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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Disziplin und Sozialdemokratin

Dienststands wie der Reserve danken zu können für die hingebende Hilfe, die
sie ihm wahrend der Manöver geleistet haben, für die Ausdauer und den
Eifer, den sie trotz des fortwährenden Regens (!) bewiesen haben. Damit die
Freude der Rückkehr in die Garnison vollständiger sei, hebt der Oberst alle
Strafen der Reservisten und der aktiven Soldaten, die aus dem Manöver
zurückkehren, ans, . , , Möchten die Reservisten des 38. Regiments schnell die
Anstrengungen einiger Tage vergessen, aber andrerseits nie vergessen, daß fie
Glieder der großen Regimentsfamilie sind, und daß sie dessen Ehre ebenso hoch
halten müssen wie ihre eigne. Sie werden es sich angelegen sein lassen, die
lächerlichen Fabeln von Auflehnung, Insubordination und übler Behandlung,
die einige schlecht unterrichtete Zeitungen überall verbreitet haben, für nichtig
zu erklären usw."

Auch in der Schweiz sind die Verfehlungen gegen die Disziplin von den
meisten Seiten möglichst milde beurteilt, und alle erdenklichen Entschuldigungs¬
gründe sind hervorgesucht worden. Zwei Erscheinungen berühren aber hier
sehr erfreulich und sind nachahmenswert: einerseits tritt nämlich die Allgemeine
Schweizerische Militärzeitung in der nllerschürfsten Weise gegen die Disziplin¬
widrigkeiten auf, und andrerseits hat der Bundesrat das Militärdepartement
auf dessen Antrag hin aufgefordert, ungesäumt die Revision des Artikels 1,
Ziffer 10 der Militärstrafgerichtsordmmg in die Hand zu nehmen und so zu
fördern, daß sie noch in der Dezembersession den Eidgenössischen Räten unter¬
breitet werden kann. Nach diesem Artikel fallen gegenwärtig Zivilpersonen
nur dann unter die militärische Gerichtsbarkeit, wenn sie Militärpersonen, die
schon im aktiven Dienste stehn, zur Verletzung wichtiger militärischer Obliegen¬
heiten verleiten oder zu verleiten suchen. Hiernach konnte jetzt gegen die
Genfer Zeitung ?öux1ö, das die Leute des Landwehrbatnillons Ur. 103 zur
Widersetzlichkeit, jn geradezu zur Meuterei aufforderte, nicht gerichtlich ein¬
geschritten werden.

Wenn nun in der Schweiz, wo die Milizarmec weit mehr als bei uns
das "Volk in Waffen" repräsentiert, solche Modifikationen der Gesetze als
dringlich erscheinen, so sollte man sich bei uns noch weit weniger scheuen, mit
allen Mitteln einzuschreiten, so lauge es vielleicht noch Zeit ist. Auch die
freisinnig und demokratisch Gesinnten, die sich aber Liebe und Anhänglichkeit
zum Vaterlande bewahrt haben, sollten einsehen, daß die Anforderungen, die
an die Armee und ihre einzelnen Glieder gestellt werden müssen, absolut un¬
vereinbar sind mit dem Grundsatz, den auf dem letzten sozialdemokratischen
Parteitage der Abgeordnete Bebel wieder einmal mit geradezu cynischer --
Unbefangenheit ausgesprochen hat, daß der Eid den "Genossen" nicht bindet.
Er sagte, die Sozialdemokraten hätten im sächsischen Landtage den Verfasfungs-
eid geleistet, weil sie dies für eine leere Form ansähen, und daß sie sich demnach
an diesen Eid nicht für gebunden hielten. Wir sollten doch denken, daß es hier¬
nach außerordentlich nahe läge, wenn die Sozialdemokraten auch deu Fahneneid,
den Treueid gegen Fürst und Vaterland, nicht als bindend, sondern als "leere


