Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Reich und das Reichsland

reiche Gesinnungsgenossen in Straßburg-Land, Molsheim-Erstem und Schlett-
stadt; sie haben außerdem die Herrschaft im ganzen Oberelsaß, wo überall die
deutschgesinnten Wühler in der Minorität sind. Eine Schützung der französisch
gesinnten Elsüsser ist auf Grund der Wahlergebnisse nicht möglich, da sie bei
den Wahlen nicht mehr als selbständige politische Partei auftreten. Nach dem
bekannten Spruch: ?ran<^is us xuis, ^Ilölliancl us clai^us, L.l8g,vivu jo suis
gehn sie -- in Ermanglung eines Bessern -- bei allen Wahlen mit ihren
partikularistisch gesinnten Landsleuten zusammen. Im französischen Sprach¬
gebiet von Lothringen haben die französisch gesinnten Lothringer die unbestrittue
Alleinherrschaft, da unter der eingebornen Bevölkerung überhaupt keine andre
-- deutsche oder partikularistische -- Partei besteht. Bei dem deutschen Sprach¬
gebiet von Lothringen kommt in Betracht, daß die amtliche Grenze zwischen
Elsaß und Lothringen an manchen Stellen -- z. B. in der ehemaligen Graf¬
schaft Dagsburg -- eine willkürliche ist. Der Unterschied in der politischen
Gesinnung der Bevölkerung tritt deshalb nicht schroff und plötzlich, sondern
nur langsam und allmählich hervor.

Möglich und wahrscheinlich ist uun, daß dieselbe Macht der Zeit, die in
einem Menschenalter aus guten Franzosen elsässische Partiknlaristen gemacht
hat, in einem weitern Menschenalter aus elsüssischen Partiknlaristen gute
Deutsche machen wird. Sicher aber ist, daß dieser Umwandlungsprozeß durch
die Gründung eines selbständigen Bundesstaats Elsaß-Lothringen nicht be¬
schleunigt, sondern verzögert würde. Wenn die Elsaß-Lothringer erst einmal
Herren im eignen Hause sind, so werden sie natürlich nicht darauf bedacht sein,
die deutsche Nationalität, die für viele unter ihnen eine fremde ist, zu schützen
und zu stärken, sondern gerade umgekehrt, ihre besondre Art in Sitte und
Sprache, gesellschaftlichen und politischen Traditionen zu bewahren und zu
pflegen. Vielfach ist z. B. im Landesausschuß, in den Bezirkstagen und
andern kommunalen Körperschaften der Wunsch geünßcrt worden, den franzö¬
sischen Unterricht in den Volksschulen des deutschen Sprachgebiets wieder ein¬
zuführen. Einheimische Minister, die das Land nach eigner Fayon regieren
könnten, würden diesem Drängen der Bevölkerung jedenfalls nachgeben. Damit
wäre einer der größten Fortschritte, den das Deutschtum seit 1870 gemacht
hat, wieder in Frage gestellt. Der Verbannung der französischen Sprache aus
den Volksschulen ist es zu verdanken, daß der Gebrauch dieser Sprache in den
untern Klassen des deutscheu Sprachgebiets im Aussterben begriffen ist, und
daß diese Volksschichten der deutschen Nationalität wieder gewonnen sind.

Die Errichtung eines selbständigen Bundesstaats im Reichsland würde
also dem deutschen Interesse nicht förderlich, sondern einfach schädlich sein.

5

Wenn der Bundesstaat Elsaß-Lothringen nur ein schöner Traum ist, so
entsteht die weitere Frage: Ist eine andre Regelung der staatsrechtlichen
Beziehungen zwischen Elsaß-Lothringen und dem Reiche möglich und denkbar?


Das Reich und das Reichsland

reiche Gesinnungsgenossen in Straßburg-Land, Molsheim-Erstem und Schlett-
stadt; sie haben außerdem die Herrschaft im ganzen Oberelsaß, wo überall die
deutschgesinnten Wühler in der Minorität sind. Eine Schützung der französisch
gesinnten Elsüsser ist auf Grund der Wahlergebnisse nicht möglich, da sie bei
den Wahlen nicht mehr als selbständige politische Partei auftreten. Nach dem
bekannten Spruch: ?ran<^is us xuis, ^Ilölliancl us clai^us, L.l8g,vivu jo suis
gehn sie — in Ermanglung eines Bessern — bei allen Wahlen mit ihren
partikularistisch gesinnten Landsleuten zusammen. Im französischen Sprach¬
gebiet von Lothringen haben die französisch gesinnten Lothringer die unbestrittue
Alleinherrschaft, da unter der eingebornen Bevölkerung überhaupt keine andre
— deutsche oder partikularistische — Partei besteht. Bei dem deutschen Sprach¬
gebiet von Lothringen kommt in Betracht, daß die amtliche Grenze zwischen
Elsaß und Lothringen an manchen Stellen — z. B. in der ehemaligen Graf¬
schaft Dagsburg — eine willkürliche ist. Der Unterschied in der politischen
Gesinnung der Bevölkerung tritt deshalb nicht schroff und plötzlich, sondern
nur langsam und allmählich hervor.

