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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Mont Se. ZNichel und der Michaelsknltus

von Tausenden kleiner Hirten gewallfahrtet: die vigAvs av kastouröaux. Einmal
werden die Kinder als 1Zrab!my0N8 bezeichnet, also ans der Rheingegend.
Später macht sich ebenda eine lebhafte Bewegung geltend, deren Quelle Lüttich
gewesen zu sein scheint, die sich aber epidemisch über die Nachbnrgebiete Lim-
burg, Brabcint, Hennegau und Namur ausbreitete. Mit Staunen erzählt ein
Annalist, daß 1457 große Scharen Männer, Frauen und Kinder bis zu neun
Jahren hinab aus den Gebieten Ä'^llöniaig'ne gekommen seien, die ihrer eignen
Aussage nach plötzlich von so heftigem Wunsche erfaßt worden seien, diese Kirche
zu besuchen, "daß sie alles verließen, um sich ans den Weg zu machen und
zu bezeuge", daß das Gott angenehm sei." Die Sehnsucht nach dem heiligen
Michael als dem Seelentrost erscheint hier als die schwärmerische Übertreibung
der alten Volksanschauung in den rheinischen Gegenden, wie sie sich im König
Rother spiegelt, dessen Aufzeichnung am Rhein erfolgte. Der Niese Witolt
wendet sich da nächst Christus an den heiligen Michael mit der Bitte um Gnade
für seine Seckel vio iuris lou on-vllo
SAnvtrmi ModA-Uhr.
ör ist tröst Mir Mön;
vor' äsnio (Ihr tüvsl Aslsolr
in ours raa in ßMäs.

Diese religiöse Empfindung verband sich mit der germanischen Wanderlust lind
machte, daß manche Scharen von Michaelspilgern durch deutsche Gaue und
Städte zogen. Zwar hatte in Deutschland der Heilige, dessen Bild seit Heinrich 1.
im Reichsbanner der sächsischen Könige geführt worden war, nach den Kreuz¬
zügen in den ritterlichen Kreisen besonders Süddeutschlands und Österreichs
dem Drachentöter Se. Georg weichen müssen, der auf einem Burgkmairscheu
Stich vom Jahre 1508 schlechtweg als olons Ovorg'ins ellri8ti"morum nrilitnm
provng'liiZ.lor bezeichnet wird, aber im Volk blieb der Kult Michaels beliebt.
Die zu Beginn erwähnten Pilger- und Volkslieder beweisen das. Auch später
in den Zeiten religiöser Gärung beschäftigte sich die Phantasie des Volks
viel mit ihm. In der Geißlcrzeit und kurz vor der Reformation machten sich
Züge von Michaelspilgern auf den Weg. Freilich waren sie mit unruhigen
Elementen untermischt, die sich unter der Fahne des Erzengels einem aben¬
teuerlichen Bettlerlcben Hingaben, sodaß, wie in Erfurt 1514, die Behörden
ihr Treiben mißtrauisch beobachteten und überwachten. Die Reformation setzte
diesen Wallfahrten ein Ende. Aber in katholischen Landen vergaß man Se. Michael
nicht. Noch einmal während des Dreißigjährigen Krieges lebte die alte Auf¬
fassung von ihm als Lenker der Schlachten wieder auf. Das Würzburger
Gesangbuch von 1649 bewahrt das markige Bitt- und Kampflied, wie es in
den Kriegswirren entstanden und gesungen sein mag:


O unüberwindlicher Held,
Sanct Michael,
Komm uns zu Hilf: zieh mit zu Feld,
Hilf uns hier kämpfen, die Feinde dämpfen,
Se. Michael!

Mont Se. ZNichel und der Michaelsknltus

von Tausenden kleiner Hirten gewallfahrtet: die vigAvs av kastouröaux. Einmal
werden die Kinder als 1Zrab!my0N8 bezeichnet, also ans der Rheingegend.
Später macht sich ebenda eine lebhafte Bewegung geltend, deren Quelle Lüttich
gewesen zu sein scheint, die sich aber epidemisch über die Nachbnrgebiete Lim-
burg, Brabcint, Hennegau und Namur ausbreitete. Mit Staunen erzählt ein
Annalist, daß 1457 große Scharen Männer, Frauen und Kinder bis zu neun
Jahren hinab aus den Gebieten Ä'^llöniaig'ne gekommen seien, die ihrer eignen
Aussage nach plötzlich von so heftigem Wunsche erfaßt worden seien, diese Kirche
zu besuchen, „daß sie alles verließen, um sich ans den Weg zu machen und
zu bezeuge», daß das Gott angenehm sei." Die Sehnsucht nach dem heiligen
Michael als dem Seelentrost erscheint hier als die schwärmerische Übertreibung
der alten Volksanschauung in den rheinischen Gegenden, wie sie sich im König
Rother spiegelt, dessen Aufzeichnung am Rhein erfolgte. Der Niese Witolt
wendet sich da nächst Christus an den heiligen Michael mit der Bitte um Gnade
für seine Seckel vio iuris lou on-vllo
SAnvtrmi ModA-Uhr.
ör ist tröst Mir Mön;
vor' äsnio (Ihr tüvsl Aslsolr
in ours raa in ßMäs.

