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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Mont Se. Michel und der Michaelsknltus

Krone wurden die Äbte große Feudalherren. Indem der König ihnen be¬
trächtliche Summen für die Nenbefestiguug zur Verfügung stellte, traute er
ihnen zu, daß sie den Posten ebenso gut behaupten würden, wie ein Großer
aus dem Laienstande. Es ist das ein charakteristisches Zeichen der Zeit.
Unter Abt Jourdain und seinen Nachfolgern bis 1260 wurden die Befestigungen
fast vollständig wiederhergestellt.

Die Einführung des Geschützes brachte wesentliche Änderungen. Während
mau in Florenz schon im Jahre 1326 Kanonen aus Eisen und Metall herstellte,
betrachteten die vornehmen französischen feudalen Ritter noch lange nnr den
Kampf zu, Roß als ritterlich. Vereinzelt war es, daß in Cambrai 1339 zehn
Kanonen gegossen wurden zur Verteidigung der Stadt. Zuerst in der Schlacht
bei Crecy 1346, dann noch wiederholt verdankten die Engländer ihre großen
Siege außer den bürgerlichen Bogenschützen ihrer Artillerie. Erst Bertrand
du Guesclin organisierte Kompagnien von kriegsgeübten Fußsoldaten, die nun
im Zusammenwirken mit Reiterei und Geschütz den Erfolgen der Engländer
Einhalt thaten. Auf ihn, dem die Kapitänschaft des Se. Michel übertragen
war, geht wahrscheinlich der Anstoß zu eiuer den neuen Anforderungen
entsprechenden Verstärkung der Befestigungen zurück, die 14l7, also kurz vor
der berühmten Belagerung der Engländer, beendigt wurde. Nach der ruhm¬
vollen Verteidigung ließ Karl VII. sie wieder ausbessern. So stehn sie noch
heute, ein Werk des wiedererstarkten Königtums. Bezeichnenderweise heißt
das mit Fallgatter versehene Hauptthor der Avaneee xortv an roi, und der
erste Hof der Löwenhof. In einem Steinbild über dem Thor hält der könig¬
liche Löwe mit seinen Klanen das Wappen des Abts, auf dem Lachse, der
Hauptfisch der Bai, auf gewellten Grunde schwimmen. So sind hier im
Bilde die Symbole von Königtum und Kloster Se. Michel eng vereint, wie
in der Geschichte ihr Anfang, ihr Höhepunkt und ihr Niedergang fast zu¬
sammenfallen.

Die Avaneee schützt den Zugang zu der kleinen Stadt, deren ansässige
Bevölkerung wie einst aus einigen Fischerfamilien, Wirken und Händlern, ins¬
gesamt aus etwas über zweihundert Einwohner" besteht. Einst drängten sich
nach beschwerlichem Marsch in der einzigen gewundne" Straße die buntfarbigen
Pilgerzüge aufwärts und verteilten sich in die zahlreichen Herbergen mit den
anheimelnden Namen, zum grünen, goldnen, weißen Kreuz, zum silbernen
Löwen, zum Kupferkrug, zum Fuchsschwanz, Delphin und Schwan, zum
großen und zum kleinen heiligen Julian, den vier Haimonskindern, und wie
sie alle heißen; oder sie besuchten die Gewölbe "unter den Wällen," die von den
Benediktinern vermietet waren. Jetzt stürzt der Strom der Reisenden zunächst
zum "Bureau," um das Billet zur Rückfahrt mit der Diligence zu lösen, da
diese sonst nicht verbürgt werden kann. In der "großen Straße" aber wartet
schon der Hnuptwirt des Ortes, Poulard aluo, der angesehenste der zahl¬
reichen Poularden, die dort Gastwirtschaft betreiben, und verkündet mit seiner
freundlichen Ehehälfte, daß daß Dejeuner bereit sei. Typisch für das Einst


Mont Se. Michel und der Michaelsknltus

Krone wurden die Äbte große Feudalherren. Indem der König ihnen be¬
trächtliche Summen für die Nenbefestiguug zur Verfügung stellte, traute er
ihnen zu, daß sie den Posten ebenso gut behaupten würden, wie ein Großer
aus dem Laienstande. Es ist das ein charakteristisches Zeichen der Zeit.
Unter Abt Jourdain und seinen Nachfolgern bis 1260 wurden die Befestigungen
fast vollständig wiederhergestellt.

Die Einführung des Geschützes brachte wesentliche Änderungen. Während
mau in Florenz schon im Jahre 1326 Kanonen aus Eisen und Metall herstellte,
betrachteten die vornehmen französischen feudalen Ritter noch lange nnr den
Kampf zu, Roß als ritterlich. Vereinzelt war es, daß in Cambrai 1339 zehn
Kanonen gegossen wurden zur Verteidigung der Stadt. Zuerst in der Schlacht
bei Crecy 1346, dann noch wiederholt verdankten die Engländer ihre großen
Siege außer den bürgerlichen Bogenschützen ihrer Artillerie. Erst Bertrand
du Guesclin organisierte Kompagnien von kriegsgeübten Fußsoldaten, die nun
im Zusammenwirken mit Reiterei und Geschütz den Erfolgen der Engländer
Einhalt thaten. Auf ihn, dem die Kapitänschaft des Se. Michel übertragen
war, geht wahrscheinlich der Anstoß zu eiuer den neuen Anforderungen
entsprechenden Verstärkung der Befestigungen zurück, die 14l7, also kurz vor
der berühmten Belagerung der Engländer, beendigt wurde. Nach der ruhm¬
vollen Verteidigung ließ Karl VII. sie wieder ausbessern. So stehn sie noch
heute, ein Werk des wiedererstarkten Königtums. Bezeichnenderweise heißt
das mit Fallgatter versehene Hauptthor der Avaneee xortv an roi, und der
erste Hof der Löwenhof. In einem Steinbild über dem Thor hält der könig¬
liche Löwe mit seinen Klanen das Wappen des Abts, auf dem Lachse, der
Hauptfisch der Bai, auf gewellten Grunde schwimmen. So sind hier im
Bilde die Symbole von Königtum und Kloster Se. Michel eng vereint, wie
in der Geschichte ihr Anfang, ihr Höhepunkt und ihr Niedergang fast zu¬
sammenfallen.