Möglich und wahrscheinlich ist uun, daß dieselbe Macht der Zeit, die in
einem Menschenalter aus guten Franzosen elsässische Partiknlaristen gemacht
hat, in einem weitern Menschenalter aus elsüssischen Partiknlaristen gute
Deutsche machen wird. Sicher aber ist, daß dieser Umwandlungsprozeß durch
die Gründung eines selbständigen Bundesstaats Elsaß-Lothringen nicht be¬
schleunigt, sondern verzögert würde. Wenn die Elsaß-Lothringer erst einmal
Herren im eignen Hause sind, so werden sie natürlich nicht darauf bedacht sein,
die deutsche Nationalität, die für viele unter ihnen eine fremde ist, zu schützen
und zu stärken, sondern gerade umgekehrt, ihre besondre Art in Sitte und
Sprache, gesellschaftlichen und politischen Traditionen zu bewahren und zu
pflegen. Vielfach ist z. B. im Landesausschuß, in den Bezirkstagen und
andern kommunalen Körperschaften der Wunsch geünßcrt worden, den franzö¬
sischen Unterricht in den Volksschulen des deutschen Sprachgebiets wieder ein¬
zuführen. Einheimische Minister, die das Land nach eigner Fayon regieren
könnten, würden diesem Drängen der Bevölkerung jedenfalls nachgeben. Damit
wäre einer der größten Fortschritte, den das Deutschtum seit 1870 gemacht
hat, wieder in Frage gestellt. Der Verbannung der französischen Sprache aus
den Volksschulen ist es zu verdanken, daß der Gebrauch dieser Sprache in den
untern Klassen des deutscheu Sprachgebiets im Aussterben begriffen ist, und
daß diese Volksschichten der deutschen Nationalität wieder gewonnen sind.

Die Errichtung eines selbständigen Bundesstaats im Reichsland würde
also dem deutschen Interesse nicht förderlich, sondern einfach schädlich sein.

5

Wenn der Bundesstaat Elsaß-Lothringen nur ein schöner Traum ist, so
entsteht die weitere Frage: Ist eine andre Regelung der staatsrechtlichen
Beziehungen zwischen Elsaß-Lothringen und dem Reiche möglich und denkbar?


