Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Auf der Alm Wenn er -- wenn er -- -- nicht wiederkäme! Ihr Herz schnürte sich zusammen. Hanna war aufgestanden, um den Tisch zu ihr geeilt und stand über sie Eine Weile saßen sie still Hund in Hand auf der Bank vor der Hütte, jede Die Brüder hatten sich nie sehr nahe gestanden; der Vater war ein einfacher Auf der Alm Wenn er — wenn er — — nicht wiederkäme! Ihr Herz schnürte sich zusammen. Hanna war aufgestanden, um den Tisch zu ihr geeilt und stand über sie Eine Weile saßen sie still Hund in Hand auf der Bank vor der Hütte, jede Die Brüder hatten sich nie sehr nahe gestanden; der Vater war ein einfacher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235923"/> <fw type="header" place="top"> Auf der Alm</fw><lb/> <p xml:id="ID_327" prev="#ID_326"> Wenn er — wenn er — — nicht wiederkäme! Ihr Herz schnürte sich zusammen.<lb/> Sie schielte zum Traudel hinüber und sah, beiß ihm zwei dicke Thränen die Backen<lb/> hinunterliefen, aber es nß dabei tapfer weiter mit dem zuckenden Munde. Hanna<lb/> legte den Lllffel hiu, die Augen strömten ihr über: Ich — ich kann nicht mehr!<lb/> stieß sie hervor, und das Trciudei hatte ihr kaum ins Gesicht gesehen, als es sich<lb/> niederbeugte, deu Kopf auf den Arm legte, während es den Löffel krampfhaft fest¬<lb/> hielt und in lautes Schluchzen ausbrach.</p><lb/> <p xml:id="ID_328"> Hanna war aufgestanden, um den Tisch zu ihr geeilt und stand über sie<lb/> gebeugt, die Arme um die Schultern der Freundin, und weinte in ihre Haare,<lb/> ebenso herzbrechend wie sie. Nach einer Weile richtete sich Traudel auf, legte deu<lb/> Löffel hin, führ sich mit der Hand über die Augen und strich sich die dunkeln<lb/> Haare aus der Stirn, stand ans und sagte, nach der Hand der Freundin greifend:<lb/> Geh, laß uns Hinanssitzen. Ich verzähl dirs, was gschehn is.</p><lb/> <p xml:id="ID_329"> Eine Weile saßen sie still Hund in Hand auf der Bank vor der Hütte, jede<lb/> mit ihren eignen Gedanken beschäftigt, bis sie sich beruhigt hatten. Dann begann<lb/> Traudel zu erzähle«. Es wäre arg gewesen. Der Maxl hätte es gut gewußt,<lb/> wie es mit ihr und dem Joseph gestnuoen habe, und doch hätte er nicht nach¬<lb/> gelassen, ihr nachzustellen und sie zu bedrängen. Den Loder, hatte er gesagt — von<lb/> seinem Bruder! Sie waren ja nur Halbbrüder, aber Brüder waren sie doch! —,<lb/> den wirst doch net nehmen wollen? So einen Hallodri, einen Wildrer? So<lb/> einen Lumpe»? Wirth denn mit dem ein gutes Ende nehmen? Dn schau mich<lb/> um, einen königlichen Jäger, tems gewiß ist, daß er Förstner wird. Wer ist denn<lb/> am nächsten um den Kini, wann er t'inne? Dös bin i! Laß den Bauern laufen,<lb/> du wirst eine königliche Frnn Förstneriu! — Gek) du und laß mi aus mit dem<lb/> Gered, dem einfältige»! dn wärst ganz gewiß der Letzt, den i nehmet! hatte sie<lb/> ihm entrüstet gesagt. Aber er hatte nur seinen Schnurrbart gestrichen und höhnisch<lb/> gelacht. Mein wirst doch, das dersprech ich dir! ^ So war es zehnmal gewesen.<lb/> Dem Joseph hatte sie nichts davon gesagt.</p><lb/> <p xml:id="ID_330" next="#ID_331"> Die Brüder hatten sich nie sehr nahe gestanden; der Vater war ein einfacher<lb/> Waldarbeiter und zuerst mit einem armen Mädchen verheiratet gewesen, das bald<lb/> gestorben war. Deren Sohn war der Maxl. Darauf hatte der Vater in eine»<lb/> Bauernhof geheiratet, und sein zweiter Sohn, der Joseph, hatte, als die Alten<lb/> gestorben waren, den Hof geerbt und war ein gutgestellter Mann — aber ein<lb/> Letchtfnß. Er konnte das Wildern nicht lassen. Es steckte ihm in den Knochen,<lb/> und er hatte es von seinem Vater selig. Kaum war der kein königlicher Forst¬<lb/> arbeiter mehr gewesen, sonder» ein wohlbestellter Bauer, da hatte er auch seinen<lb/> Stutzen gehabt. Welcher Ramsauer hatte denn keinen? Alle gehörten zum<lb/> Schützenverein und schössen des Sonntags am Hintersee nach der Scheibe. Und<lb/> außerdem? Von ihm hatten die beiden Buben die Liebe zum Walde geerbt. Der<lb/> Maxl war Jäger geworden, und während er in Trmmstein auf der Realschule<lb/> gewesen war und dann ein paar Jahre draußen den Dienst gelernt hatte, hatte<lb/> der Joseph das edle Wetdwerk vom Vater erlernt. Es war eine wilde Zeit damals<lb/> in der Ramsau; schmuggeln und Wildern war an der Tagesordnung, ein fort¬<lb/> währender Krieg zwischen den Bauern und deu Grenz- und Forstbeamten, und<lb/> Mord und Totschlag waren nichts seltnes. Der Maxl war dann als orth- und<lb/> leutekundiger Forstgehilfe in der Ramsau angestellt worden. Er war ein scharfer<lb/> Kerl, der alle Schliche seiner Landsleute kunnte, und deshalb ein nützlicher Be¬<lb/> amter; er fürchtete sich bor dem Teufel uicht und war bald selbst gefürchtet und<lb/> gehaßt wie der Teufel. Deu Bruder beneidete er wegen seines schönen Besitzes,<lb/> und dessen dreistes Wildern ergrimmte ihn bis in die Seele. Wenn er ihm Vor¬<lb/> stellungen machte, lachte ihn der Joseph ans; er fühlte sich vor dem Bruder sicher:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
Auf der Alm
Wenn er — wenn er — — nicht wiederkäme! Ihr Herz schnürte sich zusammen.
