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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Kur Umgestaltung der Wasserwirtschaft

auf unserm Erdbull aufgestapelten Kohlenenergie verbunden. Die Ansicht,
daß die Dampfkraft als der einzig berufne Trüger der gewerblichen und
industriellen Weiterentwicklung anzusehen sei, wird sehr bald eine starke Ein¬
schränkung erleiden müssen, und zwar um so mehr, als es noch immer nicht
gelungen ist, die motorische Kraft der Kohle in den Dampfmaschinen anch nur
annähernd auszunützen. Nur mit einem verschwenderischen Aufwand von
Brennmaterial werden die im übrigen so erstaunlichen Leistungen der Industrie
erzielt, denn nur 16 bis 16 Prozent der in der Kohle gebnndnen Arbeits¬
kraft können mit den besten Dampfmaschinen wirklich nutzbar gemacht werden,
während die Fallkraft des Wassers in den modernen Turbinen mit 80 bis
85 Prozent zur Wirkung kommt.

Bei der Beachtung dieser Thatsache muß es im Grunde als eine durch¬
aus fehlerhafte Wirtschaftsmethode erscheinen, jetzt schon -- wo man noch
nicht gelernt hat, die Arbeitsenergie der Kohle völlig zur Verwertung zu
bringen -- den ganzen von der Natur geschenkten Kohlenvorrat aufzubrauchen.
Vor zehn Jahren schätzte man die Gesamtstärke aller ans der ganzen Erde
thätigen Dampfmaschinen auf fünfzehn bis zwanzig Millionen Pferdekräfte.
Das ist aber nach weiterer Schätzung nur etwa dreißigmal so viel als die
absolute Arbeitsstärke des Rheins vom Bodensee bis zum Meere, und noch
nicht ganz das Doppelte der Arbeitsleistung des Niagnrafalls. Wenn sich
auch beide, Rhein wie Niagara, aus vielerlei Gründen niemals ganz aus¬
nützen lassen werden, so kann man hieraus doch ermessen, welche riesenhaften
Energiemengen in den ungenützten Fallkräfteu z. V. der gesamten Alpen¬
gewässer, mitten im Herzen des arbeitenden Europas, jahraus jahrein ver¬
loren gehn.

Man darf sagen, das kostbarste Besitztum eiues Volkes ist seine Kraft,
und zwar nicht nnr seine moralische und geistige oder seine Verteidigungs¬
kraft, sondern ganz direkt auch sein Reichtum an nachhaltiger, vielseitiger und
billiger gewerblicher und industrieller Arbeitskraft. Ein Mangel an Roh¬
materialien läßt sich bei dem heutigen Stande der Verkehrsmittel von außen
her durch den Austausch der Industrie- und Gewerbeerzeugnisse ausgleichen.
Dagegen die wirklich schaffenden und werbenden Kräfte der Betriebsamkeit
lassen sich uicht importieren, sie müssen in dem Lande, das sich dauernd im
allgemeinen Wettbewerbe behaupten will, von unten herauf auf starken Wurzeln
fest begründet sein. Neben einer unverweichlichten, intelligenten und fleißigen
Arbeiterschaft ist z. B. in unsrer Zeit der Besitz reichlicher und gut verteilter
Kvhlenschütze eine unerläßliche Bedingung für die Macht eines Landes oder
Erdteils. Nun sind aber einerseits die Kohlenvorräte nicht unerschöpflich, und
andrerseits wird es bei weiterer Steigerung der Bedürfnisse der Industrie an
bewegender Kraft sehr bald nicht mehr möglich sein, die nötigen Kohlenmengen
mit den zur Verfügung stehenden menschlichen Arbeitskräften überhaupt noch
zu fördern. Um welche gewaltige Vermehrung der Kohlenfördermafsen es sich
bei diesem stetigen Anwachsen der Industrie- und Verkehrsverhältnisse handelt,


Kur Umgestaltung der Wasserwirtschaft

auf unserm Erdbull aufgestapelten Kohlenenergie verbunden. Die Ansicht,
daß die Dampfkraft als der einzig berufne Trüger der gewerblichen und
industriellen Weiterentwicklung anzusehen sei, wird sehr bald eine starke Ein¬
schränkung erleiden müssen, und zwar um so mehr, als es noch immer nicht
gelungen ist, die motorische Kraft der Kohle in den Dampfmaschinen anch nur
annähernd auszunützen. Nur mit einem verschwenderischen Aufwand von
Brennmaterial werden die im übrigen so erstaunlichen Leistungen der Industrie
erzielt, denn nur 16 bis 16 Prozent der in der Kohle gebnndnen Arbeits¬
kraft können mit den besten Dampfmaschinen wirklich nutzbar gemacht werden,
während die Fallkraft des Wassers in den modernen Turbinen mit 80 bis
85 Prozent zur Wirkung kommt.

Bei der Beachtung dieser Thatsache muß es im Grunde als eine durch¬
aus fehlerhafte Wirtschaftsmethode erscheinen, jetzt schon — wo man noch
nicht gelernt hat, die Arbeitsenergie der Kohle völlig zur Verwertung zu
bringen — den ganzen von der Natur geschenkten Kohlenvorrat aufzubrauchen.
Vor zehn Jahren schätzte man die Gesamtstärke aller ans der ganzen Erde
thätigen Dampfmaschinen auf fünfzehn bis zwanzig Millionen Pferdekräfte.
Das ist aber nach weiterer Schätzung nur etwa dreißigmal so viel als die
absolute Arbeitsstärke des Rheins vom Bodensee bis zum Meere, und noch
nicht ganz das Doppelte der Arbeitsleistung des Niagnrafalls. Wenn sich
auch beide, Rhein wie Niagara, aus vielerlei Gründen niemals ganz aus¬
nützen lassen werden, so kann man hieraus doch ermessen, welche riesenhaften
Energiemengen in den ungenützten Fallkräfteu z. V. der gesamten Alpen¬
gewässer, mitten im Herzen des arbeitenden Europas, jahraus jahrein ver¬
loren gehn.

Man darf sagen, das kostbarste Besitztum eiues Volkes ist seine Kraft,
und zwar nicht nnr seine moralische und geistige oder seine Verteidigungs¬
kraft, sondern ganz direkt auch sein Reichtum an nachhaltiger, vielseitiger und
billiger gewerblicher und industrieller Arbeitskraft. Ein Mangel an Roh¬
materialien läßt sich bei dem heutigen Stande der Verkehrsmittel von außen
her durch den Austausch der Industrie- und Gewerbeerzeugnisse ausgleichen.
Dagegen die wirklich schaffenden und werbenden Kräfte der Betriebsamkeit
lassen sich uicht importieren, sie müssen in dem Lande, das sich dauernd im
allgemeinen Wettbewerbe behaupten will, von unten herauf auf starken Wurzeln
fest begründet sein. Neben einer unverweichlichten, intelligenten und fleißigen
Arbeiterschaft ist z. B. in unsrer Zeit der Besitz reichlicher und gut verteilter
Kvhlenschütze eine unerläßliche Bedingung für die Macht eines Landes oder
Erdteils. Nun sind aber einerseits die Kohlenvorräte nicht unerschöpflich, und
andrerseits wird es bei weiterer Steigerung der Bedürfnisse der Industrie an
bewegender Kraft sehr bald nicht mehr möglich sein, die nötigen Kohlenmengen
mit den zur Verfügung stehenden menschlichen Arbeitskräften überhaupt noch
zu fördern. Um welche gewaltige Vermehrung der Kohlenfördermafsen es sich
bei diesem stetigen Anwachsen der Industrie- und Verkehrsverhältnisse handelt,


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[0022] Kur Umgestaltung der Wasserwirtschaft auf unserm Erdbull aufgestapelten Kohlenenergie verbunden. Die Ansicht, daß die Dampfkraft als der einzig berufne Trüger der gewerblichen und industriellen Weiterentwicklung anzusehen sei, wird sehr bald eine starke Ein¬ schränkung erleiden müssen, und zwar um so mehr, als es noch immer nicht gelungen ist, die motorische Kraft der Kohle in den Dampfmaschinen anch nur annähernd auszunützen. Nur mit einem verschwenderischen Aufwand von Brennmaterial werden die im übrigen so erstaunlichen Leistungen der Industrie erzielt, denn nur 16 bis 16 Prozent der in der Kohle gebnndnen Arbeits¬ kraft können mit den besten Dampfmaschinen wirklich nutzbar gemacht werden, während die Fallkraft des Wassers in den modernen Turbinen mit 80 bis 85 Prozent zur Wirkung kommt. Bei der Beachtung dieser Thatsache muß es im Grunde als eine durch¬ aus fehlerhafte Wirtschaftsmethode erscheinen, jetzt schon — wo man noch nicht gelernt hat, die Arbeitsenergie der Kohle völlig zur Verwertung zu bringen — den ganzen von der Natur geschenkten Kohlenvorrat aufzubrauchen. Vor zehn Jahren schätzte man die Gesamtstärke aller ans der ganzen Erde thätigen Dampfmaschinen auf fünfzehn bis zwanzig Millionen Pferdekräfte. Das ist aber nach weiterer Schätzung nur etwa dreißigmal so viel als die absolute Arbeitsstärke des Rheins vom Bodensee bis zum Meere, und noch nicht ganz das Doppelte der Arbeitsleistung des Niagnrafalls. Wenn sich auch beide, Rhein wie Niagara, aus vielerlei Gründen niemals ganz aus¬ nützen lassen werden, so kann man hieraus doch ermessen, welche riesenhaften Energiemengen in den ungenützten Fallkräfteu z. V. der gesamten Alpen¬ gewässer, mitten im Herzen des arbeitenden Europas, jahraus jahrein ver¬ loren gehn. Man darf sagen, das kostbarste Besitztum eiues Volkes ist seine Kraft, und zwar nicht nnr seine moralische und geistige oder seine Verteidigungs¬ kraft, sondern ganz direkt auch sein Reichtum an nachhaltiger, vielseitiger und billiger gewerblicher und industrieller Arbeitskraft. Ein Mangel an Roh¬ materialien läßt sich bei dem heutigen Stande der Verkehrsmittel von außen her durch den Austausch der Industrie- und Gewerbeerzeugnisse ausgleichen. Dagegen die wirklich schaffenden und werbenden Kräfte der Betriebsamkeit lassen sich uicht importieren, sie müssen in dem Lande, das sich dauernd im allgemeinen Wettbewerbe behaupten will, von unten herauf auf starken Wurzeln fest begründet sein. Neben einer unverweichlichten, intelligenten und fleißigen Arbeiterschaft ist z. B. in unsrer Zeit der Besitz reichlicher und gut verteilter Kvhlenschütze eine unerläßliche Bedingung für die Macht eines Landes oder Erdteils. Nun sind aber einerseits die Kohlenvorräte nicht unerschöpflich, und andrerseits wird es bei weiterer Steigerung der Bedürfnisse der Industrie an bewegender Kraft sehr bald nicht mehr möglich sein, die nötigen Kohlenmengen mit den zur Verfügung stehenden menschlichen Arbeitskräften überhaupt noch zu fördern. Um welche gewaltige Vermehrung der Kohlenfördermafsen es sich bei diesem stetigen Anwachsen der Industrie- und Verkehrsverhältnisse handelt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/22>, abgerufen am 28.07.2024.