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236156"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Reich und das Reichsland</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1292" prev="#ID_1291"> reiche Gesinnungsgenossen in Straßburg-Land, Molsheim-Erstem und Schlett-<lb/>
stadt; sie haben außerdem die Herrschaft im ganzen Oberelsaß, wo überall die<lb/>
deutschgesinnten Wühler in der Minorität sind. Eine Schützung der französisch<lb/>
gesinnten Elsüsser ist auf Grund der Wahlergebnisse nicht möglich, da sie bei<lb/>
den Wahlen nicht mehr als selbständige politische Partei auftreten. Nach dem<lb/>
bekannten Spruch: ?ran&lt;^is us xuis, ^Ilölliancl us clai^us, L.l8g,vivu jo suis<lb/>
gehn sie &#x2014; in Ermanglung eines Bessern &#x2014; bei allen Wahlen mit ihren<lb/>
partikularistisch gesinnten Landsleuten zusammen. Im französischen Sprach¬<lb/>
gebiet von Lothringen haben die französisch gesinnten Lothringer die unbestrittue<lb/>
Alleinherrschaft, da unter der eingebornen Bevölkerung überhaupt keine andre<lb/>
&#x2014; deutsche oder partikularistische &#x2014; Partei besteht. Bei dem deutschen Sprach¬<lb/>
gebiet von Lothringen kommt in Betracht, daß die amtliche Grenze zwischen<lb/>
Elsaß und Lothringen an manchen Stellen &#x2014; z. B. in der ehemaligen Graf¬<lb/>
schaft Dagsburg &#x2014; eine willkürliche ist. Der Unterschied in der politischen<lb/>
Gesinnung der Bevölkerung tritt deshalb nicht schroff und plötzlich, sondern<lb/>
nur langsam und allmählich hervor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1293"> Möglich und wahrscheinlich ist uun, daß dieselbe Macht der Zeit, die in<lb/>
einem Menschenalter aus guten Franzosen elsässische Partiknlaristen gemacht<lb/>
hat, in einem weitern Menschenalter aus elsüssischen Partiknlaristen gute<lb/>
Deutsche machen wird. Sicher aber ist, daß dieser Umwandlungsprozeß durch<lb/>
die Gründung eines selbständigen Bundesstaats Elsaß-Lothringen nicht be¬<lb/>
schleunigt, sondern verzögert würde. Wenn die Elsaß-Lothringer erst einmal<lb/>
Herren im eignen Hause sind, so werden sie natürlich nicht darauf bedacht sein,<lb/>
die deutsche Nationalität, die für viele unter ihnen eine fremde ist, zu schützen<lb/>
und zu stärken, sondern gerade umgekehrt, ihre besondre Art in Sitte und<lb/>
Sprache, gesellschaftlichen und politischen Traditionen zu bewahren und zu<lb/>
pflegen. Vielfach ist z. B. im Landesausschuß, in den Bezirkstagen und<lb/>
andern kommunalen Körperschaften der Wunsch geünßcrt worden, den franzö¬<lb/>
sischen Unterricht in den Volksschulen des deutschen Sprachgebiets wieder ein¬<lb/>
zuführen. Einheimische Minister, die das Land nach eigner Fayon regieren<lb/>
könnten, würden diesem Drängen der Bevölkerung jedenfalls nachgeben. Damit<lb/>
wäre einer der größten Fortschritte, den das Deutschtum seit 1870 gemacht<lb/>
hat, wieder in Frage gestellt. Der Verbannung der französischen Sprache aus<lb/>
den Volksschulen ist es zu verdanken, daß der Gebrauch dieser Sprache in den<lb/>
untern Klassen des deutscheu Sprachgebiets im Aussterben begriffen ist, und<lb/>
daß diese Volksschichten der deutschen Nationalität wieder gewonnen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1294"> Die Errichtung eines selbständigen Bundesstaats im Reichsland würde<lb/>
also dem deutschen Interesse nicht förderlich, sondern einfach schädlich sein.</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> 5</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1295" next="#ID_1296"> Wenn der Bundesstaat Elsaß-Lothringen nur ein schöner Traum ist, so<lb/>
entsteht die weitere Frage: Ist eine andre Regelung der staatsrechtlichen<lb/>
Beziehungen zwischen Elsaß-Lothringen und dem Reiche möglich und denkbar?</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] Das Reich und das Reichsland reiche Gesinnungsgenossen in Straßburg-Land, Molsheim-Erstem und Schlett- stadt; sie haben außerdem die Herrschaft im ganzen Oberelsaß, wo überall die deutschgesinnten Wühler in der Minorität sind. Eine Schützung der französisch gesinnten Elsüsser ist auf Grund der Wahlergebnisse nicht möglich, da sie bei den Wahlen nicht mehr als selbständige politische Partei auftreten. Nach dem bekannten Spruch: ?ran<^is us xuis, ^Ilölliancl us clai^us, L.l8g,vivu jo suis gehn sie — in Ermanglung eines Bessern — bei allen Wahlen mit ihren partikularistisch gesinnten Landsleuten zusammen. Im französischen Sprach¬ gebiet von Lothringen haben die französisch gesinnten Lothringer die unbestrittue Alleinherrschaft, da unter der eingebornen Bevölkerung überhaupt keine andre — deutsche oder partikularistische — Partei besteht. Bei dem deutschen Sprach¬ gebiet von Lothringen kommt in Betracht, daß die amtliche Grenze zwischen Elsaß und Lothringen an manchen Stellen — z. B. in der ehemaligen Graf¬ schaft Dagsburg — eine willkürliche ist. Der Unterschied in der politischen Gesinnung der Bevölkerung tritt deshalb nicht schroff und plötzlich, sondern nur langsam und allmählich hervor. Möglich und wahrscheinlich ist uun, daß dieselbe Macht der Zeit, die in einem Menschenalter aus guten Franzosen elsässische Partiknlaristen gemacht hat, in einem weitern Menschenalter aus elsüssischen Partiknlaristen gute Deutsche machen wird. Sicher aber ist, daß dieser Umwandlungsprozeß durch die Gründung eines selbständigen Bundesstaats Elsaß-Lothringen nicht be¬ schleunigt, sondern verzögert würde. Wenn die Elsaß-Lothringer erst einmal Herren im eignen Hause sind, so werden sie natürlich nicht darauf bedacht sein, die deutsche Nationalität, die für viele unter ihnen eine fremde ist, zu schützen und zu stärken, sondern gerade umgekehrt, ihre besondre Art in Sitte und Sprache, gesellschaftlichen und politischen Traditionen zu bewahren und zu pflegen. Vielfach ist z. B. im Landesausschuß, in den Bezirkstagen und andern kommunalen Körperschaften der Wunsch geünßcrt worden, den franzö¬ sischen Unterricht in den Volksschulen des deutschen Sprachgebiets wieder ein¬ zuführen. Einheimische Minister, die das Land nach eigner Fayon regieren könnten, würden diesem Drängen der Bevölkerung jedenfalls nachgeben. Damit wäre einer der größten Fortschritte, den das Deutschtum seit 1870 gemacht hat, wieder in Frage gestellt. Der Verbannung der französischen Sprache aus den Volksschulen ist es zu verdanken, daß der Gebrauch dieser Sprache in den untern Klassen des deutscheu Sprachgebiets im Aussterben begriffen ist, und daß diese Volksschichten der deutschen Nationalität wieder gewonnen sind. Die Errichtung eines selbständigen Bundesstaats im Reichsland würde also dem deutschen Interesse nicht förderlich, sondern einfach schädlich sein. 5 Wenn der Bundesstaat Elsaß-Lothringen nur ein schöner Traum ist, so entsteht die weitere Frage: Ist eine andre Regelung der staatsrechtlichen Beziehungen zwischen Elsaß-Lothringen und dem Reiche möglich und denkbar?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/334>, abgerufen am 28.07.2024.