Diese religiöse Empfindung verband sich mit der germanischen Wanderlust lind
machte, daß manche Scharen von Michaelspilgern durch deutsche Gaue und
Städte zogen. Zwar hatte in Deutschland der Heilige, dessen Bild seit Heinrich 1.
im Reichsbanner der sächsischen Könige geführt worden war, nach den Kreuz¬
zügen in den ritterlichen Kreisen besonders Süddeutschlands und Österreichs
dem Drachentöter Se. Georg weichen müssen, der auf einem Burgkmairscheu
Stich vom Jahre 1508 schlechtweg als olons Ovorg'ins ellri8ti»morum nrilitnm
provng'liiZ.lor bezeichnet wird, aber im Volk blieb der Kult Michaels beliebt.
Die zu Beginn erwähnten Pilger- und Volkslieder beweisen das. Auch später
in den Zeiten religiöser Gärung beschäftigte sich die Phantasie des Volks
viel mit ihm. In der Geißlcrzeit und kurz vor der Reformation machten sich
Züge von Michaelspilgern auf den Weg. Freilich waren sie mit unruhigen
Elementen untermischt, die sich unter der Fahne des Erzengels einem aben¬
teuerlichen Bettlerlcben Hingaben, sodaß, wie in Erfurt 1514, die Behörden
ihr Treiben mißtrauisch beobachteten und überwachten. Die Reformation setzte
diesen Wallfahrten ein Ende. Aber in katholischen Landen vergaß man Se. Michael
nicht. Noch einmal während des Dreißigjährigen Krieges lebte die alte Auf¬
fassung von ihm als Lenker der Schlachten wieder auf. Das Würzburger
Gesangbuch von 1649 bewahrt das markige Bitt- und Kampflied, wie es in
den Kriegswirren entstanden und gesungen sein mag:


O unüberwindlicher Held,
Sanct Michael,
Komm uns zu Hilf: zieh mit zu Feld,
Hilf uns hier kämpfen, die Feinde dämpfen,
Se. Michael!

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[0148] Mont Se. ZNichel und der Michaelsknltus von Tausenden kleiner Hirten gewallfahrtet: die vigAvs av kastouröaux. Einmal werden die Kinder als 1Zrab!my0N8 bezeichnet, also ans der Rheingegend. Später macht sich ebenda eine lebhafte Bewegung geltend, deren Quelle Lüttich gewesen zu sein scheint, die sich aber epidemisch über die Nachbnrgebiete Lim- burg, Brabcint, Hennegau und Namur ausbreitete. Mit Staunen erzählt ein Annalist, daß 1457 große Scharen Männer, Frauen und Kinder bis zu neun Jahren hinab aus den Gebieten Ä'^llöniaig'ne gekommen seien, die ihrer eignen Aussage nach plötzlich von so heftigem Wunsche erfaßt worden seien, diese Kirche zu besuchen, „daß sie alles verließen, um sich ans den Weg zu machen und zu bezeuge», daß das Gott angenehm sei." Die Sehnsucht nach dem heiligen Michael als dem Seelentrost erscheint hier als die schwärmerische Übertreibung der alten Volksanschauung in den rheinischen Gegenden, wie sie sich im König Rother spiegelt, dessen Aufzeichnung am Rhein erfolgte. Der Niese Witolt wendet sich da nächst Christus an den heiligen Michael mit der Bitte um Gnade für seine Seckel vio iuris lou on-vllo SAnvtrmi ModA-Uhr. ör ist tröst Mir Mön; vor' äsnio (Ihr tüvsl Aslsolr in ours raa in ßMäs. Diese religiöse Empfindung verband sich mit der germanischen Wanderlust lind machte, daß manche Scharen von Michaelspilgern durch deutsche Gaue und Städte zogen. Zwar hatte in Deutschland der Heilige, dessen Bild seit Heinrich 1. im Reichsbanner der sächsischen Könige geführt worden war, nach den Kreuz¬ zügen in den ritterlichen Kreisen besonders Süddeutschlands und Österreichs dem Drachentöter Se. Georg weichen müssen, der auf einem Burgkmairscheu Stich vom Jahre 1508 schlechtweg als olons Ovorg'ins ellri8ti»morum nrilitnm provng'liiZ.lor bezeichnet wird, aber im Volk blieb der Kult Michaels beliebt. Die zu Beginn erwähnten Pilger- und Volkslieder beweisen das. Auch später in den Zeiten religiöser Gärung beschäftigte sich die Phantasie des Volks viel mit ihm. In der Geißlcrzeit und kurz vor der Reformation machten sich Züge von Michaelspilgern auf den Weg. Freilich waren sie mit unruhigen Elementen untermischt, die sich unter der Fahne des Erzengels einem aben¬ teuerlichen Bettlerlcben Hingaben, sodaß, wie in Erfurt 1514, die Behörden ihr Treiben mißtrauisch beobachteten und überwachten. Die Reformation setzte diesen Wallfahrten ein Ende. Aber in katholischen Landen vergaß man Se. Michael nicht. Noch einmal während des Dreißigjährigen Krieges lebte die alte Auf¬ fassung von ihm als Lenker der Schlachten wieder auf. Das Würzburger Gesangbuch von 1649 bewahrt das markige Bitt- und Kampflied, wie es in den Kriegswirren entstanden und gesungen sein mag: O unüberwindlicher Held, Sanct Michael, Komm uns zu Hilf: zieh mit zu Feld, Hilf uns hier kämpfen, die Feinde dämpfen, Se. Michael!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/148>, abgerufen am 27.07.2024.