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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Mont Se, Michel und der Michaelskultus

nicht genügend erschlossen, die seit der Revolution zum größten Teil in dem
Archin von Avranches ruhn. Sollte der Fluch in Erfüllung gehn, der oft
beigefügt ist: (Mvamczuö liunv librum lui'g.tur, Äimtnömg. sit?

Von großer Wichtigkeit war die Versorgung der Abtei mit Lebensmitteln
und Wasser. Sie zu sichern war eine Festungsanlage im Südwesten bestimmt,
die gleich der im Schloß von Pierrefonds wegen ihres seltnen Vorkommens
besonders bemerkenswert ist. Innerhalb der Stadtumwallung, aber unterhalb
der Klvstergürten lagen zwei Cisternen, in einem gut befestigten Hofe die
Magazine des Klosters und in deren Nähe auf einem Turm eine Windmühle.
Damit nicht das Fallgatter in die Höhe gezogen und die Thore geöffnet
werden mußten, wenn man Zufuhr in die Abtei bringen wollte, führte von
einem Ausbau westlich von der Kirche eine große Rinne aus Mauerwerk steil
zu den Magazinen hinab, aus denen man die Vorräte und Wasserfässer
emporwand. Mail zeigt noch das große Rad, auf das das dicke Tau ge¬
wunden wurde. Sechs Männer konnten mit seiner Hilfe 1200 Kilogramm
hinaufbringen. Die sinnreiche Vorrichtung arbeitet noch heute und soll noch
dem alten Zwecke dienen. Zu einer Quelle mit brackigem Wasser, das für
den gewöhnlichen Gebrauch gut zu verwende" war, führte von der nörd¬
lichen Umwcillnng eilte sehr steile lange Treppe hinab, auf der zugleich im
Falle der Belagerung vom offnen Meere leicht Verstärkungen in die Festung
geworfen werden konnten. Im übrigen mußte das im Kreuzgang des Klosters
gesammelte Negenwnsser für den Bedarf der Mönche und der Besatzung ge¬
nügen. Das Wasser der Quelle Se, Andere, das durch ein Rad im Keller
der Merveille in das untere Stockwerk gebracht wurde, galt den Pilgern als
besonders heilkräftig, weil nach der Legende das halbentsleischte Haupt des
Heiligen hineingetaucht worden war. Sie betrachteten es vor allein als Heil¬
mittel gegen schlimme Fieber und füllten es in Gefäße, um es als wertvollen
Besitz mit in die Heimat zu nehmen. Sollten die Mönche denselben starken
Glauben gehabt haben?

Alle diese Anlagen zur Verteidigung und Versorgung der Abtei umgeben
deren Hauptgebäude, die Kirche und die Merveille, die beiden Blüten nor-
männischer klösterlich-kirchlicher Kunst. Die Bewundrung ihrer harmonischen
Durchbildung und Schönheit weckt die Frage danach, was diese rasche Wnnder-
blütc zeitigte. Die Baugeschichte häugt eng zusammen mit der ganzen kirch¬
lichen Entwicklung der Zeit.

(Schluß folgt)




Mont Se, Michel und der Michaelskultus

nicht genügend erschlossen, die seit der Revolution zum größten Teil in dem
Archin von Avranches ruhn. Sollte der Fluch in Erfüllung gehn, der oft
beigefügt ist: (Mvamczuö liunv librum lui'g.tur, Äimtnömg. sit?

Von großer Wichtigkeit war die Versorgung der Abtei mit Lebensmitteln
und Wasser. Sie zu sichern war eine Festungsanlage im Südwesten bestimmt,
die gleich der im Schloß von Pierrefonds wegen ihres seltnen Vorkommens
besonders bemerkenswert ist. Innerhalb der Stadtumwallung, aber unterhalb
der Klvstergürten lagen zwei Cisternen, in einem gut befestigten Hofe die
Magazine des Klosters und in deren Nähe auf einem Turm eine Windmühle.
Damit nicht das Fallgatter in die Höhe gezogen und die Thore geöffnet
werden mußten, wenn man Zufuhr in die Abtei bringen wollte, führte von
einem Ausbau westlich von der Kirche eine große Rinne aus Mauerwerk steil
zu den Magazinen hinab, aus denen man die Vorräte und Wasserfässer
emporwand. Mail zeigt noch das große Rad, auf das das dicke Tau ge¬
wunden wurde. Sechs Männer konnten mit seiner Hilfe 1200 Kilogramm
hinaufbringen. Die sinnreiche Vorrichtung arbeitet noch heute und soll noch
dem alten Zwecke dienen. Zu einer Quelle mit brackigem Wasser, das für
den gewöhnlichen Gebrauch gut zu verwende» war, führte von der nörd¬
lichen Umwcillnng eilte sehr steile lange Treppe hinab, auf der zugleich im
Falle der Belagerung vom offnen Meere leicht Verstärkungen in die Festung
geworfen werden konnten. Im übrigen mußte das im Kreuzgang des Klosters
gesammelte Negenwnsser für den Bedarf der Mönche und der Besatzung ge¬
nügen. Das Wasser der Quelle Se, Andere, das durch ein Rad im Keller
der Merveille in das untere Stockwerk gebracht wurde, galt den Pilgern als
besonders heilkräftig, weil nach der Legende das halbentsleischte Haupt des
Heiligen hineingetaucht worden war. Sie betrachteten es vor allein als Heil¬
mittel gegen schlimme Fieber und füllten es in Gefäße, um es als wertvollen
Besitz mit in die Heimat zu nehmen. Sollten die Mönche denselben starken
Glauben gehabt haben?

