Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Jan Tteen und das Tittenbild der Hollander

Über den Bierbrauerssohn Jan Steen, der 1679 in seiner Geburtsstadt
Leyden starb, etwa dreiundfünfzigjährig, sodaß er um 1626 geboren sein muß,
stehn bei Houbraken und Wehermann die schnurrigsten Geschichten, Der herab-
gekommne Kneipwirt war selbst sein bester Gast und malte nur, wenn er nichts
mehr zu vertrinken hatte, und dann vorzugsweise "achlässige und unschickliche
Sachen, die man lieber nicht angesehen hätte, und die darum auch schlecht be¬
zahlt wurden, sodaß er nach einem unsteten Leben verdientermaßen in Armut
sterben mußte. Unruhig genug lebte er freilich, denn nachdem er 1648 in die
Lukasgilde aufgenommen worden war, ging er 1649 nach dem Haag, heiratete
dort Goyens Tochter Margarete, kehrte 1654 zurück, brach aber schou 1661
nach Haarlem auf und ließ sich erst uach 1669 wieder in seiner Heimat nieder,
wo er 1672 um eine Schaukkonzession einkam und 1673 zum zweitenmal
heiratete. Aber ein fleißiger Maler ist er dennoch gewesen, denn er hat uns
gegen fünfhundert Bilder hinterlassen, sodaß durchschnittlich zwanzig auf ein
Jahr kommen mögen, darunter immer einige, die viele Wochen Arbeit forderten.
Da er jedoch für das Stück gewöhnlich nur zehn bis zwanzig Gulden bekam,
so konnte er mit seinen vielen Kindern füglich kein wohlhabender Mann werden.
Darum gab er das väterliche Gewerbe nicht ganz auf, wie er denn auch 1654
in Delft, ohne dort zu wohnen, eine Brauerei übernommen hatte, ganz gewiß
nicht zu seinem Vergnügen.

Was mau damals, als die holländische Kunst schon im Niedergang be¬
griffen war, am höchsten schätzte, das feine Ausführen und die akademische
Vornehmthuerei, das war beides seine Sache nicht. Er war ein Mann von
Geist und Einfällen, ein Beobachter und Erfinder; der Ausdruck war ihm die
Hauptfache, und der ist immer scharf. Er komponiert frei und lebendig, deutlich
im Raum, sehr oft auch nachlässig, und sein Kolorit kann von der größten
Pracht und Leuchtkraft sein. Aber diese höchste Kunst lohnte sich für ihn am
wenigsten, sie war an diesen Gegenständen verloren. Wenn er sie schnell und
mühelos hinwarf, wenn nur die Ausführung ihm genügte zum Ausdruck seiner
Gedanken, so faud er immerhin seine Abnehmer, und er verdiente besser dabei.
Mit Mieris und Netscher oder gar mit Don konnte er ja ohnehin nicht wett¬
eifern. Ein solcher Charakteristiker verdankt natürlich am meisten dem, was
in ihm ist. Aber zunächst müssen wir auch nach seinen Lehrern fragen und
nach den äußern Eindrücken, von denen er umgeben war.

Daß er zu seinein Schwiegervater Goben zunächst als Schüler gekommen
wäre, könnte man an einem Figurenmaler begreifen, der sich nicht auf Interieurs
beschränken wollte, und auf manchen von Jan seems Bildern findet man in
der That gute, feine Landschaft; außerdem war Goben auch in Figuren tüchtig
und als Maler des Lichts sogar hervorragend. Vorher war Jan bei Nikolaus
Knüpfer aus Leipzig in der Lehre gewesen, von dem wir noch eine kleine Zahl
warmglühender und fließend gemalter Bilder haben: Seine eigne Familie
konzertierend; Wie die Alten'sungen (in Dresden); die sieben Werke der
Barmherzigkeit (in Kassel); die Jagd nach dem Glück (1651, in Schwerin,


Jan Tteen und das Tittenbild der Hollander

Über den Bierbrauerssohn Jan Steen, der 1679 in seiner Geburtsstadt
Leyden starb, etwa dreiundfünfzigjährig, sodaß er um 1626 geboren sein muß,
stehn bei Houbraken und Wehermann die schnurrigsten Geschichten, Der herab-
gekommne Kneipwirt war selbst sein bester Gast und malte nur, wenn er nichts
mehr zu vertrinken hatte, und dann vorzugsweise »achlässige und unschickliche
Sachen, die man lieber nicht angesehen hätte, und die darum auch schlecht be¬
zahlt wurden, sodaß er nach einem unsteten Leben verdientermaßen in Armut
sterben mußte. Unruhig genug lebte er freilich, denn nachdem er 1648 in die
Lukasgilde aufgenommen worden war, ging er 1649 nach dem Haag, heiratete
dort Goyens Tochter Margarete, kehrte 1654 zurück, brach aber schou 1661
nach Haarlem auf und ließ sich erst uach 1669 wieder in seiner Heimat nieder,
wo er 1672 um eine Schaukkonzession einkam und 1673 zum zweitenmal
heiratete. Aber ein fleißiger Maler ist er dennoch gewesen, denn er hat uns
gegen fünfhundert Bilder hinterlassen, sodaß durchschnittlich zwanzig auf ein
Jahr kommen mögen, darunter immer einige, die viele Wochen Arbeit forderten.
Da er jedoch für das Stück gewöhnlich nur zehn bis zwanzig Gulden bekam,
so konnte er mit seinen vielen Kindern füglich kein wohlhabender Mann werden.
Darum gab er das väterliche Gewerbe nicht ganz auf, wie er denn auch 1654
in Delft, ohne dort zu wohnen, eine Brauerei übernommen hatte, ganz gewiß
nicht zu seinem Vergnügen.

