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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Das Reich und das Rcnchsland

oder eine Provinz sein sollte, gleichfalls nicht entschieden. Der Gesetzgeber
hat sich immer damit begnügt, an die Stelle des bestehenden Provisoriums ein
neues Provisorium zu setzen.

Heute hat Elsaß-Lothringen in manchen Beziehungen die Rechte eines
deutschen Bundesstaats, in andern Beziehungen dagegen nicht:

1. Es kann völkerrechtliche Verträge schließen. Es hat mit deutschen
Bundesstaaten -- Baden und Preußen -- Vereinbarungen über die gegen¬
seitige Unterstützung von hilfsbedürftigen Staatsangehörige!: getroffen und
sogar mit einem nichtdeutschen Staate -- dem Königreich der Niederlande --
die Abänderung einer internationalen Konvention, der Rheiuschiffahrtsaktc,
verabredet. Es kann aber nicht alle Verträge schließen, die die deutschen
Bundesstaaten schließen können. Post- und Telegraphenverträge, sowie
Militärlonventivnen (Artikel 50 Absatz 6 und Artikel 66 der Reichsverfassung)
gehören nicht zur Zuständigkeit der elsaß-lothringischen Negierung.

2. Es hat eine Vertretung im Bundesrat, wo sonst nnr Staaten ver¬
treten sind. Die Bevollmächtigten des Reichslands dürfen aber nur an der
Beratung teilnehmen, während die Bevollmächtigten der deutschen Bundes¬
stanten sich auch an der Abstimmung beteiligen können und sollen.

3. Es hat -- wie jeder Bundesstaat -- das Recht, Landesgesetze zu er¬
lassen; aber die Ausübung dieses Rechts kann jederzeit durch ein Eingreifen
der Reichsgesetzgebung aufgehoben werden. Das Reich hat den Bundesstaaten
gegenüber nur ein beschränktes Recht, Reichsgesetze zu erlassen, eine Erweite¬
rung dieses Rechts ist mir im Wege der Verfassungsänderung möglich; dem
Reichslande gegenüber aber hat das Reich ein nnbeschränktes Recht, Reichs¬
gesetze zu erlassen; eine Erweiterung dieses unbeschränkten Rechts ist begrifflich
unmöglich.

Thatsächlich hat das Reich auch nach dem Erlaß des Neichsgesetzcs vom
2. Mai 1877, wodurch dein Reichslande das Recht der Landesgesetzgebung
übertragen worden ist, noch vielfach elsaß-lothringische Landesangelegenheiten
durch Reichsgesetz geregelt, z. B. das Dieusteiukommen von Landesbeamten
durch Gesetz vom 5. Juli 1879, die Pension des Statthalters dnrch Gesetz
vom 28. April 1886, die Geschäftssprache des Landesausschusses und die
Öffentlichkeit seiner Sitzungen durch Gesetz vom 23. Mai 1881, die Ernennung
und Besoldung der Bürgermeister und Beigeordneten dnrch Gesetz vom 4. Juli
1887, die authentische Interpretation von Landesgesetzen durch Gesetz vom
29. Mürz 1888.

4. Es hat eine eigne Landesverwaltung ans dem Gebiet des Innern,
des Kultus und des Unterrichts, der Justiz, der Finanzen usw.; diese Landes-
verwaltung hat aber nicht die Unabhängigkeit, die die entsprechenden Ver¬
waltungen der deutschen Bundesstaaten haben.

Die Ernennung und die Abberufung des Leiters der Landesverwaltung
-- des Statthalters -- wird als Neichsangelegenheit betrachtet. Die kaiser¬
lichen Verordnungen über seine Anstellung und seine Entlassung, sowie über
die Delegation landesherrlicher Befugnisse an den Statthalter werden vom


Das Reich und das Rcnchsland

oder eine Provinz sein sollte, gleichfalls nicht entschieden. Der Gesetzgeber
hat sich immer damit begnügt, an die Stelle des bestehenden Provisoriums ein
neues Provisorium zu setzen.

Heute hat Elsaß-Lothringen in manchen Beziehungen die Rechte eines
deutschen Bundesstaats, in andern Beziehungen dagegen nicht:

1. Es kann völkerrechtliche Verträge schließen. Es hat mit deutschen
Bundesstaaten — Baden und Preußen — Vereinbarungen über die gegen¬
seitige Unterstützung von hilfsbedürftigen Staatsangehörige!: getroffen und
sogar mit einem nichtdeutschen Staate — dem Königreich der Niederlande —
die Abänderung einer internationalen Konvention, der Rheiuschiffahrtsaktc,
verabredet. Es kann aber nicht alle Verträge schließen, die die deutschen
Bundesstaaten schließen können. Post- und Telegraphenverträge, sowie
Militärlonventivnen (Artikel 50 Absatz 6 und Artikel 66 der Reichsverfassung)
gehören nicht zur Zuständigkeit der elsaß-lothringischen Negierung.

2. Es hat eine Vertretung im Bundesrat, wo sonst nnr Staaten ver¬
treten sind. Die Bevollmächtigten des Reichslands dürfen aber nur an der
Beratung teilnehmen, während die Bevollmächtigten der deutschen Bundes¬
stanten sich auch an der Abstimmung beteiligen können und sollen.

