Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Fenster Aussicht gewähren ans das tief unten brausende Meer, Die übrigen
zierlichen polierten Rosasäulcheu machen den Hauptschmuck der Arkaden aus.
Mit ihrer gefälligen Basis stehn sie auf niedriger Mauer in zwei Reihen, aber
nicht gekuppelt nebeneinander, wie sonst wohl üblich bei den italienischen
Klostcrhöfen, sondern im Zickzack der Eggcstellung. So werde", von vorn ge¬
sehen, die Säulen der hintern Reihe nicht verdeckt durch die der vordern Reihe,
sondern treten sichtbar zwischen deren Bogen, Die Kapitäle sind einfach.
Über einem Ring hebt sich elastisch ein breiter Knauf, recht geeignet als
Träger für die elegant profilierten gotischen Bogen, Treten so die konstruk¬
tiven Elemente in ihren edeln zierlichen Formen klar heraus, so thut es nun
dem Auge wohl, wenn die Füllungen zwischen deu Bogen reich belebt sind.
Blumen und Blätter quellen in überraschender Nntnrwahrheit ans dem Stein
hervor und ranken sich an die Bogen und deu reichen Blumenfries, der sich
wie eine Guirlande über deu Bogen entlang zieht, Rosetten, Gestalten und
das von einem Thron überdachte Lamm werden von Eiche und Ephen, Klee
und Bärenklau, Disteln, Rosen und Blumengewinden umspielt, Und welche
Farbenfülle in dem edeln Rosa des Granits, in den mosaikartigen Marmvr-
uud Stuckfülluugen zwischen den Bogen und der zarten Bemalung im Innern
deS Kreuzgangs! Wahrlich, in unvergänglicher Blumenpracht eine glänzende
vordvillö an den heiligen Michael!

Ein Vergleich mit den italienischen Klosterhösen läßt vermuten, ans
welchem Boden diese Blüte normannischer Oruainentntivn gesprossen ist. Im
glünzeudeu Kreuzgang von Mvnreale bei Palermo zeigen die gekuppelten
Säule", die die Spitzbogen tragen, an den Kapitäle" dieselbe quellende Fülle
von Blätterschmuck verbunden mit zierlichen Neliefdarstellungen vo" Figuren.
U"d i" den Kreuzgängen von S, Giovanni und S. Piloto in Rom rufe" die
spiralförmig gewundnen Säulenschäfte, der in den verschiedensten Farben ver¬
wandte Marmor, die reichen Kapitäle und Bogendekorationen viel mehr den
Eindruck heiterster Lebenslust und stolzer Pracht hervor, als den mönchischer
Abgeschlossenheit. Sollte nicht Raoul de Villedieu den römischen iri-u-moiarii,
die diesen Klosterhöfen ihren glänzende" vorwiegend dekorativen Charakter ge¬
geben hatten, mich i" Se, Michel die so ähnliche Ornamentation übertrage"
habe"? Bei den damaligen engen Beziehungen zwischen der Normandie und
Italien lag das sehr nahe; mau berief diese Marmor- und Stuckarbeiter ii"
zwölften und dreizehnten Jahrhundert, wo sie zu großem Ansehen gelangt
waren, weithin bis nach England, Aber wie bei so vielen bedeutenden Werken
der Kunst ist der Name des ausführenden Künstlers unbekannt. Die Legende
des Berges erzählt von einem Gefangnen, Gauttier, der aus irgend einem
Grunde im Kloster eingeschlossen war. Um sich zu beschäftigen und zu trösten
schnitt er den Stein und begann die wundersame Arbeit. Man versprach ihm
zur Belohnung die Freiheit. Aber als er sein Werk vollendet hatte, war auch
seine Kraft verzehrt? er hatte seine künstlerischen Ideen nicht völlig in den
Stein zu gießen vermocht und wurde darüber wahnsinnig. Vom Sant-Gauttier


Fenster Aussicht gewähren ans das tief unten brausende Meer, Die übrigen
zierlichen polierten Rosasäulcheu machen den Hauptschmuck der Arkaden aus.
