Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches "ut Unmaßgebliches Die Wurzel des Übels sei, dnß die Bestätigung des Bürgermeisters usw. in das Was würde wohl der Erfolg dieses schöne" Rats sein? Zunächst eine turm¬ Allem Anschein nach hat die Mehrheit im Magistratskollegium und vor allem . Wir haben vor einiger Zeit in einem Artikel über Politik und Selbstver- Grcnzbnten IV 190t 27
Maßgebliches »ut Unmaßgebliches Die Wurzel des Übels sei, dnß die Bestätigung des Bürgermeisters usw. in das Was würde wohl der Erfolg dieses schöne» Rats sein? Zunächst eine turm¬ Allem Anschein nach hat die Mehrheit im Magistratskollegium und vor allem . Wir haben vor einiger Zeit in einem Artikel über Politik und Selbstver- Grcnzbnten IV 190t 27
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236039"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches »ut Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_887" prev="#ID_886"> Die Wurzel des Übels sei, dnß die Bestätigung des Bürgermeisters usw. in das<lb/> freie Ermessen des Monarchen gestellt sei. Gegen das ..Bestätigungsrecht" solle<lb/> die Stadt Berlin den Kampf aufnehmen. Das starke Stück Absolutismus, das in<lb/> dem inappellabel» Bestätignngsrecht liege, und das wie ein Hohn auf den Begriff<lb/> der „Selbstverwaltung" erscheine, müsse in seinem Fundament angegriffen werden.<lb/> Ginge die Hauptstadt voran, zahllose Städte würden sich diesem ..wahrhaft libe¬<lb/> ralen Beginnen" mit Begeisterung anschließen. Einen Heisler Kampf — so schließt<lb/> Gerlach — würde es ja kosten. Aber die Stadt Berlin habe nnn doch bei Hofe<lb/> nichts mehr zu verlieren. Sie habe die Wahl: demütig bleiben wie bisher und<lb/> damit allmählich der allgemeinen Mißachtung anheimfallen, oder kämpfen! Nach den<lb/> bisherigen Erfahrungen werde man keinen Kampf, sondern höchstens einen Schein¬<lb/> kampf erwarten dürfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_888"> Was würde wohl der Erfolg dieses schöne» Rats sein? Zunächst eine turm¬<lb/> hohe Blamage der Reichshnnptstadt gegenüber den besser beratnen „zahllosen"<lb/> andern preußischen Stadtgemeinden, was Gerlach vielleicht nicht beabsichtigt. Zweitens<lb/> aber würde die Aufnahme dieses aussichtslosen Kampfes die Konfliktstimmung der<lb/> Stadt gegen den Monarchen und die Staatsregierung — denn nur einseitig kann<lb/> von ihr die Rede sein — verewigen und damit zugleich die Aussicht, die Bürger¬<lb/> schaft vou ihren Wahnvorstellungen und dem Narrenseil der vereinigten Demokraten<lb/> und Svzinldemokrntcn abzubringen, aä Valencias gr^oeas verschieben. Der Libe¬<lb/> ralismus in den Städten soll toll und wild gemacht werden, bis ers zum ernsten<lb/> Konflikt getrieben hat, das ist des Alarmrnfs eigentlicher Zweck. Und leider läßt<lb/> das Verhalten der liberalen Parteien in Berlin diese Spekulation ans ihre Thorheit<lb/> immer noch nicht ganz ungerechtfertigt erscheinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_889"> Allem Anschein nach hat die Mehrheit im Magistratskollegium und vor allem<lb/> der Oberbürgermeister von Berlin den besten Willen, dem provozierenden Treiben<lb/> in der Stadtverordnetenversammlung entgegenzutreten, und neuerdings ist ihm darin<lb/> ein Teil der liberalen Presse, nnmeutlich die Nationalzeitnng, offen und geschickt zu<lb/> Hilfe gekommen. Leider finden die einsichtigen und gemäßigten Elemente in der<lb/> Stadtverordnetenversammlung und auch in der Einwohnerschaft nicht den Mut, dem<lb/> Terrorismus der extremen demokratischen und sozialdemokratischen Mehrheit mit der<lb/> unerläßlichen Energie und Zähigkeit entgegenzutreten. Nichts ist dafür bezeichnender,<lb/> als daß z. B- der Stadtverordnete Mommsen in einer der jüngsten Sitzungen, in der<lb/> über den Bescheid des Oberpräsidenten auf die Wiederwahl des vom König nicht<lb/> bestätigten Stadtrats Kauffmann zum Bürgermeister verhandelt wurde, der Ver¬<lb/> sammlung die Gesetzlichkeit dieses Bescheids darlegte, zugleich aber erklärte, er habe<lb/> "'it dieser seiner Überzeugung vor der Wiederwahl zurückgehalten, um diesen rein<lb/> ^wvnstrativen Akt nicht zu stören und nicht den Schein zu erregen, als ob er die<lb/> . Schäfte der Regierung besorge. Nein, lieber besorgt sogar der berühmte Mommsen<lb/> ^ der Gemeindeverwaltung der Reichshauptstadt heute noch die Geschäfte des Herrn<lb/> ^Ager.</p><lb/> <p xml:id="ID_890" next="#ID_891"> . Wir haben vor einiger Zeit in einem Artikel über Politik und Selbstver-<lb/> altinig die Notwendigkeit einer scharfen Handhabung des Bestätigungsrechts des<lb/> Mgs durch die Verschiebungen in der intellektuellen und politischen Selbstver-<lb/> wltuugsfnhigkeit der großstädtischen Einwohnerschaft begründet, und die neusten<lb/> ^vrgänge in Berlin haben uns in der damals ausgesprochnen Überzeugung nur<lb/> ^stärkt. Die großen Masse», meist aus dem Osten zngezogne Industriearbeiter<lb/> "> Verbindung mit deu ebensowenig wurzelechteu zahlreichen proletarischen Nnter-<lb/> nehmerexistenzen haben in Berlin der Sozialdemokratie die Stimmenmehrheit ver¬<lb/> schafft, die bei den Reichstagswnhlen den Ausschlag giebt und anch bei den Stadt-<lb/> verordnetenwnhlen immer mehr zur Geltung kommt. Das allein schon muß einen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzbnten IV 190t 27</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0217]
Maßgebliches »ut Unmaßgebliches
Die Wurzel des Übels sei, dnß die Bestätigung des Bürgermeisters usw. in das
freie Ermessen des Monarchen gestellt sei. Gegen das ..Bestätigungsrecht" solle
die Stadt Berlin den Kampf aufnehmen. Das starke Stück Absolutismus, das in
dem inappellabel» Bestätignngsrecht liege, und das wie ein Hohn auf den Begriff
der „Selbstverwaltung" erscheine, müsse in seinem Fundament angegriffen werden.
