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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

geahnten Aufschwung erleben. Die aus Österreich in Massen zuströmenden billigen
Arbeitskräfte würden die deutsche Industrie in den Stand setzen, ihre Herstellungs¬
kosten bedeutend zu reduzieren und so die französische Industrie sogar im eignen Lande
zu schlagen und zu vernichten. -- Von einiger Übertreibung abgesehen ist das Kalkül
des französischen Publizisten nicht unrichtig. Der wirtschaftliche Effekt der Zoll¬
union würde vor allein darin bestehn, daß die Vereinigung der starkem deutschen
Kapitalmasscu mit den billigern österreichischen Arbeitskräften eine ganz bedeutende
Verbillignng und damit Steigerung der deutschen industriellen Produktion herbei¬
führen würde. Für den Zweck dieser Zeilen sind aber die wirtschaftlichen Konse¬
gnenzen der Zollunion für Deutschland Nebensache, auch auf die Möglichkeit einer
Revolutionierung des deutschen Arbeiismarkts soll nicht eingegangen werden. Fest¬
zuhalten ist uur, daß Deutschland seinen Hauptvorteil aus den infolge der Zollunion
aus Österreich zuströmenden billigen Arbeitskräften zieh" würde. Und da muß
man sich uun fragen, welcher Art diese Arbeitskräfte sein würden. Deutsche? Nur
zum geringen Teil. Einmal stellen die Deutschen ein verhältnismäßig geringes
Kontingent von Lohnarbeitern, und dann ist der Deutsche als gelernter Arbeiter
weil kultivierter, auch anspruchsvoller, mithin nicht um viel billiger als der
reichsdeutsche. Die Hauptmasse der nach Deutschland strömenden billigern Arbeiter
würde sich aus dem großen Überschüsse der slawischen Agrarbevvlkerung Österreichs
rekrutieren, und darin liegt das in natioualpolitischer Beziehung sür Deutschland
Bedenkliche einer Zollunion mit Österreich. Schon heute hat Deutschland gegen
die Bildung slawischer Agitationsherdc in industriellen Bezirken sogar im Westen
des Reichs anzukämpfen. Diese Gefahr würde aber im Falle der Zollunion ins
Ungemessene wachsen, denn während es die deutschen Regierungen heute in der
Hand haben, sich des Zuströmens österreichisch-slawischer Arbeiter auf dem Polizeiwege
zu entledigen, würde Deutschland, mit Österreich zollpolitisch geeinigt, über keinerlei
Mittel mehr verfügen, sich der slawischen Invasion zu erwehren, da die Freizügig¬
keit als ein integrierender Bestandteil jeder zvllpolitischeu Vereinigung erscheint.
Anders ist es anch nie aufgefaßt worden, wie schon der ganze Gedankengang des
erwähnten Artikels des französischen Publizisten beweist, der ja gerade das ungehinderte
Zuströmen billiger österreichischer, also slawischer Arbeitskräfte nach Deutschland als
wesentlich für die Zollunion ins Auge faßt. Um das aber auch nach seiner nntivnal-
politischen Seite hin zu würdigen, muß mau sich deu Slawisierungsprozeß, wie er
sich in Österreich vollzieht, vergegenwärtigen. Die landläufigste Formel zur Er¬
klärung dieses Prozesses lautet natürlich: Die Regierung ist schuld! Bekanntlich
das bequemste Argument, das aber wie in so vielen Fällen auch in diesem nicht
zutrifft. Die Regierungen von Taaffe bis Thun haben sicher so manche Sünde
ans ihrem Gewissen, aber um das Vordringen des Slawentums in Österreich zu
erkläre", bedarf es nicht der Berufung auf planmäßige Akte dieser Regierungen.