Mit ihrer gefälligen Basis stehn sie auf niedriger Mauer in zwei Reihen, aber
nicht gekuppelt nebeneinander, wie sonst wohl üblich bei den italienischen
Klostcrhöfen, sondern im Zickzack der Eggcstellung. So werde», von vorn ge¬
sehen, die Säulen der hintern Reihe nicht verdeckt durch die der vordern Reihe,
sondern treten sichtbar zwischen deren Bogen, Die Kapitäle sind einfach.
Über einem Ring hebt sich elastisch ein breiter Knauf, recht geeignet als
Träger für die elegant profilierten gotischen Bogen, Treten so die konstruk¬
tiven Elemente in ihren edeln zierlichen Formen klar heraus, so thut es nun
dem Auge wohl, wenn die Füllungen zwischen deu Bogen reich belebt sind.
Blumen und Blätter quellen in überraschender Nntnrwahrheit ans dem Stein
hervor und ranken sich an die Bogen und deu reichen Blumenfries, der sich
wie eine Guirlande über deu Bogen entlang zieht, Rosetten, Gestalten und
das von einem Thron überdachte Lamm werden von Eiche und Ephen, Klee
und Bärenklau, Disteln, Rosen und Blumengewinden umspielt, Und welche
Farbenfülle in dem edeln Rosa des Granits, in den mosaikartigen Marmvr-
uud Stuckfülluugen zwischen den Bogen und der zarten Bemalung im Innern
deS Kreuzgangs! Wahrlich, in unvergänglicher Blumenpracht eine glänzende
vordvillö an den heiligen Michael!

Ein Vergleich mit den italienischen Klosterhösen läßt vermuten, ans
welchem Boden diese Blüte normannischer Oruainentntivn gesprossen ist. Im
glünzeudeu Kreuzgang von Mvnreale bei Palermo zeigen die gekuppelten
Säule», die die Spitzbogen tragen, an den Kapitäle» dieselbe quellende Fülle
von Blätterschmuck verbunden mit zierlichen Neliefdarstellungen vo» Figuren.
U»d i» den Kreuzgängen von S, Giovanni und S. Piloto in Rom rufe« die
spiralförmig gewundnen Säulenschäfte, der in den verschiedensten Farben ver¬
wandte Marmor, die reichen Kapitäle und Bogendekorationen viel mehr den
Eindruck heiterster Lebenslust und stolzer Pracht hervor, als den mönchischer
Abgeschlossenheit. Sollte nicht Raoul de Villedieu den römischen iri-u-moiarii,
die diesen Klosterhöfen ihren glänzende» vorwiegend dekorativen Charakter ge¬
geben hatten, mich i» Se, Michel die so ähnliche Ornamentation übertrage»
habe»? Bei den damaligen engen Beziehungen zwischen der Normandie und
Italien lag das sehr nahe; mau berief diese Marmor- und Stuckarbeiter ii»
zwölften und dreizehnten Jahrhundert, wo sie zu großem Ansehen gelangt
waren, weithin bis nach England, Aber wie bei so vielen bedeutenden Werken
der Kunst ist der Name des ausführenden Künstlers unbekannt. Die Legende
des Berges erzählt von einem Gefangnen, Gauttier, der aus irgend einem
Grunde im Kloster eingeschlossen war. Um sich zu beschäftigen und zu trösten
schnitt er den Stein und begann die wundersame Arbeit. Man versprach ihm
zur Belohnung die Freiheit. Aber als er sein Werk vollendet hatte, war auch
seine Kraft verzehrt? er hatte seine künstlerischen Ideen nicht völlig in den
Stein zu gießen vermocht und wurde darüber wahnsinnig. Vom Sant-Gauttier


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236026"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_751" prev="#ID_750"> Fenster Aussicht gewähren ans das tief unten brausende Meer, Die übrigen<lb/>
zierlichen polierten Rosasäulcheu machen den Hauptschmuck der Arkaden aus.<lb/>
