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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Über das Arankenverficherungsgcsetz

Berufsart. So die Maurer, Erdarbeiter, Schlosser usw. Sie können sich
über mehrere Ortschaften, auch über einen ganzen Kreis ausdehnen und heißen
dann Gemeinschaftliche Ortskrcmkenkassc des Kreises N.; sie können andrerseits
in einer Stadt sämtliche vorhcmdne Gewerke zusammenfassen und heißen dann
städtische Ortskrankenkasse zu N. Man sieht, daß sie sich von den Gemeinde-
krcmkcnkasscn nicht geographisch und auch nicht durch den Beruf ihrer Mit¬
glieder unterscheiden, man konnte für dieselbe Gegend und dieselben Menschen
entweder die eine oder die andre Kassenart errichten. Sehr verschieden sind
sie aber in ihrer Verfassung, denn wenn eine Kasse den Namen Ortskranken¬
kasse führt, so heißt das, sie wird von ihren zahlenden Mitgliedern selbst ver¬
waltet, und zwar bestimmt sich der Anteil an der Verwaltung nach der Höhe
des Beitrags, und da zwei Drittel der Lasten von den Arbeitern getragen
werden und ein Drittel von den Arbeitgebern, so haben die Arbeiter immer
die Mehrheit. Der Name Ortskrankenkasse ist nicht gerade sehr treffend; es
ist eigentlich auch nötig, daß man hinzusetzt: der Maurer, der Schneider, der
Kellner usw. Besser wäre der Name Gewerkstrankenkasse; dieses Wort sagt
an, daß sich die Kasse nach den einzelnen GeWerken begrenzt, wie die Bctriebs-
lrankeutasse nach dein Betriebe und die Gcmeindekrankeukasse nach der Ge¬
meinde. Die Kohle" der Verwaltung und nötigenfalls ein Fehlbetrag müssen
aus den Beiträgen gedeckt werden, die Kassen müssen sich selbst helfen durch
Erhöhung der Beiträge oder Ermäßigung der Leistungen. Für beides sind
allerdings Grenzen gesetzt, kann die Ortskrankenkasse sich innerhalb dieser
Grenzen nicht mehr helfen, so wird sie von den Behörden aufgelöst, und ihre
Mitglieder werden in einer andern, gewöhnlich in der Gemeindekrankenkasse,
untergebracht.

Wenn in einer Ortskrankenkasse nur wenige große Arbeitgeber vertreten
sind, die ihre Arbeiterschaft auch bei einer geheimen Abstimmung in der Hand
behalten, so können sie allerdings trotz dieser Verfassung die Verwaltung be¬
herrschen, eben durch die Stimmen der von ihnen abhängigen Arbeiter; ist es
aber eine größere Zahl Arbeitgeber, oder sind viele kleine Arbeitgeber dabei,
so muß die Verfassung der Kasse jedesmal zur Herrschaft der Arbeiter führen,
der sich die Arbeitgeber fügen müssen. Die Mehrheit der Arbeiter wühlt
sich dann einen Vorsitzenden nach ihrem Herzen, stellt den Neubauten und die
Itnterbemnten an und macht durch diese Organe mit Ärzten, Apothekern und
Krankenhäusern Verträge; sie entscheidet, ob die Leistungen oder die Beiträge
erhöht werden sollen, in welcher Weise die ärztliche Hilfe gewährt werden
soll usw.

