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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Gi'zuchuiig zur Mündigkeit oder Lotung dor Uüinündigctt?

klerikale" Pädagogik kam, doch auch die Kirche nicht Selbstzweck sein. Für
den Pnrteifanatiker ist es freilich bequem, diese Annahme der Kirche unterzu¬
schieben und ihre" Auspruch ans die Schule kurzweg aus ihrer Herrschsucht
abzuleiten. Es ist ja auch unzweifelhaft, daß das einzelne Werkzeug der Kirche
von hierarchischen Gelüsten geleitet sein kann. Aber es geht ihm dann eben
wie dem Geizhals, dem das Geld, dieses so unverkennbar zum Mittel bestimmte
Ding, Selbstzweck geworden ist. Ohne Frage hat auch das Kapital an Macht
über die Seelen für die Kirche ursprünglich nur den Wert eines Mittels im
Dienst eines höhern Zwecks: des Heils der anvertrauten Seelen, und mau
darf der Kirche in ihrer Gesamtheit nicht nachsagen, daß sie diesen Zweck ver¬
gessen habe. Eben darum wird man gut thun, wo die Kirche zu einer Frage
geschlossen Stellung nimmt, diese Stellung immer in Zusammenhang mit diesem
Zweck zu denken, womit ja ein Verzicht auf die sachliche Kritik dieser Stellung¬
nahme noch nicht gegeben ist. In unserm Falle wird also die klerikale Be¬
stimmung des Verhältnisses vou .Kirche und Schule aus dem tiefern Sinn
dieses Zwecks begriffen werden müssen.

Der gesuchte Unterschied darf nämlich nicht aus einer verschiedenen In¬
haltsbestimmung des pädagogischen Ziels abgeleitet werden. Über eine solche
herrscht bekanntlich auch innerhalb des protestantischen Lagers keinerlei Ein¬
mütigkeit. Die Möglichkeit, einen Unterschied der Ziele zwischen katholischer
und protestantischer Pädagogik festzustellen, ergiebt sich nur aus einer ver-
jchiednen Begrenzung der Aufgabe der Erziehung. Die Frage, ob die Thätig¬
keit des Erziehers und Uuterrichtens Zweck für sich oder Selbstzweck sei,
scheidet die Geister. Sie in dieser nackten Fassung zu bejahen, werden ja
freilich nur wenige den Mut haben. Denn in der That erscheint die päda¬
gogische Arbeit sehr verschieden etwa von der Arbeit des gelehrten Forschers,
von der Geistesthätigkeit des Dichters oder des Künstlers, die ihren Zweck in
sich selbst haben. Wir werden geneigt sein, die Leistung des Erziehers als
eine Art Führung anzusehen. Gleichgültig, welches das Ziel ist, jedenfalls
giebt es ein Ziel für sie. Sobald sie zu ihm hingeführt hat, ist sie ab¬
geschlossen. Mit andern Worten, die Aufgabe des Erziehers ist begrenzt; sein
Werk ist eines Tages abgeschlossen. Will man anch die Unfertigkeit alles
Menscheuwesens noch so sehr betonen, so kann man doch nicht verkennen, daß
die Erziehung als richtnng- und maßgebende Beeinflussung der Entwicklung
eines Menschen nnter normalen Verhältnissen eines Tags aufhört. Was der
erwachsene Mensch nachher an sich selbst thut, mag Selbsterziehung oder Selbst¬
zucht genaunt werden. Unter den Begriff der Erziehung im pädagogischen
Sinne fällt das jedenfalls nicht.