Mit ihrer gefälligen Basis stehn sie auf niedriger Mauer in zwei Reihen, aber<lb/>
nicht gekuppelt nebeneinander, wie sonst wohl üblich bei den italienischen<lb/>
Klostcrhöfen, sondern im Zickzack der Eggcstellung. So werde», von vorn ge¬<lb/>
sehen, die Säulen der hintern Reihe nicht verdeckt durch die der vordern Reihe,<lb/>
sondern treten sichtbar zwischen deren Bogen, Die Kapitäle sind einfach.<lb/>
Über einem Ring hebt sich elastisch ein breiter Knauf, recht geeignet als<lb/>
Träger für die elegant profilierten gotischen Bogen, Treten so die konstruk¬<lb/>
tiven Elemente in ihren edeln zierlichen Formen klar heraus, so thut es nun<lb/>
dem Auge wohl, wenn die Füllungen zwischen deu Bogen reich belebt sind.<lb/>
Blumen und Blätter quellen in überraschender Nntnrwahrheit ans dem Stein<lb/>
hervor und ranken sich an die Bogen und deu reichen Blumenfries, der sich<lb/>
wie eine Guirlande über deu Bogen entlang zieht, Rosetten, Gestalten und<lb/>
das von einem Thron überdachte Lamm werden von Eiche und Ephen, Klee<lb/>
und Bärenklau, Disteln, Rosen und Blumengewinden umspielt, Und welche<lb/>
Farbenfülle in dem edeln Rosa des Granits, in den mosaikartigen Marmvr-<lb/>
uud Stuckfülluugen zwischen den Bogen und der zarten Bemalung im Innern<lb/>
deS Kreuzgangs! Wahrlich, in unvergänglicher Blumenpracht eine glänzende<lb/>
vordvillö an den heiligen Michael!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_752" next="#ID_753"> Ein Vergleich mit den italienischen Klosterhösen läßt vermuten, ans<lb/>
welchem Boden diese Blüte normannischer Oruainentntivn gesprossen ist. Im<lb/>
glünzeudeu Kreuzgang von Mvnreale bei Palermo zeigen die gekuppelten<lb/>
Säule», die die Spitzbogen tragen, an den Kapitäle» dieselbe quellende Fülle<lb/>
von Blätterschmuck verbunden mit zierlichen Neliefdarstellungen vo» Figuren.<lb/>
U»d i» den Kreuzgängen von S, Giovanni und S. Piloto in Rom rufe« die<lb/>
spiralförmig gewundnen Säulenschäfte, der in den verschiedensten Farben ver¬<lb/>
wandte Marmor, die reichen Kapitäle und Bogendekorationen viel mehr den<lb/>
Eindruck heiterster Lebenslust und stolzer Pracht hervor, als den mönchischer<lb/>
Abgeschlossenheit. Sollte nicht Raoul de Villedieu den römischen iri-u-moiarii,<lb/>
die diesen Klosterhöfen ihren glänzende» vorwiegend dekorativen Charakter ge¬<lb/>
geben hatten, mich i» Se, Michel die so ähnliche Ornamentation übertrage»<lb/>
habe»? Bei den damaligen engen Beziehungen zwischen der Normandie und<lb/>
Italien lag das sehr nahe; mau berief diese Marmor- und Stuckarbeiter ii»<lb/>
zwölften und dreizehnten Jahrhundert, wo sie zu großem Ansehen gelangt<lb/>
waren, weithin bis nach England, Aber wie bei so vielen bedeutenden Werken<lb/>
der Kunst ist der Name des ausführenden Künstlers unbekannt. Die Legende<lb/>
des Berges erzählt von einem Gefangnen, Gauttier, der aus irgend einem<lb/>
Grunde im Kloster eingeschlossen war. Um sich zu beschäftigen und zu trösten<lb/>
schnitt er den Stein und begann die wundersame Arbeit. Man versprach ihm<lb/>
zur Belohnung die Freiheit. Aber als er sein Werk vollendet hatte, war auch<lb/>
seine Kraft verzehrt? er hatte seine künstlerischen Ideen nicht völlig in den<lb/>
