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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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trauen aller Mächte gegen Deutschland aufgeregt, ihnen vorgehalten, welchen
schlechten Tausch sie machen würden, wenn die deutsche Seeherrschaft an die
Stelle der britischen träte, wie wir dann freie Hand haben würden für "unsre
feindselige Politik gegen Rußland." "Nieder mit Deutschland" hätte die Auf¬
schrift des Aufsatzes lauten müssen.

Wir bedauern eine derartige Sprache aufrichtig und lebhaft. Wir be¬
dauern ans demselben Grunde das unverantwortliche und noch dazu völlig
überflüssige Urteil, das Mr. I. Chnmberlain, der Kolouialiuinister Sr. britischen
Majestät, der Hauptvertreter des britischen Imperialismus, vor kurzem in einer
Wählerversammluug über deu grausame" Charakter der deutscheu Kriegführung
1870/71 gefällt hat. Auch hier wieder unwissender Hochmut und Cane! Die
deutschen Truppen haben damals in Frankreich zuweilen einige Franktireurs
standrechtlich erschossen und einige Dörfer, aus denen auf sie geschossen worden
war, abgebrannt, aber sie haben niemals Frauen und Kinder der feindlichen
Soldaten zu Tausenden in "Konzentrationslagern" vereinigt, wo sie verkommen,
sie haben niemals die Gefangnen, die aus Elsaß-Lothrittgen stammten, als
Rebellen behandelt, wir Lord Kitchener mit den Buren thut, niemals das be¬
setzte Land planmäßig verwüstet, um den Widerstand zu brechen, der wahrlich
zäh genug war, sie haben ihre ritterlichen Feinde immer ritterlich behandelt.
Überhaupt ist es eine Abgeschmacktheit, wenn Engländer den blutigen, endlosen
Kleinkrieg, den mühsam zusanunengebrachte, daheim verachtete Söldner aus den
niedrigsten Klassen der Gesellschaft in Südafrika ergebnislos führen, vergleichen
wollen mit dem glorreichen Siegeszuge unsers Volksheeres, des Volks in
Waffen, uuter Helden, denen England nichts, auch gar nichts an die Seite
zu setzen hat.

Wie gesagt, wir bedauern das alles aufrichtig, so gut wie wir deu Ton
bedauern, den ein Teil der deutschen Presse zuweilen gegen England anschlägt.
Durch beides kann die Stimmung in beiden Ländern allmählich so verbittert
werden, daß es für beide Regierungen schwer wird, gegebnen Falls zusammm-
zugehu, wie es früher oft genug und jetzt wieder in China geschehn ist und
wieder notwendig werden kann. Eine Zerstörung der britischen Macht liegt
genan so wenig in unserm wahre" Interesse wie eine Zerstörung des Deutschen
Reichs im wahren Interesse Englands. Wir begreifen, daß die Existenz unsers
Reichs und sein Aufstreben zur Weltmacht den Engländern unbequem ist, schon
weil es etwas Neues, Ungewohntes ist, aber sie werden damit als mit einer un¬
abänderlichen Thatsache rechnen müssen. Sie haben nnr die Wahl, ob wir das,
was wir brauchen, mit ihnen oder gegen sie durchsetzen sollen; durchgesetzt
wird es, und auch vor Rußland und Nordamerika ist der Starke regelmäßig
mutig zurückgewichen. Wir wollen gar nicht an die Stelle Englands treten,
aber wir fordern als eine gleichberechtigte Macht, nicht als freche Eindring¬
linge behandelt zu werden. Wir haben große Achtung vor der englischen
Kultur, aber nur stelle" die deutsche nicht um einen Finger breit tiefer. Nicht
eine einzige nationale Kultur und auch nicht mir zwei solle" die Welt be¬
herrschen, sonder" alle großen Kulturvölker sollen auch künftig die Weltkultur


trauen aller Mächte gegen Deutschland aufgeregt, ihnen vorgehalten, welchen
schlechten Tausch sie machen würden, wenn die deutsche Seeherrschaft an die
Stelle der britischen träte, wie wir dann freie Hand haben würden für „unsre
feindselige Politik gegen Rußland." „Nieder mit Deutschland" hätte die Auf¬
schrift des Aufsatzes lauten müssen.

Wir bedauern eine derartige Sprache aufrichtig und lebhaft. Wir be¬
dauern ans demselben Grunde das unverantwortliche und noch dazu völlig
überflüssige Urteil, das Mr. I. Chnmberlain, der Kolouialiuinister Sr. britischen
Majestät, der Hauptvertreter des britischen Imperialismus, vor kurzem in einer
Wählerversammluug über deu grausame» Charakter der deutscheu Kriegführung
1870/71 gefällt hat. Auch hier wieder unwissender Hochmut und Cane! Die
deutschen Truppen haben damals in Frankreich zuweilen einige Franktireurs
standrechtlich erschossen und einige Dörfer, aus denen auf sie geschossen worden
war, abgebrannt, aber sie haben niemals Frauen und Kinder der feindlichen
Soldaten zu Tausenden in „Konzentrationslagern" vereinigt, wo sie verkommen,
sie haben niemals die Gefangnen, die aus Elsaß-Lothrittgen stammten, als
Rebellen behandelt, wir Lord Kitchener mit den Buren thut, niemals das be¬
setzte Land planmäßig verwüstet, um den Widerstand zu brechen, der wahrlich
zäh genug war, sie haben ihre ritterlichen Feinde immer ritterlich behandelt.
Überhaupt ist es eine Abgeschmacktheit, wenn Engländer den blutigen, endlosen
Kleinkrieg, den mühsam zusanunengebrachte, daheim verachtete Söldner aus den
niedrigsten Klassen der Gesellschaft in Südafrika ergebnislos führen, vergleichen
wollen mit dem glorreichen Siegeszuge unsers Volksheeres, des Volks in
Waffen, uuter Helden, denen England nichts, auch gar nichts an die Seite
zu setzen hat.

Wie gesagt, wir bedauern das alles aufrichtig, so gut wie wir deu Ton
bedauern, den ein Teil der deutschen Presse zuweilen gegen England anschlägt.
Durch beides kann die Stimmung in beiden Ländern allmählich so verbittert
werden, daß es für beide Regierungen schwer wird, gegebnen Falls zusammm-
zugehu, wie es früher oft genug und jetzt wieder in China geschehn ist und
wieder notwendig werden kann. Eine Zerstörung der britischen Macht liegt
genan so wenig in unserm wahre» Interesse wie eine Zerstörung des Deutschen
Reichs im wahren Interesse Englands. Wir begreifen, daß die Existenz unsers
Reichs und sein Aufstreben zur Weltmacht den Engländern unbequem ist, schon
weil es etwas Neues, Ungewohntes ist, aber sie werden damit als mit einer un¬
abänderlichen Thatsache rechnen müssen. Sie haben nnr die Wahl, ob wir das,
was wir brauchen, mit ihnen oder gegen sie durchsetzen sollen; durchgesetzt
wird es, und auch vor Rußland und Nordamerika ist der Starke regelmäßig
mutig zurückgewichen. Wir wollen gar nicht an die Stelle Englands treten,
aber wir fordern als eine gleichberechtigte Macht, nicht als freche Eindring¬
linge behandelt zu werden. Wir haben große Achtung vor der englischen
Kultur, aber nur stelle» die deutsche nicht um einen Finger breit tiefer. Nicht
eine einzige nationale Kultur und auch nicht mir zwei solle» die Welt be¬
herrschen, sonder» alle großen Kulturvölker sollen auch künftig die Weltkultur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/381>, abgerufen am 27.07.2024.