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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Das Reich und das Reichsland

Kann das Provisorium auf andre Weise beseitigt werden, oder soll es für ewig
fortbestehn? Die Lösung des Problems muß auf dem Wege einer Änderung
und Ergänzung der Reichsverfassung gesucht werden, die schon in 8 2 Absatz 2
des Gesetzes vom 9. Juni 1871 in Aussicht genommen war.

Der Kaiser führt die Regierung im Reiche nud im Reichslande "im Namen
des Reichs," also nicht im eignen Namen, sondern im fremden Namen, im
Namen der Verbündete" deutschen Fürsten und freien Städte. Die Reichs¬
regierung steht dein Kaiser kraft eignen, unwiderruflichen Rechts zu; sie kann
ihm gegen seinen Willen niemals entzogen werden, da er als Inhaber der
siebzehn preußischen Stimmen gemäß Artikel 78 der Reichsverfassung jede
Änderung dieser Verfassung verhindern kann. Die Landesregierung im Reichs¬
lande steht dem Kaiser kraft fremden, widerruflichen Auftrags zu; sie beruht
auf dem Neichsgefetz vom 9. Juni 1871, das durch Reichsgesetz wieder auf¬
gehoben werden kann. Dieser Unterschied zwischen dem Mg xroprium auf die
Reichsregierung und dem Hus cksIeZatuw, auf die Landesregierung hat keine
innere Berechtigung und keinen vernünftigen Sinn. Artikel 1 und 11 der
Reichsverfassung müssen also in der Weise abgeändert werden, das; Artikel 1
am Schlüsse folgenden Zusatz erhält: "sowie aus dem Reichsland Elsaß-
Lothringen," und daß in Artikel 11 Absatz 1 hinter den Wortein "Gesandte
zu beglaubigen und zu empfangen" eingeschaltet wird: "sowie die Staats¬
gewalt im Reichslande auszuüben." -- Durch diese Änderung würde das bis¬
herige, provisorische Verhältnis des Kaisers zum Reichslande in ein definitives
umgewandelt werden; der Kaiser würde im Reichslande dieselbe Stellung er¬
langen, die er schon im Reiche hat -- nämlich die eines erblichen Regenten.

Wenn der Kaiser die Staatsgewalt im Reichslande im fremden Namen,
aber kraft eignen Rechts ausübt, so kann er als Regent des Reichslands
ebensogut ein Stimmrecht im Bundesrat beanspruchen, wie die Regenten von
Braunschweig, Lippe-Detmold, Sachsen-Koburg und Mecklenburg-Schwerin.
Die Stimmentabelle in Artikel 6 wäre deshalb etwa in folgender Weise zu
andern: Preußen 18, Bayern 7, Sachsen 5, Württemberg 5, Baden 4, Hessen 3,
Elsaß-Lothringen 3. Die Erhöhung der Stimmenzahl im Bundesrat müßte
natürlich ihre Rückwirkung auf Artikel 78 äußern, worin die Ziffer 14 durch
17 zu ersetzen wäre.

Die Jnstruierung der elsaß-lothringischen Bevollmächtigten im Bundesrat
würde als Landesangelegenheit nicht dem Reichskanzler, sondern dem Statt¬
halter zufallen, der dadurch Gelegenheit erhielte, die besondern Interessen
Elsaß-Lothringens zur Geltung zu bringen. Bezüglich des Statthalters wäre
in Artikel 17 am Schlüsse beizufügen: "In elsaß-lothringischen Landesange-
legenheiten tritt um die Stelle des Reichskanzlers der Statthalter."

Endlich wäre in Artikel 5 noch eine Bestimmung über die Landesgesetz¬
gebung nötig. "Gesetze für Elsaß-Lothringen können auch vom Kaiser unter
Zustimmung der elsaß-lothringischen Landesvertretung erlassen werden. Die
Verkündigung erfolgt in einem besondern Gesetzblatt."