Stein zu gießen vermocht und wurde darüber wahnsinnig. Vom Sant-Gauttier</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0204] Fenster Aussicht gewähren ans das tief unten brausende Meer, Die übrigen zierlichen polierten Rosasäulcheu machen den Hauptschmuck der Arkaden aus. Mit ihrer gefälligen Basis stehn sie auf niedriger Mauer in zwei Reihen, aber nicht gekuppelt nebeneinander, wie sonst wohl üblich bei den italienischen Klostcrhöfen, sondern im Zickzack der Eggcstellung. So werde», von vorn ge¬ sehen, die Säulen der hintern Reihe nicht verdeckt durch die der vordern Reihe, sondern treten sichtbar zwischen deren Bogen, Die Kapitäle sind einfach. Über einem Ring hebt sich elastisch ein breiter Knauf, recht geeignet als Träger für die elegant profilierten gotischen Bogen, Treten so die konstruk¬ tiven Elemente in ihren edeln zierlichen Formen klar heraus, so thut es nun dem Auge wohl, wenn die Füllungen zwischen deu Bogen reich belebt sind. Blumen und Blätter quellen in überraschender Nntnrwahrheit ans dem Stein hervor und ranken sich an die Bogen und deu reichen Blumenfries, der sich wie eine Guirlande über deu Bogen entlang zieht, Rosetten, Gestalten und das von einem Thron überdachte Lamm werden von Eiche und Ephen, Klee und Bärenklau, Disteln, Rosen und Blumengewinden umspielt, Und welche Farbenfülle in dem edeln Rosa des Granits, in den mosaikartigen Marmvr- uud Stuckfülluugen zwischen den Bogen und der zarten Bemalung im Innern deS Kreuzgangs! Wahrlich, in unvergänglicher Blumenpracht eine glänzende vordvillö an den heiligen Michael! Ein Vergleich mit den italienischen Klosterhösen läßt vermuten, ans welchem Boden diese Blüte normannischer Oruainentntivn gesprossen ist. Im glünzeudeu Kreuzgang von Mvnreale bei Palermo zeigen die gekuppelten Säule», die die Spitzbogen tragen, an den Kapitäle» dieselbe quellende Fülle von Blätterschmuck verbunden mit zierlichen Neliefdarstellungen vo» Figuren. U»d i» den Kreuzgängen von S, Giovanni und S. Piloto in Rom rufe« die spiralförmig gewundnen Säulenschäfte, der in den verschiedensten Farben ver¬ wandte Marmor, die reichen Kapitäle und Bogendekorationen viel mehr den Eindruck heiterster Lebenslust und stolzer Pracht hervor, als den mönchischer Abgeschlossenheit. Sollte nicht Raoul de Villedieu den römischen iri-u-moiarii, die diesen Klosterhöfen ihren glänzende» vorwiegend dekorativen Charakter ge¬ geben hatten, mich i» Se, Michel die so ähnliche Ornamentation übertrage» habe»? Bei den damaligen engen Beziehungen zwischen der Normandie und Italien lag das sehr nahe; mau berief diese Marmor- und Stuckarbeiter ii» zwölften und dreizehnten Jahrhundert, wo sie zu großem Ansehen gelangt waren, weithin bis nach England, Aber wie bei so vielen bedeutenden Werken der Kunst ist der Name des ausführenden Künstlers unbekannt. Die Legende des Berges erzählt von einem Gefangnen, Gauttier, der aus irgend einem Grunde im Kloster eingeschlossen war. Um sich zu beschäftigen und zu trösten schnitt er den Stein und begann die wundersame Arbeit. Man versprach ihm zur Belohnung die Freiheit. Aber als er sein Werk vollendet hatte, war auch seine Kraft verzehrt? er hatte seine künstlerischen Ideen nicht völlig in den Stein zu gießen vermocht und wurde darüber wahnsinnig. Vom Sant-Gauttier

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/204
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/204>, abgerufen am 01.09.2024.