Diese Auffassung ist aber doch nicht die einzig mögliche. Betrachten
wir die Erziehung weiter unter dem Bilde der Führung: muß sich alle
Führung ihrem Begriff nach eines Tags selbst überflüssig machen? Die
Führung des Wegunkundigen durch den Wegkuudigeu hört am Ziel von selbst
auf; die Leitung des Kindes, das gehn lernt, durch die Mutter, wird eines


Gi'zuchuiig zur Mündigkeit oder Lotung dor Uüinündigctt?

klerikale» Pädagogik kam, doch auch die Kirche nicht Selbstzweck sein. Für
den Pnrteifanatiker ist es freilich bequem, diese Annahme der Kirche unterzu¬
schieben und ihre» Auspruch ans die Schule kurzweg aus ihrer Herrschsucht
abzuleiten. Es ist ja auch unzweifelhaft, daß das einzelne Werkzeug der Kirche
von hierarchischen Gelüsten geleitet sein kann. Aber es geht ihm dann eben
wie dem Geizhals, dem das Geld, dieses so unverkennbar zum Mittel bestimmte
Ding, Selbstzweck geworden ist. Ohne Frage hat auch das Kapital an Macht
über die Seelen für die Kirche ursprünglich nur den Wert eines Mittels im
Dienst eines höhern Zwecks: des Heils der anvertrauten Seelen, und mau
darf der Kirche in ihrer Gesamtheit nicht nachsagen, daß sie diesen Zweck ver¬
gessen habe. Eben darum wird man gut thun, wo die Kirche zu einer Frage
geschlossen Stellung nimmt, diese Stellung immer in Zusammenhang mit diesem
Zweck zu denken, womit ja ein Verzicht auf die sachliche Kritik dieser Stellung¬
nahme noch nicht gegeben ist. In unserm Falle wird also die klerikale Be¬
stimmung des Verhältnisses vou .Kirche und Schule aus dem tiefern Sinn
dieses Zwecks begriffen werden müssen.

Der gesuchte Unterschied darf nämlich nicht aus einer verschiedenen In¬
haltsbestimmung des pädagogischen Ziels abgeleitet werden. Über eine solche
herrscht bekanntlich auch innerhalb des protestantischen Lagers keinerlei Ein¬
mütigkeit. Die Möglichkeit, einen Unterschied der Ziele zwischen katholischer
und protestantischer Pädagogik festzustellen, ergiebt sich nur aus einer ver-
jchiednen Begrenzung der Aufgabe der Erziehung. Die Frage, ob die Thätig¬
keit des Erziehers und Uuterrichtens Zweck für sich oder Selbstzweck sei,
scheidet die Geister. Sie in dieser nackten Fassung zu bejahen, werden ja
freilich nur wenige den Mut haben. Denn in der That erscheint die päda¬
gogische Arbeit sehr verschieden etwa von der Arbeit des gelehrten Forschers,
von der Geistesthätigkeit des Dichters oder des Künstlers, die ihren Zweck in
sich selbst haben. Wir werden geneigt sein, die Leistung des Erziehers als
eine Art Führung anzusehen. Gleichgültig, welches das Ziel ist, jedenfalls
giebt es ein Ziel für sie. Sobald sie zu ihm hingeführt hat, ist sie ab¬
geschlossen. Mit andern Worten, die Aufgabe des Erziehers ist begrenzt; sein
Werk ist eines Tages abgeschlossen. Will man anch die Unfertigkeit alles
Menscheuwesens noch so sehr betonen, so kann man doch nicht verkennen, daß
die Erziehung als richtnng- und maßgebende Beeinflussung der Entwicklung
eines Menschen nnter normalen Verhältnissen eines Tags aufhört. Was der
erwachsene Mensch nachher an sich selbst thut, mag Selbsterziehung oder Selbst¬
zucht genaunt werden. Unter den Begriff der Erziehung im pädagogischen
Sinne fällt das jedenfalls nicht.

Diese Auffassung ist aber doch nicht die einzig mögliche. Betrachten
wir die Erziehung weiter unter dem Bilde der Führung: muß sich alle
Führung ihrem Begriff nach eines Tags selbst überflüssig machen? Die
Führung des Wegunkundigen durch den Wegkuudigeu hört am Ziel von selbst
auf; die Leitung des Kindes, das gehn lernt, durch die Mutter, wird eines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/184>, abgerufen am 27.07.2024.