Das Reich und das Reichsland

Kann das Provisorium auf andre Weise beseitigt werden, oder soll es für ewig
fortbestehn? Die Lösung des Problems muß auf dem Wege einer Änderung
und Ergänzung der Reichsverfassung gesucht werden, die schon in 8 2 Absatz 2
des Gesetzes vom 9. Juni 1871 in Aussicht genommen war.

Der Kaiser führt die Regierung im Reiche nud im Reichslande „im Namen
des Reichs," also nicht im eignen Namen, sondern im fremden Namen, im
Namen der Verbündete» deutschen Fürsten und freien Städte. Die Reichs¬
regierung steht dein Kaiser kraft eignen, unwiderruflichen Rechts zu; sie kann
ihm gegen seinen Willen niemals entzogen werden, da er als Inhaber der
siebzehn preußischen Stimmen gemäß Artikel 78 der Reichsverfassung jede
Änderung dieser Verfassung verhindern kann. Die Landesregierung im Reichs¬
lande steht dem Kaiser kraft fremden, widerruflichen Auftrags zu; sie beruht
auf dem Neichsgefetz vom 9. Juni 1871, das durch Reichsgesetz wieder auf¬
gehoben werden kann. Dieser Unterschied zwischen dem Mg xroprium auf die
Reichsregierung und dem Hus cksIeZatuw, auf die Landesregierung hat keine
innere Berechtigung und keinen vernünftigen Sinn. Artikel 1 und 11 der
Reichsverfassung müssen also in der Weise abgeändert werden, das; Artikel 1
am Schlüsse folgenden Zusatz erhält: „sowie aus dem Reichsland Elsaß-
Lothringen," und daß in Artikel 11 Absatz 1 hinter den Wortein „Gesandte
zu beglaubigen und zu empfangen" eingeschaltet wird: „sowie die Staats¬
gewalt im Reichslande auszuüben." — Durch diese Änderung würde das bis¬
herige, provisorische Verhältnis des Kaisers zum Reichslande in ein definitives
umgewandelt werden; der Kaiser würde im Reichslande dieselbe Stellung er¬
langen, die er schon im Reiche hat — nämlich die eines erblichen Regenten.

Wenn der Kaiser die Staatsgewalt im Reichslande im fremden Namen,
aber kraft eignen Rechts ausübt, so kann er als Regent des Reichslands
ebensogut ein Stimmrecht im Bundesrat beanspruchen, wie die Regenten von
Braunschweig, Lippe-Detmold, Sachsen-Koburg und Mecklenburg-Schwerin.
Die Stimmentabelle in Artikel 6 wäre deshalb etwa in folgender Weise zu
andern: Preußen 18, Bayern 7, Sachsen 5, Württemberg 5, Baden 4, Hessen 3,
Elsaß-Lothringen 3. Die Erhöhung der Stimmenzahl im Bundesrat müßte
natürlich ihre Rückwirkung auf Artikel 78 äußern, worin die Ziffer 14 durch
17 zu ersetzen wäre.

Die Jnstruierung der elsaß-lothringischen Bevollmächtigten im Bundesrat
würde als Landesangelegenheit nicht dem Reichskanzler, sondern dem Statt¬
halter zufallen, der dadurch Gelegenheit erhielte, die besondern Interessen
Elsaß-Lothringens zur Geltung zu bringen. Bezüglich des Statthalters wäre
in Artikel 17 am Schlüsse beizufügen: „In elsaß-lothringischen Landesange-
legenheiten tritt um die Stelle des Reichskanzlers der Statthalter."

Endlich wäre in Artikel 5 noch eine Bestimmung über die Landesgesetz¬
gebung nötig. „Gesetze für Elsaß-Lothringen können auch vom Kaiser unter
Zustimmung der elsaß-lothringischen Landesvertretung erlassen werden. Die
Verkündigung erfolgt in einem besondern Gesetzblatt."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/335>, abgerufen am 28.07.2024.