Disziplin und Sozialdemokratin

Dienststands wie der Reserve danken zu können für die hingebende Hilfe, die
sie ihm wahrend der Manöver geleistet haben, für die Ausdauer und den
Eifer, den sie trotz des fortwährenden Regens (!) bewiesen haben. Damit die
Freude der Rückkehr in die Garnison vollständiger sei, hebt der Oberst alle
Strafen der Reservisten und der aktiven Soldaten, die aus dem Manöver
zurückkehren, ans, . , , Möchten die Reservisten des 38. Regiments schnell die
Anstrengungen einiger Tage vergessen, aber andrerseits nie vergessen, daß fie
Glieder der großen Regimentsfamilie sind, und daß sie dessen Ehre ebenso hoch
halten müssen wie ihre eigne. Sie werden es sich angelegen sein lassen, die
lächerlichen Fabeln von Auflehnung, Insubordination und übler Behandlung,
die einige schlecht unterrichtete Zeitungen überall verbreitet haben, für nichtig
zu erklären usw."

Auch in der Schweiz sind die Verfehlungen gegen die Disziplin von den
meisten Seiten möglichst milde beurteilt, und alle erdenklichen Entschuldigungs¬
gründe sind hervorgesucht worden. Zwei Erscheinungen berühren aber hier
sehr erfreulich und sind nachahmenswert: einerseits tritt nämlich die Allgemeine
Schweizerische Militärzeitung in der nllerschürfsten Weise gegen die Disziplin¬
widrigkeiten auf, und andrerseits hat der Bundesrat das Militärdepartement
auf dessen Antrag hin aufgefordert, ungesäumt die Revision des Artikels 1,
Ziffer 10 der Militärstrafgerichtsordmmg in die Hand zu nehmen und so zu
fördern, daß sie noch in der Dezembersession den Eidgenössischen Räten unter¬
breitet werden kann. Nach diesem Artikel fallen gegenwärtig Zivilpersonen
nur dann unter die militärische Gerichtsbarkeit, wenn sie Militärpersonen, die
schon im aktiven Dienste stehn, zur Verletzung wichtiger militärischer Obliegen¬
heiten verleiten oder zu verleiten suchen. Hiernach konnte jetzt gegen die
Genfer Zeitung ?öux1ö, das die Leute des Landwehrbatnillons Ur. 103 zur
Widersetzlichkeit, jn geradezu zur Meuterei aufforderte, nicht gerichtlich ein¬
geschritten werden.

Wenn nun in der Schweiz, wo die Milizarmec weit mehr als bei uns
das „Volk in Waffen" repräsentiert, solche Modifikationen der Gesetze als
dringlich erscheinen, so sollte man sich bei uns noch weit weniger scheuen, mit
allen Mitteln einzuschreiten, so lauge es vielleicht noch Zeit ist. Auch die
freisinnig und demokratisch Gesinnten, die sich aber Liebe und Anhänglichkeit
zum Vaterlande bewahrt haben, sollten einsehen, daß die Anforderungen, die
an die Armee und ihre einzelnen Glieder gestellt werden müssen, absolut un¬
vereinbar sind mit dem Grundsatz, den auf dem letzten sozialdemokratischen
Parteitage der Abgeordnete Bebel wieder einmal mit geradezu cynischer —
Unbefangenheit ausgesprochen hat, daß der Eid den „Genossen" nicht bindet.
Er sagte, die Sozialdemokraten hätten im sächsischen Landtage den Verfasfungs-
eid geleistet, weil sie dies für eine leere Form ansähen, und daß sie sich demnach
an diesen Eid nicht für gebunden hielten. Wir sollten doch denken, daß es hier¬
nach außerordentlich nahe läge, wenn die Sozialdemokraten auch deu Fahneneid,
den Treueid gegen Fürst und Vaterland, nicht als bindend, sondern als „leere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/325>, abgerufen am 01.09.2024.