Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Mont Se. Michel und der Michaelsknltns Wenn er dann in dem reichen Kirchenschah als Hauptreliquien den Körper Wie eindrucksvoll mußten in dieser Umgebung und in dieser Stimmung Parallel zur Kirche liegt die Merveille. In drei hohen Stockwerke" In den Unterbauten sind die bemerkenswertesten Räume die in den Felsen Das erste Stockwerk wird von der iwmöiuzriv und dem ok11i<zr ein- Greuzbowi >V 1W1 25
Mont Se. Michel und der Michaelsknltns Wenn er dann in dem reichen Kirchenschah als Hauptreliquien den Körper Wie eindrucksvoll mußten in dieser Umgebung und in dieser Stimmung Parallel zur Kirche liegt die Merveille. In drei hohen Stockwerke» In den Unterbauten sind die bemerkenswertesten Räume die in den Felsen Das erste Stockwerk wird von der iwmöiuzriv und dem ok11i<zr ein- Greuzbowi >V 1W1 25
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236023"/> <fw type="header" place="top"> Mont Se. Michel und der Michaelsknltns</fw><lb/> <p xml:id="ID_740" prev="#ID_739"> Wenn er dann in dem reichen Kirchenschah als Hauptreliquien den Körper<lb/> und das Haupt des Heiligen sah mit dem Loch im Schädel? Mahnung zu<lb/> unbedingtem Glauben war der Gruß an die Pilger, wenn sie zum Feste herbei¬<lb/> strömten.</p><lb/> <p xml:id="ID_741"> Wie eindrucksvoll mußten in dieser Umgebung und in dieser Stimmung<lb/> die Osterzercmonieu und seit Ende des vierzehnten Jahrhunderts die Oster-<lb/> anfführunge» wirken, deren Inszenierung in einem besondern Manuskripte be-<lb/> schrieben wird. Glockenklang, Jubelruf und Freudenschüsse begleiteten sie.<lb/> Heute sind die Glocken verstummt, deren dreifache Aufgabe es war, die<lb/> Mönche zum Gebet, die Krieger zum Kampfe zu rufen und den Verirrten<lb/> Wegweiser zu sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_742"> Parallel zur Kirche liegt die Merveille. In drei hohen Stockwerke»<lb/> steigt sie über die massigen Unterbauten empor, und jedes Stockwerk enthält<lb/> zwei mächtige Räume. Es liegen von Osten »ach Westen: im ersten Stock¬<lb/> werk die lmirwnöriö und der oellivr (Keller), im zweiten Stockwerk das rotvo-<lb/> wirv und die salls 6ö8 elivv^liörs. im dritten Stockwerk das Äorloir und der<lb/> venti'ö (Kreuzgang),</p><lb/> <p xml:id="ID_743"> In den Unterbauten sind die bemerkenswertesten Räume die in den Felsen<lb/> gehauene orypte as l'^e-unam, in der schon 1156 der Jungfrau ein Altar ge¬<lb/> weiht wurde, und das alte xroinenoir, ebenfalls aus dem zwölften Jahr¬<lb/> hundert. In beiden ruhn ans niedrigen Säulen mit plumpen romanischen<lb/> Kapitälen breit ausladende Wölbungen. Eine andre Krypte diente als Kirch¬<lb/> hof. Die Verstorbnen wurden ohne Sarg in Kalk gelegt, wie es noch hente<lb/> in Italien und im Orient in vielen Klöstern Gebrauch ist, wo dann nach<lb/> einigen Jahren ihre Schädel und Gebeine ausgegraben und in den schaurigen<lb/> Beinhäusern gesammelt werden. Vielleicht hatte auch Se. Michel seine Schädel¬<lb/> stätte. Ebenso unheimlich berühren aber andre Räume im Felsen, zu denen<lb/> man nur durch enge winklige Treppen hiuabgelangt, die nlteu Bußzelleu für<lb/> die Mönche und die Gefängnisse für die spätern Gefangnen des Bergs wie<lb/> La Balue und Dubourg. In denen „des kleinen Exils" blieben die Gefangnen<lb/> »ur einige Tage, aber ans denen des großen Exils, engen Löchern von<lb/> anderthalb Meter Länge und einem Meter Breite, kamen sie kaum lebendig wieder<lb/> hervor. Welche dunkle Kehrseite zeigt das Innere des Bergs zu den glanz¬<lb/> vollen Bauten, die auf ihm ruhn!</p><lb/> <p xml:id="ID_744" next="#ID_745"> Das erste Stockwerk wird von der iwmöiuzriv und dem ok11i<zr ein-<lb/> geiwmmen. Für den Verkehr im Mittelalter waren die mönchischen Gemein¬<lb/> schaften von ungeheuerm Wert. In einer Zeit, wo die Straßen wenig sicher<lb/> waren, und Gasthäuser fehlten, boten sie dem Reisenden in ihrem Freinden-<lb/> rcmm eine sichere Zufluchtsstätte und wertvolle Gastfreundschaft. In der<lb/> Almoseuverteilung den Bedürftigen gegenüber aber erfüllten sie in reichste»,<lb/> Maße die soziale» Pflichte» des Christentums. Für das Kloster Clunh kennen<lb/> wir noch die Gewohnheiten und genauen Vorschriften für den Almosenier<lb/> während des elften Jahrhunderts: „Wie die Reiter von de», Verwalter des</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Greuzbowi >V 1W1 25</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0201]
Mont Se. Michel und der Michaelsknltns
Wenn er dann in dem reichen Kirchenschah als Hauptreliquien den Körper
und das Haupt des Heiligen sah mit dem Loch im Schädel? Mahnung zu
unbedingtem Glauben war der Gruß an die Pilger, wenn sie zum Feste herbei¬
strömten.