An Stelle der Abstrakta wollen wir nun noch einmal die Personen vor
unsre Phantasie rufen, die auf der Bühne dieses Gesetzes die Hauptrolle
spielen. Erstens auf dem Theater der Gemciudekrankenversicherung: der Herr
Gemeindevorsteher, der Herr Bürgermeister, der Herr Landrat, als Vorsitzende;
als ausführende Macht aber der Herr Stndtsekrctür oder der Herr Kreis-
sekrctär. Zweitens auf dein Theater der Betriebskrankenkassen: der Herr


Über das Arankenverficherungsgcsetz

Berufsart. So die Maurer, Erdarbeiter, Schlosser usw. Sie können sich
über mehrere Ortschaften, auch über einen ganzen Kreis ausdehnen und heißen
dann Gemeinschaftliche Ortskrcmkenkassc des Kreises N.; sie können andrerseits
in einer Stadt sämtliche vorhcmdne Gewerke zusammenfassen und heißen dann
städtische Ortskrankenkasse zu N. Man sieht, daß sie sich von den Gemeinde-
krcmkcnkasscn nicht geographisch und auch nicht durch den Beruf ihrer Mit¬
glieder unterscheiden, man konnte für dieselbe Gegend und dieselben Menschen
entweder die eine oder die andre Kassenart errichten. Sehr verschieden sind
sie aber in ihrer Verfassung, denn wenn eine Kasse den Namen Ortskranken¬
kasse führt, so heißt das, sie wird von ihren zahlenden Mitgliedern selbst ver¬
waltet, und zwar bestimmt sich der Anteil an der Verwaltung nach der Höhe
des Beitrags, und da zwei Drittel der Lasten von den Arbeitern getragen
werden und ein Drittel von den Arbeitgebern, so haben die Arbeiter immer
die Mehrheit. Der Name Ortskrankenkasse ist nicht gerade sehr treffend; es
ist eigentlich auch nötig, daß man hinzusetzt: der Maurer, der Schneider, der
Kellner usw. Besser wäre der Name Gewerkstrankenkasse; dieses Wort sagt
an, daß sich die Kasse nach den einzelnen GeWerken begrenzt, wie die Bctriebs-
lrankeutasse nach dein Betriebe und die Gcmeindekrankeukasse nach der Ge¬
meinde. Die Kohle» der Verwaltung und nötigenfalls ein Fehlbetrag müssen
aus den Beiträgen gedeckt werden, die Kassen müssen sich selbst helfen durch
Erhöhung der Beiträge oder Ermäßigung der Leistungen. Für beides sind
allerdings Grenzen gesetzt, kann die Ortskrankenkasse sich innerhalb dieser
Grenzen nicht mehr helfen, so wird sie von den Behörden aufgelöst, und ihre
Mitglieder werden in einer andern, gewöhnlich in der Gemeindekrankenkasse,
untergebracht.

Wenn in einer Ortskrankenkasse nur wenige große Arbeitgeber vertreten
sind, die ihre Arbeiterschaft auch bei einer geheimen Abstimmung in der Hand
behalten, so können sie allerdings trotz dieser Verfassung die Verwaltung be¬
herrschen, eben durch die Stimmen der von ihnen abhängigen Arbeiter; ist es
aber eine größere Zahl Arbeitgeber, oder sind viele kleine Arbeitgeber dabei,
so muß die Verfassung der Kasse jedesmal zur Herrschaft der Arbeiter führen,
der sich die Arbeitgeber fügen müssen. Die Mehrheit der Arbeiter wühlt
sich dann einen Vorsitzenden nach ihrem Herzen, stellt den Neubauten und die
Itnterbemnten an und macht durch diese Organe mit Ärzten, Apothekern und
Krankenhäusern Verträge; sie entscheidet, ob die Leistungen oder die Beiträge
erhöht werden sollen, in welcher Weise die ärztliche Hilfe gewährt werden
soll usw.