Alle diese Anlagen zur Verteidigung und Versorgung der Abtei umgeben
deren Hauptgebäude, die Kirche und die Merveille, die beiden Blüten nor-
männischer klösterlich-kirchlicher Kunst. Die Bewundrung ihrer harmonischen
Durchbildung und Schönheit weckt die Frage danach, was diese rasche Wnnder-
blütc zeitigte. Die Baugeschichte häugt eng zusammen mit der ganzen kirch¬
lichen Entwicklung der Zeit.

(Schluß folgt)




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[0155] Mont Se, Michel und der Michaelskultus nicht genügend erschlossen, die seit der Revolution zum größten Teil in dem Archin von Avranches ruhn. Sollte der Fluch in Erfüllung gehn, der oft beigefügt ist: (Mvamczuö liunv librum lui'g.tur, Äimtnömg. sit? Von großer Wichtigkeit war die Versorgung der Abtei mit Lebensmitteln und Wasser. Sie zu sichern war eine Festungsanlage im Südwesten bestimmt, die gleich der im Schloß von Pierrefonds wegen ihres seltnen Vorkommens besonders bemerkenswert ist. Innerhalb der Stadtumwallung, aber unterhalb der Klvstergürten lagen zwei Cisternen, in einem gut befestigten Hofe die Magazine des Klosters und in deren Nähe auf einem Turm eine Windmühle. Damit nicht das Fallgatter in die Höhe gezogen und die Thore geöffnet werden mußten, wenn man Zufuhr in die Abtei bringen wollte, führte von einem Ausbau westlich von der Kirche eine große Rinne aus Mauerwerk steil zu den Magazinen hinab, aus denen man die Vorräte und Wasserfässer emporwand. Mail zeigt noch das große Rad, auf das das dicke Tau ge¬ wunden wurde. Sechs Männer konnten mit seiner Hilfe 1200 Kilogramm hinaufbringen. Die sinnreiche Vorrichtung arbeitet noch heute und soll noch dem alten Zwecke dienen. Zu einer Quelle mit brackigem Wasser, das für den gewöhnlichen Gebrauch gut zu verwende» war, führte von der nörd¬ lichen Umwcillnng eilte sehr steile lange Treppe hinab, auf der zugleich im Falle der Belagerung vom offnen Meere leicht Verstärkungen in die Festung geworfen werden konnten. Im übrigen mußte das im Kreuzgang des Klosters gesammelte Negenwnsser für den Bedarf der Mönche und der Besatzung ge¬ nügen. Das Wasser der Quelle Se, Andere, das durch ein Rad im Keller der Merveille in das untere Stockwerk gebracht wurde, galt den Pilgern als besonders heilkräftig, weil nach der Legende das halbentsleischte Haupt des Heiligen hineingetaucht worden war. Sie betrachteten es vor allein als Heil¬ mittel gegen schlimme Fieber und füllten es in Gefäße, um es als wertvollen Besitz mit in die Heimat zu nehmen. Sollten die Mönche denselben starken Glauben gehabt haben? Alle diese Anlagen zur Verteidigung und Versorgung der Abtei umgeben deren Hauptgebäude, die Kirche und die Merveille, die beiden Blüten nor- männischer klösterlich-kirchlicher Kunst. Die Bewundrung ihrer harmonischen Durchbildung und Schönheit weckt die Frage danach, was diese rasche Wnnder- blütc zeitigte. Die Baugeschichte häugt eng zusammen mit der ganzen kirch¬ lichen Entwicklung der Zeit. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/155>, abgerufen am 01.09.2024.