Wie eindrucksvoll mußten in dieser Umgebung und in dieser Stimmung
die Osterzercmonieu und seit Ende des vierzehnten Jahrhunderts die Oster-
anfführunge» wirken, deren Inszenierung in einem besondern Manuskripte be-
schrieben wird. Glockenklang, Jubelruf und Freudenschüsse begleiteten sie.
Heute sind die Glocken verstummt, deren dreifache Aufgabe es war, die
Mönche zum Gebet, die Krieger zum Kampfe zu rufen und den Verirrten
Wegweiser zu sein.
Parallel zur Kirche liegt die Merveille. In drei hohen Stockwerke»
steigt sie über die massigen Unterbauten empor, und jedes Stockwerk enthält
zwei mächtige Räume. Es liegen von Osten »ach Westen: im ersten Stock¬
werk die lmirwnöriö und der oellivr (Keller), im zweiten Stockwerk das rotvo-
wirv und die salls 6ö8 elivv^liörs. im dritten Stockwerk das Äorloir und der
venti'ö (Kreuzgang),
In den Unterbauten sind die bemerkenswertesten Räume die in den Felsen
gehauene orypte as l'^e-unam, in der schon 1156 der Jungfrau ein Altar ge¬
weiht wurde, und das alte xroinenoir, ebenfalls aus dem zwölften Jahr¬
hundert. In beiden ruhn ans niedrigen Säulen mit plumpen romanischen
Kapitälen breit ausladende Wölbungen. Eine andre Krypte diente als Kirch¬
hof. Die Verstorbnen wurden ohne Sarg in Kalk gelegt, wie es noch hente
in Italien und im Orient in vielen Klöstern Gebrauch ist, wo dann nach
einigen Jahren ihre Schädel und Gebeine ausgegraben und in den schaurigen
Beinhäusern gesammelt werden. Vielleicht hatte auch Se. Michel seine Schädel¬
stätte. Ebenso unheimlich berühren aber andre Räume im Felsen, zu denen
man nur durch enge winklige Treppen hiuabgelangt, die nlteu Bußzelleu für
die Mönche und die Gefängnisse für die spätern Gefangnen des Bergs wie
La Balue und Dubourg. In denen „des kleinen Exils" blieben die Gefangnen
»ur einige Tage, aber ans denen des großen Exils, engen Löchern von
anderthalb Meter Länge und einem Meter Breite, kamen sie kaum lebendig wieder
hervor. Welche dunkle Kehrseite zeigt das Innere des Bergs zu den glanz¬
vollen Bauten, die auf ihm ruhn!
Das erste Stockwerk wird von der iwmöiuzriv und dem ok11i<zr ein-
geiwmmen. Für den Verkehr im Mittelalter waren die mönchischen Gemein¬
schaften von ungeheuerm Wert. In einer Zeit, wo die Straßen wenig sicher
waren, und Gasthäuser fehlten, boten sie dem Reisenden in ihrem Freinden-
rcmm eine sichere Zufluchtsstätte und wertvolle Gastfreundschaft. In der
Almoseuverteilung den Bedürftigen gegenüber aber erfüllten sie in reichste»,
Maße die soziale» Pflichte» des Christentums. Für das Kloster Clunh kennen
wir noch die Gewohnheiten und genauen Vorschriften für den Almosenier
während des elften Jahrhunderts: „Wie die Reiter von de», Verwalter des
Greuzbowi >V 1W1 25
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