An Stelle der Abstrakta wollen wir nun noch einmal die Personen vor
unsre Phantasie rufen, die auf der Bühne dieses Gesetzes die Hauptrolle
spielen. Erstens auf dem Theater der Gemciudekrankenversicherung: der Herr
Gemeindevorsteher, der Herr Bürgermeister, der Herr Landrat, als Vorsitzende;
als ausführende Macht aber der Herr Stndtsekrctür oder der Herr Kreis-
sekrctär. Zweitens auf dein Theater der Betriebskrankenkassen: der Herr


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[0288] Über das Arankenverficherungsgcsetz Berufsart. So die Maurer, Erdarbeiter, Schlosser usw. Sie können sich über mehrere Ortschaften, auch über einen ganzen Kreis ausdehnen und heißen dann Gemeinschaftliche Ortskrcmkenkassc des Kreises N.; sie können andrerseits in einer Stadt sämtliche vorhcmdne Gewerke zusammenfassen und heißen dann städtische Ortskrankenkasse zu N. Man sieht, daß sie sich von den Gemeinde- krcmkcnkasscn nicht geographisch und auch nicht durch den Beruf ihrer Mit¬ glieder unterscheiden, man konnte für dieselbe Gegend und dieselben Menschen entweder die eine oder die andre Kassenart errichten. Sehr verschieden sind sie aber in ihrer Verfassung, denn wenn eine Kasse den Namen Ortskranken¬ kasse führt, so heißt das, sie wird von ihren zahlenden Mitgliedern selbst ver¬ waltet, und zwar bestimmt sich der Anteil an der Verwaltung nach der Höhe des Beitrags, und da zwei Drittel der Lasten von den Arbeitern getragen werden und ein Drittel von den Arbeitgebern, so haben die Arbeiter immer die Mehrheit. Der Name Ortskrankenkasse ist nicht gerade sehr treffend; es ist eigentlich auch nötig, daß man hinzusetzt: der Maurer, der Schneider, der Kellner usw. Besser wäre der Name Gewerkstrankenkasse; dieses Wort sagt an, daß sich die Kasse nach den einzelnen GeWerken begrenzt, wie die Bctriebs- lrankeutasse nach dein Betriebe und die Gcmeindekrankeukasse nach der Ge¬ meinde. Die Kohle» der Verwaltung und nötigenfalls ein Fehlbetrag müssen aus den Beiträgen gedeckt werden, die Kassen müssen sich selbst helfen durch Erhöhung der Beiträge oder Ermäßigung der Leistungen. Für beides sind allerdings Grenzen gesetzt, kann die Ortskrankenkasse sich innerhalb dieser Grenzen nicht mehr helfen, so wird sie von den Behörden aufgelöst, und ihre Mitglieder werden in einer andern, gewöhnlich in der Gemeindekrankenkasse, untergebracht. Wenn in einer Ortskrankenkasse nur wenige große Arbeitgeber vertreten sind, die ihre Arbeiterschaft auch bei einer geheimen Abstimmung in der Hand behalten, so können sie allerdings trotz dieser Verfassung die Verwaltung be¬ herrschen, eben durch die Stimmen der von ihnen abhängigen Arbeiter; ist es aber eine größere Zahl Arbeitgeber, oder sind viele kleine Arbeitgeber dabei, so muß die Verfassung der Kasse jedesmal zur Herrschaft der Arbeiter führen, der sich die Arbeitgeber fügen müssen. Die Mehrheit der Arbeiter wühlt sich dann einen Vorsitzenden nach ihrem Herzen, stellt den Neubauten und die Itnterbemnten an und macht durch diese Organe mit Ärzten, Apothekern und Krankenhäusern Verträge; sie entscheidet, ob die Leistungen oder die Beiträge erhöht werden sollen, in welcher Weise die ärztliche Hilfe gewährt werden soll usw. An Stelle der Abstrakta wollen wir nun noch einmal die Personen vor unsre Phantasie rufen, die auf der Bühne dieses Gesetzes die Hauptrolle spielen. Erstens auf dem Theater der Gemciudekrankenversicherung: der Herr Gemeindevorsteher, der Herr Bürgermeister, der Herr Landrat, als Vorsitzende; als ausführende Macht aber der Herr Stndtsekrctür oder der Herr Kreis- sekrctär. Zweitens auf dein Theater der Betriebskrankenkassen: der Herr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/288>, abgerufen am 01.09.2024.