Die Avaneee schützt den Zugang zu der kleinen Stadt, deren ansässige
Bevölkerung wie einst aus einigen Fischerfamilien, Wirken und Händlern, ins¬
gesamt aus etwas über zweihundert Einwohner» besteht. Einst drängten sich
nach beschwerlichem Marsch in der einzigen gewundne» Straße die buntfarbigen
Pilgerzüge aufwärts und verteilten sich in die zahlreichen Herbergen mit den
anheimelnden Namen, zum grünen, goldnen, weißen Kreuz, zum silbernen
Löwen, zum Kupferkrug, zum Fuchsschwanz, Delphin und Schwan, zum
großen und zum kleinen heiligen Julian, den vier Haimonskindern, und wie
sie alle heißen; oder sie besuchten die Gewölbe „unter den Wällen," die von den
Benediktinern vermietet waren. Jetzt stürzt der Strom der Reisenden zunächst
zum „Bureau," um das Billet zur Rückfahrt mit der Diligence zu lösen, da
diese sonst nicht verbürgt werden kann. In der „großen Straße" aber wartet
schon der Hnuptwirt des Ortes, Poulard aluo, der angesehenste der zahl¬
reichen Poularden, die dort Gastwirtschaft betreiben, und verkündet mit seiner
freundlichen Ehehälfte, daß daß Dejeuner bereit sei. Typisch für das Einst


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[0152] Mont Se. Michel und der Michaelsknltus Krone wurden die Äbte große Feudalherren. Indem der König ihnen be¬ trächtliche Summen für die Nenbefestiguug zur Verfügung stellte, traute er ihnen zu, daß sie den Posten ebenso gut behaupten würden, wie ein Großer aus dem Laienstande. Es ist das ein charakteristisches Zeichen der Zeit. Unter Abt Jourdain und seinen Nachfolgern bis 1260 wurden die Befestigungen fast vollständig wiederhergestellt. Die Einführung des Geschützes brachte wesentliche Änderungen. Während mau in Florenz schon im Jahre 1326 Kanonen aus Eisen und Metall herstellte, betrachteten die vornehmen französischen feudalen Ritter noch lange nnr den Kampf zu, Roß als ritterlich. Vereinzelt war es, daß in Cambrai 1339 zehn Kanonen gegossen wurden zur Verteidigung der Stadt. Zuerst in der Schlacht bei Crecy 1346, dann noch wiederholt verdankten die Engländer ihre großen Siege außer den bürgerlichen Bogenschützen ihrer Artillerie. Erst Bertrand du Guesclin organisierte Kompagnien von kriegsgeübten Fußsoldaten, die nun im Zusammenwirken mit Reiterei und Geschütz den Erfolgen der Engländer Einhalt thaten. Auf ihn, dem die Kapitänschaft des Se. Michel übertragen war, geht wahrscheinlich der Anstoß zu eiuer den neuen Anforderungen entsprechenden Verstärkung der Befestigungen zurück, die 14l7, also kurz vor der berühmten Belagerung der Engländer, beendigt wurde. Nach der ruhm¬ vollen Verteidigung ließ Karl VII. sie wieder ausbessern. So stehn sie noch heute, ein Werk des wiedererstarkten Königtums. Bezeichnenderweise heißt das mit Fallgatter versehene Hauptthor der Avaneee xortv an roi, und der erste Hof der Löwenhof. In einem Steinbild über dem Thor hält der könig¬ liche Löwe mit seinen Klanen das Wappen des Abts, auf dem Lachse, der Hauptfisch der Bai, auf gewellten Grunde schwimmen. So sind hier im Bilde die Symbole von Königtum und Kloster Se. Michel eng vereint, wie in der Geschichte ihr Anfang, ihr Höhepunkt und ihr Niedergang fast zu¬ sammenfallen. Die Avaneee schützt den Zugang zu der kleinen Stadt, deren ansässige Bevölkerung wie einst aus einigen Fischerfamilien, Wirken und Händlern, ins¬ gesamt aus etwas über zweihundert Einwohner» besteht. Einst drängten sich nach beschwerlichem Marsch in der einzigen gewundne» Straße die buntfarbigen Pilgerzüge aufwärts und verteilten sich in die zahlreichen Herbergen mit den anheimelnden Namen, zum grünen, goldnen, weißen Kreuz, zum silbernen Löwen, zum Kupferkrug, zum Fuchsschwanz, Delphin und Schwan, zum großen und zum kleinen heiligen Julian, den vier Haimonskindern, und wie sie alle heißen; oder sie besuchten die Gewölbe „unter den Wällen," die von den Benediktinern vermietet waren. Jetzt stürzt der Strom der Reisenden zunächst zum „Bureau," um das Billet zur Rückfahrt mit der Diligence zu lösen, da diese sonst nicht verbürgt werden kann. In der „großen Straße" aber wartet schon der Hnuptwirt des Ortes, Poulard aluo, der angesehenste der zahl¬ reichen Poularden, die dort Gastwirtschaft betreiben, und verkündet mit seiner freundlichen Ehehälfte, daß daß Dejeuner bereit sei. Typisch für das Einst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/152>, abgerufen am 01.09.2024.