werke Cranachs ge¬
halten. Als ich nun den Pslockschen Altar in Annaberg so gründlich kennen
gelernt hatte, daß ich mir wohl sagen durfte, kein einziger lebender Forscher
könnte mir darin gleichkommen, und ich bald darnach das Bild in Bamberg
wiedersah, fingen die Zweifel an. Diese Zweifel konnte ich schließlich nur dadurch
beseitigen, daß ich an einem Nachmittag in Annaberg mir noch einmal jede
Form, jede Farbe, jede technische Eigentümlichkeit des Pslockschen Altars
gründlich einprägte, darauf sofort nach Bamberg abreiste und am nächsten
Vormittag dort das Wilibaldbild mit den mir noch ganz deutlich vor Augen
stehenden Annaberger Bildern verglich. Von diesem Tage an war ich überzeugt,
daß das Bamberger Bild und der Pflocksche Altar von derselben Hand gemalt
seien."

Das Ergebnis seiner genauen Vergleichung aller Bilder des Pseudvgrüne-
wald ist folgendes. Wir befinden uns von Anfang an in Sachsen, in Witten-
berg, in der Werkstatt Cranachs. Die vier Bildergruppen bilden eine Ent¬
wicklungsreihe, und zwar umspannen sie einen Zeitraum von etwa fünfzehn
Jahren. Innerhalb dieses Zeitraums vollzieht sich die Entwicklung des Künstlers,
namentlich im Anfange, so rasch, wie es nur in der Jugend, etwa vom fünf¬
zehnten bis zum dreißigsten Lebensjahre möglich ist. Das fünfzehnte Lebens¬
jahr als Anfangspunkt künstlerischer Thätigkeit würde zwar heutzutage als
eine große Ausnahme von der Regel angesehen werden, entspricht aber den
künstlerischen und sozialen Verhältnissen jener Zeit, es kann sogar, die nötige
Befähigung vorausgesetzt, für völlig normal gelten, besonders wenn man an¬
nehmen will, daß der Fünfzehnjährige in einer rein künstlerischen Atmosphäre
aufgewachsen sei. Es ist also schon psychologisch ganz unmöglich, daß Cranach
der Maler auch nur eines dieser Bilder gewesen sei. Der Künstler hat zu¬
nächst noch gar keinen eignen Stil. Er versucht das und jenes, ehe er ins
rechte Fahrwasser kommt, er ahmt anfangs Cranach nach, gerät dann, wahr¬
scheinlich auf der Wanderschaft, unter andre Einflüsse, erst allmählich wird er
Herr aller künstlerischen Ausdrucksmittel, doch ist der Zeichner in ihm dem
Maler immer um ein Stück voraus, auch noch in späterer Zeit beeinträchtigt
die Farbe nicht selten die Wirkung seiner Bilder. Er hat endlich eine Anzahl
ganz besondrer Kennzeichen, die sich nur bei ihm finden: in der Landschaft,


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[0048] Der ältere jüngere Lranach der Zehen. Die Gewänder, namentlich die der Männer, sind meist in sehr harte Falten gelegt, auch an Stellen, wo eine Faltenbildung kaum möglich ist. Diese Falten machen meist den Eindruck, als wären sie in Erz getrieben, vor allem die öfter vorkommenden parallel von oben nach unter verlaufenden. Gewöhnlich werden diese in ihrem Verlaufe durch quer einschneidende tiefe Tutter unterbrochen" usw. Und noch eine Probe von der Art, wie Flechsig gearbeitet hat! Über ein Bild in der städtischen Galerie in Bcnnberg, „Wilibald und Walburg, verehrt von dem Bischof von Eichstätt Gabriel von Eid" schreibt er: „So¬ lange ich die Entwicklung Crcmachs noch nicht genau kannte, habe ich dieses Bild unbedenklich für eins der schönsten eigenhändigen Werke Cranachs ge¬ halten. Als ich nun den Pslockschen Altar in Annaberg so gründlich kennen gelernt hatte, daß ich mir wohl sagen durfte, kein einziger lebender Forscher könnte mir darin gleichkommen, und ich bald darnach das Bild in Bamberg wiedersah, fingen die Zweifel an. Diese Zweifel konnte ich schließlich nur dadurch beseitigen, daß ich an einem Nachmittag in Annaberg mir noch einmal jede Form, jede Farbe, jede technische Eigentümlichkeit des Pslockschen Altars gründlich einprägte, darauf sofort nach Bamberg abreiste und am nächsten Vormittag dort das Wilibaldbild mit den mir noch ganz deutlich vor Augen stehenden Annaberger Bildern verglich. Von diesem Tage an war ich überzeugt, daß das Bamberger Bild und der Pflocksche Altar von derselben Hand gemalt seien." Das Ergebnis seiner genauen Vergleichung aller Bilder des Pseudvgrüne- wald ist folgendes. Wir befinden uns von Anfang an in Sachsen, in Witten- berg, in der Werkstatt Cranachs. Die vier Bildergruppen bilden eine Ent¬ wicklungsreihe, und zwar umspannen sie einen Zeitraum von etwa fünfzehn Jahren. Innerhalb dieses Zeitraums vollzieht sich die Entwicklung des Künstlers, namentlich im Anfange, so rasch, wie es nur in der Jugend, etwa vom fünf¬ zehnten bis zum dreißigsten Lebensjahre möglich ist. Das fünfzehnte Lebens¬ jahr als Anfangspunkt künstlerischer Thätigkeit würde zwar heutzutage als eine große Ausnahme von der Regel angesehen werden, entspricht aber den künstlerischen und sozialen Verhältnissen jener Zeit, es kann sogar, die nötige Befähigung vorausgesetzt, für völlig normal gelten, besonders wenn man an¬ nehmen will, daß der Fünfzehnjährige in einer rein künstlerischen Atmosphäre aufgewachsen sei. Es ist also schon psychologisch ganz unmöglich, daß Cranach der Maler auch nur eines dieser Bilder gewesen sei. Der Künstler hat zu¬ nächst noch gar keinen eignen Stil. Er versucht das und jenes, ehe er ins rechte Fahrwasser kommt, er ahmt anfangs Cranach nach, gerät dann, wahr¬ scheinlich auf der Wanderschaft, unter andre Einflüsse, erst allmählich wird er Herr aller künstlerischen Ausdrucksmittel, doch ist der Zeichner in ihm dem Maler immer um ein Stück voraus, auch noch in späterer Zeit beeinträchtigt die Farbe nicht selten die Wirkung seiner Bilder. Er hat endlich eine Anzahl ganz besondrer Kennzeichen, die sich nur bei ihm finden: in der Landschaft,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/48>, abgerufen am 28.07.2024.