Vor ihnen, nämlich unter den deutsch-liberalen Ministerien, waren schon genau die¬
selben Erscheinungen zu verzeichnen, und das ist ja auch ganz begreiflich, da sie
nicht politische, sondern ökonomische Ursachen haben. Sprachenverordnungen und
andre administrative Maßregeln konnten die Slawisicrung in Österreich viel¬
leicht fördern aber nicht hervorrufen, denn ihr Erreger ist die auf dem starke"
Überschuß der slawischen Agrarbcvölkerung beruhende Expansionskraft des Slawen¬
tums. Dieser Überschuß verhindert ein Steigen des Arbeitslohns, da der slawische
Arbeiter, weil unkultivierter, auch anspruchsloser ist, und veranlaßt den deutschen
Arbeiter vielfach, seiue Heimat zu verlassen, um in Deutschland einen bessern Lohn
zu suchen, und ihm rückt der slawische Arbeiter in die deutschen Industriegebiete
nach. Überall in Österreich hat so der Slawisiernugsprozcß begonnen, und das
deutsche industrielle Kapital hat in der That in Böhmen und Mähren ans diese Weise
mehr tschechisiert als sämtliche österreichischen Regierungen seit 1879 zusammen-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

geahnten Aufschwung erleben. Die aus Österreich in Massen zuströmenden billigen
Arbeitskräfte würden die deutsche Industrie in den Stand setzen, ihre Herstellungs¬
kosten bedeutend zu reduzieren und so die französische Industrie sogar im eignen Lande
zu schlagen und zu vernichten. — Von einiger Übertreibung abgesehen ist das Kalkül
des französischen Publizisten nicht unrichtig. Der wirtschaftliche Effekt der Zoll¬
union würde vor allein darin bestehn, daß die Vereinigung der starkem deutschen
Kapitalmasscu mit den billigern österreichischen Arbeitskräften eine ganz bedeutende
Verbillignng und damit Steigerung der deutschen industriellen Produktion herbei¬
führen würde. Für den Zweck dieser Zeilen sind aber die wirtschaftlichen Konse¬
gnenzen der Zollunion für Deutschland Nebensache, auch auf die Möglichkeit einer
Revolutionierung des deutschen Arbeiismarkts soll nicht eingegangen werden. Fest¬
zuhalten ist uur, daß Deutschland seinen Hauptvorteil aus den infolge der Zollunion
aus Österreich zuströmenden billigen Arbeitskräften zieh» würde. Und da muß
man sich uun fragen, welcher Art diese Arbeitskräfte sein würden. Deutsche? Nur
zum geringen Teil. Einmal stellen die Deutschen ein verhältnismäßig geringes
Kontingent von Lohnarbeitern, und dann ist der Deutsche als gelernter Arbeiter
weil kultivierter, auch anspruchsvoller, mithin nicht um viel billiger als der
reichsdeutsche. Die Hauptmasse der nach Deutschland strömenden billigern Arbeiter
würde sich aus dem großen Überschüsse der slawischen Agrarbevvlkerung Österreichs
rekrutieren, und darin liegt das in natioualpolitischer Beziehung sür Deutschland
Bedenkliche einer Zollunion mit Österreich. Schon heute hat Deutschland gegen
die Bildung slawischer Agitationsherdc in industriellen Bezirken sogar im Westen
des Reichs anzukämpfen. Diese Gefahr würde aber im Falle der Zollunion ins
Ungemessene wachsen, denn während es die deutschen Regierungen heute in der
Hand haben, sich des Zuströmens österreichisch-slawischer Arbeiter auf dem Polizeiwege
zu entledigen, würde Deutschland, mit Österreich zollpolitisch geeinigt, über keinerlei
Mittel mehr verfügen, sich der slawischen Invasion zu erwehren, da die Freizügig¬
keit als ein integrierender Bestandteil jeder zvllpolitischeu Vereinigung erscheint.
Anders ist es anch nie aufgefaßt worden, wie schon der ganze Gedankengang des
erwähnten Artikels des französischen Publizisten beweist, der ja gerade das ungehinderte
Zuströmen billiger österreichischer, also slawischer Arbeitskräfte nach Deutschland als
wesentlich für die Zollunion ins Auge faßt. Um das aber auch nach seiner nntivnal-
politischen Seite hin zu würdigen, muß mau sich deu Slawisierungsprozeß, wie er
sich in Österreich vollzieht, vergegenwärtigen. Die landläufigste Formel zur Er¬
klärung dieses Prozesses lautet natürlich: Die Regierung ist schuld! Bekanntlich
das bequemste Argument, das aber wie in so vielen Fällen auch in diesem nicht
zutrifft. Die Regierungen von Taaffe bis Thun haben sicher so manche Sünde
ans ihrem Gewissen, aber um das Vordringen des Slawentums in Österreich zu
erkläre», bedarf es nicht der Berufung auf planmäßige Akte dieser Regierungen.