Sie schielte zum Traudel hinüber und sah, beiß ihm zwei dicke Thränen die Backen
hinunterliefen, aber es nß dabei tapfer weiter mit dem zuckenden Munde. Hanna
legte den Lllffel hiu, die Augen strömten ihr über: Ich — ich kann nicht mehr!
stieß sie hervor, und das Trciudei hatte ihr kaum ins Gesicht gesehen, als es sich
niederbeugte, deu Kopf auf den Arm legte, während es den Löffel krampfhaft fest¬
hielt und in lautes Schluchzen ausbrach.
Hanna war aufgestanden, um den Tisch zu ihr geeilt und stand über sie
gebeugt, die Arme um die Schultern der Freundin, und weinte in ihre Haare,
ebenso herzbrechend wie sie. Nach einer Weile richtete sich Traudel auf, legte deu
Löffel hin, führ sich mit der Hand über die Augen und strich sich die dunkeln
Haare aus der Stirn, stand ans und sagte, nach der Hand der Freundin greifend:
Geh, laß uns Hinanssitzen. Ich verzähl dirs, was gschehn is.
Eine Weile saßen sie still Hund in Hand auf der Bank vor der Hütte, jede
mit ihren eignen Gedanken beschäftigt, bis sie sich beruhigt hatten. Dann begann
Traudel zu erzähle«. Es wäre arg gewesen. Der Maxl hätte es gut gewußt,
wie es mit ihr und dem Joseph gestnuoen habe, und doch hätte er nicht nach¬
gelassen, ihr nachzustellen und sie zu bedrängen. Den Loder, hatte er gesagt — von
seinem Bruder! Sie waren ja nur Halbbrüder, aber Brüder waren sie doch! —,
den wirst doch net nehmen wollen? So einen Hallodri, einen Wildrer? So
einen Lumpe»? Wirth denn mit dem ein gutes Ende nehmen? Dn schau mich
um, einen königlichen Jäger, tems gewiß ist, daß er Förstner wird. Wer ist denn
am nächsten um den Kini, wann er t'inne? Dös bin i! Laß den Bauern laufen,
du wirst eine königliche Frnn Förstneriu! — Gek) du und laß mi aus mit dem
Gered, dem einfältige»! dn wärst ganz gewiß der Letzt, den i nehmet! hatte sie
ihm entrüstet gesagt. Aber er hatte nur seinen Schnurrbart gestrichen und höhnisch
gelacht. Mein wirst doch, das dersprech ich dir! ^ So war es zehnmal gewesen.
Dem Joseph hatte sie nichts davon gesagt.
Die Brüder hatten sich nie sehr nahe gestanden; der Vater war ein einfacher
Waldarbeiter und zuerst mit einem armen Mädchen verheiratet gewesen, das bald
gestorben war. Deren Sohn war der Maxl. Darauf hatte der Vater in eine»
Bauernhof geheiratet, und sein zweiter Sohn, der Joseph, hatte, als die Alten
gestorben waren, den Hof geerbt und war ein gutgestellter Mann — aber ein
Letchtfnß. Er konnte das Wildern nicht lassen. Es steckte ihm in den Knochen,
und er hatte es von seinem Vater selig. Kaum war der kein königlicher Forst¬
arbeiter mehr gewesen, sonder» ein wohlbestellter Bauer, da hatte er auch seinen
Stutzen gehabt. Welcher Ramsauer hatte denn keinen? Alle gehörten zum
Schützenverein und schössen des Sonntags am Hintersee nach der Scheibe. Und
außerdem? Von ihm hatten die beiden Buben die Liebe zum Walde geerbt. Der
Maxl war Jäger geworden, und während er in Trmmstein auf der Realschule
gewesen war und dann ein paar Jahre draußen den Dienst gelernt hatte, hatte
der Joseph das edle Wetdwerk vom Vater erlernt. Es war eine wilde Zeit damals
in der Ramsau; schmuggeln und Wildern war an der Tagesordnung, ein fort¬
währender Krieg zwischen den Bauern und deu Grenz- und Forstbeamten, und
Mord und Totschlag waren nichts seltnes. Der Maxl war dann als orth- und
leutekundiger Forstgehilfe in der Ramsau angestellt worden. Er war ein scharfer
Kerl, der alle Schliche seiner Landsleute kunnte, und deshalb ein nützlicher Be¬
amter; er fürchtete sich bor dem Teufel uicht und war bald selbst gefürchtet und
gehaßt wie der Teufel. Deu Bruder beneidete er wegen seines schönen Besitzes,
und dessen dreistes Wildern ergrimmte ihn bis in die Seele. Wenn er ihm Vor¬
stellungen machte, lachte ihn der Joseph ans; er fühlte sich vor dem Bruder sicher:
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |