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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Briefe aus Paris und Spanien von Llara Ritter

und eine echte Schlesierin gewesen zu sein, aber diesem vaterländische!! Element
hatte sich ein Zusatz von Weltbürgertum beigesellt, der ihr das Reisen und
das Verweilen in der Fremde erleichterte und ihrer interessanten Persönlichkeit
einen besondern Charakter aufgeprägt hatte.

Das Fremdländische war in die Familie durch Clara Billers Mutter ge¬
kommen, ein in Cadix gebornes Fräulein Bernhard y Peichlcr, das dort an
der Familie Parodi Verwandte zum Teil genuesischen Ursprungs hatte, während
dessen ältere Schwester in Wales verheiratet war, und dessen Oheim, ein
Bruder von Claras Großmutter, in der Havanna lebte. Die in den Fremden¬
kolonien von Paris und London so wohlbekannten Namen der Frau Schwabe,
der Familien Mohl, Martin und andrer bezeichnen den geselligen Kreis, dem
die Billersche Familie angehörte.

Nach einem nahezu fünfjährigen, durch Ausflüge nach England und
Belgien mir zeitweise unterbrochner Aufenthalt in Paris war Clara Bitter ein
Jahr lang in Spanien und Portugal gereist und nach Tanger gegangen, als
der deutsch-französische Krieg sie im Juli 1870 zunächst nach Paris, wo ein
Teil ihrer Effekten geblieben war, zurückgerufen hatte. Ende August desselben
Jahres, unmittelbar vor Sedan, war sie von da nach England zurückgekehrt,
wo wir sie leider aus den Augen verlieren.

Ein Teil der von ihr während dieses mehr als sechsjährigen Zeitraums
an Mitglieder ihrer Familie gerichteten Briefe ist nun dieses Jahr durch ihre
Schwester, Frau Professor Wuttke-Bitter, mit einem erläuternden Vorwort
und einer Anzahl von Fußnoten veröffentlicht worden.")

Wir haben Clara Bitter in diesen Briefen auf ihren zum Teil recht
romantischen Wandrungen begleitet und können, auch abgesehen von dem Ver¬
gnügen, das uns schon an sich das Reisen in Gesellschaft einer so gebildeten,
geistreichen und witzigen Dame gewährt hat, die dabei gewonnene Ausbeute
an Interessanten und Wissenswertem nur dankbar und rühmend anerkennen.
Leider haben wir Clara Bitter nicht persönlich gekannt und vermögen uns
auch zu unserm Bedauern keines ihrer Gemälde, wenn uns solche zu Gesicht
gekommen sein sollten, zu erinnern, aber das dem Bande vorgeheftcte Porträt
ist so beredt, und die Briefe führen einen in alles, was ihr Herz und ihren
Geschmack beschäftigte, so lebhaft ein, daß man an ihren Plänen und Erleb¬
nissen wie an etwas Eignen teilnimmt. Der Verkehr mit ihr führt einem
recht zu Gemüte, wie hoch in gewissen Kreisen des deutschen Volks die geistige
Bildung der Frau und deren Charaktereigenschaften stehn, und wir empfehlen
das Buch denen, die es noch nicht gelesen haben, aus vollster Überzeugung
als unterhaltend, anregend und, was insbesondre die darin enthaltne Schilde¬
rung spanischer Verhältnisse anlangt, als wahrhaft belehrend.

Clara Viller, deren Kompositionstalent weder nach dem, was sie über
die von ihr skizzierten Entwürfe andeutet, noch nach dem uns mitgeteilten Ur-



Verlag von Carl Reißner, Dresden, 1901.
Briefe aus Paris und Spanien von Llara Ritter

und eine echte Schlesierin gewesen zu sein, aber diesem vaterländische!! Element
hatte sich ein Zusatz von Weltbürgertum beigesellt, der ihr das Reisen und
das Verweilen in der Fremde erleichterte und ihrer interessanten Persönlichkeit
einen besondern Charakter aufgeprägt hatte.

Das Fremdländische war in die Familie durch Clara Billers Mutter ge¬
kommen, ein in Cadix gebornes Fräulein Bernhard y Peichlcr, das dort an
der Familie Parodi Verwandte zum Teil genuesischen Ursprungs hatte, während
dessen ältere Schwester in Wales verheiratet war, und dessen Oheim, ein
Bruder von Claras Großmutter, in der Havanna lebte. Die in den Fremden¬
kolonien von Paris und London so wohlbekannten Namen der Frau Schwabe,
der Familien Mohl, Martin und andrer bezeichnen den geselligen Kreis, dem
die Billersche Familie angehörte.

Nach einem nahezu fünfjährigen, durch Ausflüge nach England und
Belgien mir zeitweise unterbrochner Aufenthalt in Paris war Clara Bitter ein
Jahr lang in Spanien und Portugal gereist und nach Tanger gegangen, als
der deutsch-französische Krieg sie im Juli 1870 zunächst nach Paris, wo ein
Teil ihrer Effekten geblieben war, zurückgerufen hatte. Ende August desselben
Jahres, unmittelbar vor Sedan, war sie von da nach England zurückgekehrt,
wo wir sie leider aus den Augen verlieren.

Ein Teil der von ihr während dieses mehr als sechsjährigen Zeitraums
an Mitglieder ihrer Familie gerichteten Briefe ist nun dieses Jahr durch ihre
Schwester, Frau Professor Wuttke-Bitter, mit einem erläuternden Vorwort
und einer Anzahl von Fußnoten veröffentlicht worden.")

Wir haben Clara Bitter in diesen Briefen auf ihren zum Teil recht
romantischen Wandrungen begleitet und können, auch abgesehen von dem Ver¬
gnügen, das uns schon an sich das Reisen in Gesellschaft einer so gebildeten,
geistreichen und witzigen Dame gewährt hat, die dabei gewonnene Ausbeute
an Interessanten und Wissenswertem nur dankbar und rühmend anerkennen.
Leider haben wir Clara Bitter nicht persönlich gekannt und vermögen uns
auch zu unserm Bedauern keines ihrer Gemälde, wenn uns solche zu Gesicht
gekommen sein sollten, zu erinnern, aber das dem Bande vorgeheftcte Porträt
ist so beredt, und die Briefe führen einen in alles, was ihr Herz und ihren
Geschmack beschäftigte, so lebhaft ein, daß man an ihren Plänen und Erleb¬
nissen wie an etwas Eignen teilnimmt. Der Verkehr mit ihr führt einem
recht zu Gemüte, wie hoch in gewissen Kreisen des deutschen Volks die geistige
Bildung der Frau und deren Charaktereigenschaften stehn, und wir empfehlen
das Buch denen, die es noch nicht gelesen haben, aus vollster Überzeugung
als unterhaltend, anregend und, was insbesondre die darin enthaltne Schilde¬
rung spanischer Verhältnisse anlangt, als wahrhaft belehrend.

Clara Viller, deren Kompositionstalent weder nach dem, was sie über
die von ihr skizzierten Entwürfe andeutet, noch nach dem uns mitgeteilten Ur-



Verlag von Carl Reißner, Dresden, 1901.
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[0037] Briefe aus Paris und Spanien von Llara Ritter und eine echte Schlesierin gewesen zu sein, aber diesem vaterländische!! Element hatte sich ein Zusatz von Weltbürgertum beigesellt, der ihr das Reisen und das Verweilen in der Fremde erleichterte und ihrer interessanten Persönlichkeit einen besondern Charakter aufgeprägt hatte. Das Fremdländische war in die Familie durch Clara Billers Mutter ge¬ kommen, ein in Cadix gebornes Fräulein Bernhard y Peichlcr, das dort an der Familie Parodi Verwandte zum Teil genuesischen Ursprungs hatte, während dessen ältere Schwester in Wales verheiratet war, und dessen Oheim, ein Bruder von Claras Großmutter, in der Havanna lebte. Die in den Fremden¬ kolonien von Paris und London so wohlbekannten Namen der Frau Schwabe, der Familien Mohl, Martin und andrer bezeichnen den geselligen Kreis, dem die Billersche Familie angehörte. Nach einem nahezu fünfjährigen, durch Ausflüge nach England und Belgien mir zeitweise unterbrochner Aufenthalt in Paris war Clara Bitter ein Jahr lang in Spanien und Portugal gereist und nach Tanger gegangen, als der deutsch-französische Krieg sie im Juli 1870 zunächst nach Paris, wo ein Teil ihrer Effekten geblieben war, zurückgerufen hatte. Ende August desselben Jahres, unmittelbar vor Sedan, war sie von da nach England zurückgekehrt, wo wir sie leider aus den Augen verlieren. Ein Teil der von ihr während dieses mehr als sechsjährigen Zeitraums an Mitglieder ihrer Familie gerichteten Briefe ist nun dieses Jahr durch ihre Schwester, Frau Professor Wuttke-Bitter, mit einem erläuternden Vorwort und einer Anzahl von Fußnoten veröffentlicht worden.") Wir haben Clara Bitter in diesen Briefen auf ihren zum Teil recht romantischen Wandrungen begleitet und können, auch abgesehen von dem Ver¬ gnügen, das uns schon an sich das Reisen in Gesellschaft einer so gebildeten, geistreichen und witzigen Dame gewährt hat, die dabei gewonnene Ausbeute an Interessanten und Wissenswertem nur dankbar und rühmend anerkennen. Leider haben wir Clara Bitter nicht persönlich gekannt und vermögen uns auch zu unserm Bedauern keines ihrer Gemälde, wenn uns solche zu Gesicht gekommen sein sollten, zu erinnern, aber das dem Bande vorgeheftcte Porträt ist so beredt, und die Briefe führen einen in alles, was ihr Herz und ihren Geschmack beschäftigte, so lebhaft ein, daß man an ihren Plänen und Erleb¬ nissen wie an etwas Eignen teilnimmt. Der Verkehr mit ihr führt einem recht zu Gemüte, wie hoch in gewissen Kreisen des deutschen Volks die geistige Bildung der Frau und deren Charaktereigenschaften stehn, und wir empfehlen das Buch denen, die es noch nicht gelesen haben, aus vollster Überzeugung als unterhaltend, anregend und, was insbesondre die darin enthaltne Schilde¬ rung spanischer Verhältnisse anlangt, als wahrhaft belehrend. Clara Viller, deren Kompositionstalent weder nach dem, was sie über die von ihr skizzierten Entwürfe andeutet, noch nach dem uns mitgeteilten Ur- Verlag von Carl Reißner, Dresden, 1901.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/37>, abgerufen am 27.07.2024.