Vor ihnen, nämlich unter den deutsch-liberalen Ministerien, waren schon genau die¬
selben Erscheinungen zu verzeichnen, und das ist ja auch ganz begreiflich, da sie
nicht politische, sondern ökonomische Ursachen haben. Sprachenverordnungen und
andre administrative Maßregeln konnten die Slawisicrung in Österreich viel¬
leicht fördern aber nicht hervorrufen, denn ihr Erreger ist die auf dem starke»
Überschuß der slawischen Agrarbcvölkerung beruhende Expansionskraft des Slawen¬
tums. Dieser Überschuß verhindert ein Steigen des Arbeitslohns, da der slawische
Arbeiter, weil unkultivierter, auch anspruchsloser ist, und veranlaßt den deutschen
Arbeiter vielfach, seiue Heimat zu verlassen, um in Deutschland einen bessern Lohn
zu suchen, und ihm rückt der slawische Arbeiter in die deutschen Industriegebiete
nach. Überall in Österreich hat so der Slawisiernugsprozcß begonnen, und das
deutsche industrielle Kapital hat in der That in Böhmen und Mähren ans diese Weise
mehr tschechisiert als sämtliche österreichischen Regierungen seit 1879 zusammen-


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[0271] Maßgebliches und Unmaßgebliches geahnten Aufschwung erleben. Die aus Österreich in Massen zuströmenden billigen Arbeitskräfte würden die deutsche Industrie in den Stand setzen, ihre Herstellungs¬ kosten bedeutend zu reduzieren und so die französische Industrie sogar im eignen Lande zu schlagen und zu vernichten. — Von einiger Übertreibung abgesehen ist das Kalkül des französischen Publizisten nicht unrichtig. Der wirtschaftliche Effekt der Zoll¬ union würde vor allein darin bestehn, daß die Vereinigung der starkem deutschen Kapitalmasscu mit den billigern österreichischen Arbeitskräften eine ganz bedeutende Verbillignng und damit Steigerung der deutschen industriellen Produktion herbei¬ führen würde. Für den Zweck dieser Zeilen sind aber die wirtschaftlichen Konse¬ gnenzen der Zollunion für Deutschland Nebensache, auch auf die Möglichkeit einer Revolutionierung des deutschen Arbeiismarkts soll nicht eingegangen werden. Fest¬ zuhalten ist uur, daß Deutschland seinen Hauptvorteil aus den infolge der Zollunion aus Österreich zuströmenden billigen Arbeitskräften zieh» würde. Und da muß man sich uun fragen, welcher Art diese Arbeitskräfte sein würden. Deutsche? Nur zum geringen Teil. Einmal stellen die Deutschen ein verhältnismäßig geringes Kontingent von Lohnarbeitern, und dann ist der Deutsche als gelernter Arbeiter weil kultivierter, auch anspruchsvoller, mithin nicht um viel billiger als der reichsdeutsche. Die Hauptmasse der nach Deutschland strömenden billigern Arbeiter würde sich aus dem großen Überschüsse der slawischen Agrarbevvlkerung Österreichs rekrutieren, und darin liegt das in natioualpolitischer Beziehung sür Deutschland Bedenkliche einer Zollunion mit Österreich. Schon heute hat Deutschland gegen die Bildung slawischer Agitationsherdc in industriellen Bezirken sogar im Westen des Reichs anzukämpfen. Diese Gefahr würde aber im Falle der Zollunion ins Ungemessene wachsen, denn während es die deutschen Regierungen heute in der Hand haben, sich des Zuströmens österreichisch-slawischer Arbeiter auf dem Polizeiwege zu entledigen, würde Deutschland, mit Österreich zollpolitisch geeinigt, über keinerlei Mittel mehr verfügen, sich der slawischen Invasion zu erwehren, da die Freizügig¬ keit als ein integrierender Bestandteil jeder zvllpolitischeu Vereinigung erscheint. Anders ist es anch nie aufgefaßt worden, wie schon der ganze Gedankengang des erwähnten Artikels des französischen Publizisten beweist, der ja gerade das ungehinderte Zuströmen billiger österreichischer, also slawischer Arbeitskräfte nach Deutschland als wesentlich für die Zollunion ins Auge faßt. Um das aber auch nach seiner nntivnal- politischen Seite hin zu würdigen, muß mau sich deu Slawisierungsprozeß, wie er sich in Österreich vollzieht, vergegenwärtigen. Die landläufigste Formel zur Er¬ klärung dieses Prozesses lautet natürlich: Die Regierung ist schuld! Bekanntlich das bequemste Argument, das aber wie in so vielen Fällen auch in diesem nicht zutrifft. Die Regierungen von Taaffe bis Thun haben sicher so manche Sünde ans ihrem Gewissen, aber um das Vordringen des Slawentums in Österreich zu erkläre», bedarf es nicht der Berufung auf planmäßige Akte dieser Regierungen. Vor ihnen, nämlich unter den deutsch-liberalen Ministerien, waren schon genau die¬ selben Erscheinungen zu verzeichnen, und das ist ja auch ganz begreiflich, da sie nicht politische, sondern ökonomische Ursachen haben. Sprachenverordnungen und andre administrative Maßregeln konnten die Slawisicrung in Österreich viel¬ leicht fördern aber nicht hervorrufen, denn ihr Erreger ist die auf dem starke» Überschuß der slawischen Agrarbcvölkerung beruhende Expansionskraft des Slawen¬ tums. Dieser Überschuß verhindert ein Steigen des Arbeitslohns, da der slawische Arbeiter, weil unkultivierter, auch anspruchsloser ist, und veranlaßt den deutschen Arbeiter vielfach, seiue Heimat zu verlassen, um in Deutschland einen bessern Lohn zu suchen, und ihm rückt der slawische Arbeiter in die deutschen Industriegebiete nach. Überall in Österreich hat so der Slawisiernugsprozcß begonnen, und das deutsche industrielle Kapital hat in der That in Böhmen und Mähren ans diese Weise mehr tschechisiert als sämtliche österreichischen Regierungen seit 1879 zusammen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/271>, abgerufen am 27.07.2024.