3. Es hat — wie jeder Bundesstaat — das Recht, Landesgesetze zu er¬
lassen; aber die Ausübung dieses Rechts kann jederzeit durch ein Eingreifen
der Reichsgesetzgebung aufgehoben werden. Das Reich hat den Bundesstaaten
gegenüber nur ein beschränktes Recht, Reichsgesetze zu erlassen, eine Erweite¬
rung dieses Rechts ist mir im Wege der Verfassungsänderung möglich; dem
Reichslande gegenüber aber hat das Reich ein nnbeschränktes Recht, Reichs¬
gesetze zu erlassen; eine Erweiterung dieses unbeschränkten Rechts ist begrifflich
unmöglich.

Thatsächlich hat das Reich auch nach dem Erlaß des Neichsgesetzcs vom
2. Mai 1877, wodurch dein Reichslande das Recht der Landesgesetzgebung
übertragen worden ist, noch vielfach elsaß-lothringische Landesangelegenheiten
durch Reichsgesetz geregelt, z. B. das Dieusteiukommen von Landesbeamten
durch Gesetz vom 5. Juli 1879, die Pension des Statthalters dnrch Gesetz
vom 28. April 1886, die Geschäftssprache des Landesausschusses und die
Öffentlichkeit seiner Sitzungen durch Gesetz vom 23. Mai 1881, die Ernennung
und Besoldung der Bürgermeister und Beigeordneten dnrch Gesetz vom 4. Juli
1887, die authentische Interpretation von Landesgesetzen durch Gesetz vom
29. Mürz 1888.

4. Es hat eine eigne Landesverwaltung ans dem Gebiet des Innern,
des Kultus und des Unterrichts, der Justiz, der Finanzen usw.; diese Landes-
verwaltung hat aber nicht die Unabhängigkeit, die die entsprechenden Ver¬
waltungen der deutschen Bundesstaaten haben.

Die Ernennung und die Abberufung des Leiters der Landesverwaltung
— des Statthalters — wird als Neichsangelegenheit betrachtet. Die kaiser¬
lichen Verordnungen über seine Anstellung und seine Entlassung, sowie über
die Delegation landesherrlicher Befugnisse an den Statthalter werden vom


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[0276] Das Reich und das Rcnchsland oder eine Provinz sein sollte, gleichfalls nicht entschieden. Der Gesetzgeber hat sich immer damit begnügt, an die Stelle des bestehenden Provisoriums ein neues Provisorium zu setzen. Heute hat Elsaß-Lothringen in manchen Beziehungen die Rechte eines deutschen Bundesstaats, in andern Beziehungen dagegen nicht: 1. Es kann völkerrechtliche Verträge schließen. Es hat mit deutschen Bundesstaaten — Baden und Preußen — Vereinbarungen über die gegen¬ seitige Unterstützung von hilfsbedürftigen Staatsangehörige!: getroffen und sogar mit einem nichtdeutschen Staate — dem Königreich der Niederlande — die Abänderung einer internationalen Konvention, der Rheiuschiffahrtsaktc, verabredet. Es kann aber nicht alle Verträge schließen, die die deutschen Bundesstaaten schließen können. Post- und Telegraphenverträge, sowie Militärlonventivnen (Artikel 50 Absatz 6 und Artikel 66 der Reichsverfassung) gehören nicht zur Zuständigkeit der elsaß-lothringischen Negierung. 2. Es hat eine Vertretung im Bundesrat, wo sonst nnr Staaten ver¬ treten sind. Die Bevollmächtigten des Reichslands dürfen aber nur an der Beratung teilnehmen, während die Bevollmächtigten der deutschen Bundes¬ stanten sich auch an der Abstimmung beteiligen können und sollen. 3. Es hat — wie jeder Bundesstaat — das Recht, Landesgesetze zu er¬ lassen; aber die Ausübung dieses Rechts kann jederzeit durch ein Eingreifen der Reichsgesetzgebung aufgehoben werden. Das Reich hat den Bundesstaaten gegenüber nur ein beschränktes Recht, Reichsgesetze zu erlassen, eine Erweite¬ rung dieses Rechts ist mir im Wege der Verfassungsänderung möglich; dem Reichslande gegenüber aber hat das Reich ein nnbeschränktes Recht, Reichs¬ gesetze zu erlassen; eine Erweiterung dieses unbeschränkten Rechts ist begrifflich unmöglich. Thatsächlich hat das Reich auch nach dem Erlaß des Neichsgesetzcs vom 2. Mai 1877, wodurch dein Reichslande das Recht der Landesgesetzgebung übertragen worden ist, noch vielfach elsaß-lothringische Landesangelegenheiten durch Reichsgesetz geregelt, z. B. das Dieusteiukommen von Landesbeamten durch Gesetz vom 5. Juli 1879, die Pension des Statthalters dnrch Gesetz vom 28. April 1886, die Geschäftssprache des Landesausschusses und die Öffentlichkeit seiner Sitzungen durch Gesetz vom 23. Mai 1881, die Ernennung und Besoldung der Bürgermeister und Beigeordneten dnrch Gesetz vom 4. Juli 1887, die authentische Interpretation von Landesgesetzen durch Gesetz vom 29. Mürz 1888. 4. Es hat eine eigne Landesverwaltung ans dem Gebiet des Innern, des Kultus und des Unterrichts, der Justiz, der Finanzen usw.; diese Landes- verwaltung hat aber nicht die Unabhängigkeit, die die entsprechenden Ver¬ waltungen der deutschen Bundesstaaten haben. Die Ernennung und die Abberufung des Leiters der Landesverwaltung — des Statthalters — wird als Neichsangelegenheit betrachtet. Die kaiser¬ lichen Verordnungen über seine Anstellung und seine Entlassung, sowie über die Delegation landesherrlicher Befugnisse an den Statthalter werden vom

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/276>, abgerufen am 01.09.2024.