Ginge die Hauptstadt voran, zahllose Städte würden sich diesem ..wahrhaft libe¬
ralen Beginnen" mit Begeisterung anschließen. Einen Heisler Kampf — so schließt
Gerlach — würde es ja kosten. Aber die Stadt Berlin habe nnn doch bei Hofe
nichts mehr zu verlieren. Sie habe die Wahl: demütig bleiben wie bisher und
damit allmählich der allgemeinen Mißachtung anheimfallen, oder kämpfen! Nach den
bisherigen Erfahrungen werde man keinen Kampf, sondern höchstens einen Schein¬
kampf erwarten dürfen.
Was würde wohl der Erfolg dieses schöne» Rats sein? Zunächst eine turm¬
hohe Blamage der Reichshnnptstadt gegenüber den besser beratnen „zahllosen"
andern preußischen Stadtgemeinden, was Gerlach vielleicht nicht beabsichtigt. Zweitens
aber würde die Aufnahme dieses aussichtslosen Kampfes die Konfliktstimmung der
Stadt gegen den Monarchen und die Staatsregierung — denn nur einseitig kann
von ihr die Rede sein — verewigen und damit zugleich die Aussicht, die Bürger¬
schaft vou ihren Wahnvorstellungen und dem Narrenseil der vereinigten Demokraten
und Svzinldemokrntcn abzubringen, aä Valencias gr^oeas verschieben. Der Libe¬
ralismus in den Städten soll toll und wild gemacht werden, bis ers zum ernsten
Konflikt getrieben hat, das ist des Alarmrnfs eigentlicher Zweck. Und leider läßt
das Verhalten der liberalen Parteien in Berlin diese Spekulation ans ihre Thorheit
immer noch nicht ganz ungerechtfertigt erscheinen.
Allem Anschein nach hat die Mehrheit im Magistratskollegium und vor allem
der Oberbürgermeister von Berlin den besten Willen, dem provozierenden Treiben
in der Stadtverordnetenversammlung entgegenzutreten, und neuerdings ist ihm darin
ein Teil der liberalen Presse, nnmeutlich die Nationalzeitnng, offen und geschickt zu
Hilfe gekommen. Leider finden die einsichtigen und gemäßigten Elemente in der
Stadtverordnetenversammlung und auch in der Einwohnerschaft nicht den Mut, dem
Terrorismus der extremen demokratischen und sozialdemokratischen Mehrheit mit der
unerläßlichen Energie und Zähigkeit entgegenzutreten. Nichts ist dafür bezeichnender,
als daß z. B- der Stadtverordnete Mommsen in einer der jüngsten Sitzungen, in der
über den Bescheid des Oberpräsidenten auf die Wiederwahl des vom König nicht
bestätigten Stadtrats Kauffmann zum Bürgermeister verhandelt wurde, der Ver¬
sammlung die Gesetzlichkeit dieses Bescheids darlegte, zugleich aber erklärte, er habe
"'it dieser seiner Überzeugung vor der Wiederwahl zurückgehalten, um diesen rein
^wvnstrativen Akt nicht zu stören und nicht den Schein zu erregen, als ob er die
. Schäfte der Regierung besorge. Nein, lieber besorgt sogar der berühmte Mommsen
^ der Gemeindeverwaltung der Reichshauptstadt heute noch die Geschäfte des Herrn
^Ager.
. Wir haben vor einiger Zeit in einem Artikel über Politik und Selbstver-
altinig die Notwendigkeit einer scharfen Handhabung des Bestätigungsrechts des
Mgs durch die Verschiebungen in der intellektuellen und politischen Selbstver-
wltuugsfnhigkeit der großstädtischen Einwohnerschaft begründet, und die neusten
^vrgänge in Berlin haben uns in der damals ausgesprochnen Überzeugung nur
^stärkt. Die großen Masse», meist aus dem Osten zngezogne Industriearbeiter
"> Verbindung mit deu ebensowenig wurzelechteu zahlreichen proletarischen Nnter-
nehmerexistenzen haben in Berlin der Sozialdemokratie die Stimmenmehrheit ver¬
schafft, die bei den Reichstagswnhlen den Ausschlag giebt und anch bei den Stadt-
verordnetenwnhlen immer mehr zur Geltung kommt. Das allein schon muß einen
Grcnzbnten IV 190t 27
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