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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Mont Se. Michel und der Michaelsknltus

klagten, protestierten die militärischen Gefangnen heftig und widmeten ihm eine
goldne Medaille mit der Inschrift: ^ leur von äirkvwur los in8nborcIoirii>Z8
nrilit^irss ein Nord 8g.int-NivblzI ur-irs 1848: eine wohl einzig' dastehende
Auszeichnung. Im Jahre 1863 endlich wurde das Gefängnis aufgehoben.
Man schätzt die Zahl aller Gefangnen zwischen 1793 und 1863 auf 14000.

Im Jahre 1874 von der Republik zum rnonriiliörck lüstoriauv erklärt,
erstand nach langer Vernachlässigung des Baus im achtzehnten und neun¬
zehnten Jahrhundert die Klosterfestung unter der sachverständigen Leitung der
ersten Autorität für mittelalterliche Baukunst, des Viollet le Due, im alten
Glänze.

2

Von welcher Seite mau sich dein Mont Se. Michel nähern mag, seine
Silhouette bleibt gleich malerisch. Nach Norte", dem offnen Meere zu, wo
die Abtei mit ihrer imposanten Breitseite wallähnlich ans dem steilen Felsen
ruht, erscheint er fast wie ein riesiger Sarkophag. Nach den übrigen drei
Seiten ist die Klvsterfestnng in ihrer pyramidalen Form der Ausdruck des
gotischen himmelanstrebenden Gedankens. Die Grundlage bildet der Granit¬
kegel, der bis zur Hohe von 50 Metern aus dem Meere emporsteigt und
258 Hektar Bodenfläche enthält. Auf der Südseite bietet eine schmale steinige
Küste allein Platz für das kleine Städtchen und die Festungsanlagen. Um¬
säumt ist das Ganze von einem stattlichen Kranz altersgrauer Mauern, die an
den hervorspringenden Ecken durch starke Rundtürme gesichert sind. Dahinter
erheben sich die kleinen vielfarbigen Hänschen der Stadt, eng aneinander und
übereinander gepreßt, nur einige aus kleinen Gärtchen hervorlugend. Be¬
herrschend reckt sich darüber ans Fels und gewaltigem Unterbau die alte Abtei
mit ihren starken Stützmauern und zinnengekrönten Türmen, sie selbst wieder
nur wie der Unterbau für die Kirche, die mit ihrem spitzen Turm bis zur
Höhe von 100 Metern emporstrebe. Wie durch ein Wunder scheint sie dahin
gestellt zu sein, Stürmen und Wogen zum Trotz, ein rechtes Sinnbild des
Erzengels, der diese bändigt. Weithin leuchtet über Land und Meer von der
Spitze deS Turms das goldig glitzernde Standbild des beschwingten Drachen¬
siegers von Fremiets Meisterhand.

In ihrer Gesamtheit von seltner Großartigkeit erhalten im einzelnen
die Gebände ihren Hnnptreiz durch die große Mannigfaltigkeit der Bauformen,
zu der der geringe Raum der steilen Felsklippe und die dreifache Bestimmung
als Festung, Stadt und Abtei nötigten. Der (Haussierte Dammweg von
Pontorson her endigt um der Avaneee, einem vorgeschobnen Werk mit zwei
zinnengekrönten Türmen. Links durch ein Seitenpförtchen gelangt man in
die Festung. Packend tritt uns fortan ein gut Teil der mittelalterlichen Ge
schichte Frankreichs vor Augen. Von den ältesten Befestigungen freilich ist so
gut wie nichts erhalten. Die Bretonen, die Bundesgenosse,: Philipp Augusts,
hatte" 1203 bei der Einnahme das meiste zerstört. Aber unter der französischen


Mont Se. Michel und der Michaelsknltus

klagten, protestierten die militärischen Gefangnen heftig und widmeten ihm eine
goldne Medaille mit der Inschrift: ^ leur von äirkvwur los in8nborcIoirii>Z8
nrilit^irss ein Nord 8g.int-NivblzI ur-irs 1848: eine wohl einzig' dastehende
Auszeichnung. Im Jahre 1863 endlich wurde das Gefängnis aufgehoben.
Man schätzt die Zahl aller Gefangnen zwischen 1793 und 1863 auf 14000.

Im Jahre 1874 von der Republik zum rnonriiliörck lüstoriauv erklärt,
erstand nach langer Vernachlässigung des Baus im achtzehnten und neun¬
zehnten Jahrhundert die Klosterfestung unter der sachverständigen Leitung der
ersten Autorität für mittelalterliche Baukunst, des Viollet le Due, im alten
Glänze.

2

Von welcher Seite mau sich dein Mont Se. Michel nähern mag, seine
Silhouette bleibt gleich malerisch. Nach Norte», dem offnen Meere zu, wo
die Abtei mit ihrer imposanten Breitseite wallähnlich ans dem steilen Felsen
ruht, erscheint er fast wie ein riesiger Sarkophag. Nach den übrigen drei
Seiten ist die Klvsterfestnng in ihrer pyramidalen Form der Ausdruck des
gotischen himmelanstrebenden Gedankens. Die Grundlage bildet der Granit¬
kegel, der bis zur Hohe von 50 Metern aus dem Meere emporsteigt und
258 Hektar Bodenfläche enthält. Auf der Südseite bietet eine schmale steinige
Küste allein Platz für das kleine Städtchen und die Festungsanlagen. Um¬
säumt ist das Ganze von einem stattlichen Kranz altersgrauer Mauern, die an
den hervorspringenden Ecken durch starke Rundtürme gesichert sind. Dahinter
erheben sich die kleinen vielfarbigen Hänschen der Stadt, eng aneinander und
übereinander gepreßt, nur einige aus kleinen Gärtchen hervorlugend. Be¬
herrschend reckt sich darüber ans Fels und gewaltigem Unterbau die alte Abtei
mit ihren starken Stützmauern und zinnengekrönten Türmen, sie selbst wieder
nur wie der Unterbau für die Kirche, die mit ihrem spitzen Turm bis zur
Höhe von 100 Metern emporstrebe. Wie durch ein Wunder scheint sie dahin
gestellt zu sein, Stürmen und Wogen zum Trotz, ein rechtes Sinnbild des
Erzengels, der diese bändigt. Weithin leuchtet über Land und Meer von der
Spitze deS Turms das goldig glitzernde Standbild des beschwingten Drachen¬
siegers von Fremiets Meisterhand.

In ihrer Gesamtheit von seltner Großartigkeit erhalten im einzelnen
die Gebände ihren Hnnptreiz durch die große Mannigfaltigkeit der Bauformen,
zu der der geringe Raum der steilen Felsklippe und die dreifache Bestimmung
als Festung, Stadt und Abtei nötigten. Der (Haussierte Dammweg von
Pontorson her endigt um der Avaneee, einem vorgeschobnen Werk mit zwei
zinnengekrönten Türmen. Links durch ein Seitenpförtchen gelangt man in
die Festung. Packend tritt uns fortan ein gut Teil der mittelalterlichen Ge
schichte Frankreichs vor Augen. Von den ältesten Befestigungen freilich ist so
gut wie nichts erhalten. Die Bretonen, die Bundesgenosse,: Philipp Augusts,
hatte» 1203 bei der Einnahme das meiste zerstört. Aber unter der französischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/151>, abgerufen am 01.09.2024.