Was mau damals, als die holländische Kunst schon im Niedergang be¬
griffen war, am höchsten schätzte, das feine Ausführen und die akademische
Vornehmthuerei, das war beides seine Sache nicht. Er war ein Mann von
Geist und Einfällen, ein Beobachter und Erfinder; der Ausdruck war ihm die
Hauptfache, und der ist immer scharf. Er komponiert frei und lebendig, deutlich
im Raum, sehr oft auch nachlässig, und sein Kolorit kann von der größten
Pracht und Leuchtkraft sein. Aber diese höchste Kunst lohnte sich für ihn am
wenigsten, sie war an diesen Gegenständen verloren. Wenn er sie schnell und
mühelos hinwarf, wenn nur die Ausführung ihm genügte zum Ausdruck seiner
Gedanken, so faud er immerhin seine Abnehmer, und er verdiente besser dabei.
Mit Mieris und Netscher oder gar mit Don konnte er ja ohnehin nicht wett¬
eifern. Ein solcher Charakteristiker verdankt natürlich am meisten dem, was
in ihm ist. Aber zunächst müssen wir auch nach seinen Lehrern fragen und
nach den äußern Eindrücken, von denen er umgeben war.

Daß er zu seinein Schwiegervater Goben zunächst als Schüler gekommen
wäre, könnte man an einem Figurenmaler begreifen, der sich nicht auf Interieurs
beschränken wollte, und auf manchen von Jan seems Bildern findet man in
der That gute, feine Landschaft; außerdem war Goben auch in Figuren tüchtig
und als Maler des Lichts sogar hervorragend. Vorher war Jan bei Nikolaus
Knüpfer aus Leipzig in der Lehre gewesen, von dem wir noch eine kleine Zahl
warmglühender und fließend gemalter Bilder haben: Seine eigne Familie
konzertierend; Wie die Alten'sungen (in Dresden); die sieben Werke der
Barmherzigkeit (in Kassel); die Jagd nach dem Glück (1651, in Schwerin,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0632" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235804"/>
          <fw type="header" place="top"> Jan Tteen und das Tittenbild der Hollander</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2559"> Über den Bierbrauerssohn Jan Steen, der 1679 in seiner Geburtsstadt<lb/>
Leyden starb, etwa dreiundfünfzigjährig, sodaß er um 1626 geboren sein muß,<lb/>
stehn bei Houbraken und Wehermann die schnurrigsten Geschichten, Der herab-<lb/>
gekommne Kneipwirt war selbst sein bester Gast und malte nur, wenn er nichts<lb/>
mehr zu vertrinken hatte, und dann vorzugsweise »achlässige und unschickliche<lb/>
Sachen, die man lieber nicht angesehen hätte, und die darum auch schlecht be¬<lb/>
zahlt wurden, sodaß er nach einem unsteten Leben verdientermaßen in Armut<lb/>
sterben mußte. Unruhig genug lebte er freilich, denn nachdem er 1648 in die<lb/>
Lukasgilde aufgenommen worden war, ging er 1649 nach dem Haag, heiratete<lb/>
dort Goyens Tochter Margarete, kehrte 1654 zurück, brach aber schou 1661<lb/>
nach Haarlem auf und ließ sich erst uach 1669 wieder in seiner Heimat nieder,<lb/>
wo er 1672 um eine Schaukkonzession einkam und 1673 zum zweitenmal<lb/>
heiratete. Aber ein fleißiger Maler ist er dennoch gewesen, denn er hat uns<lb/>
gegen fünfhundert Bilder hinterlassen, sodaß durchschnittlich zwanzig auf ein<lb/>
Jahr kommen mögen, darunter immer einige, die viele Wochen Arbeit forderten.<lb/>
Da er jedoch für das Stück gewöhnlich nur zehn bis zwanzig Gulden bekam,<lb/>
so konnte er mit seinen vielen Kindern füglich kein wohlhabender Mann werden.<lb/>
Darum gab er das väterliche Gewerbe nicht ganz auf, wie er denn auch 1654<lb/>
in Delft, ohne dort zu wohnen, eine Brauerei übernommen hatte, ganz gewiß<lb/>
nicht zu seinem Vergnügen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2560"> Was mau damals, als die holländische Kunst schon im Niedergang be¬<lb/>
griffen war, am höchsten schätzte, das feine Ausführen und die akademische<lb/>
Vornehmthuerei, das war beides seine Sache nicht. Er war ein Mann von<lb/>
Geist und Einfällen, ein Beobachter und Erfinder; der Ausdruck war ihm die<lb/>
Hauptfache, und der ist immer scharf. Er komponiert frei und lebendig, deutlich<lb/>
im Raum, sehr oft auch nachlässig, und sein Kolorit kann von der größten<lb/>
Pracht und Leuchtkraft sein. Aber diese höchste Kunst lohnte sich für ihn am<lb/>
wenigsten, sie war an diesen Gegenständen verloren. Wenn er sie schnell und<lb/>
mühelos hinwarf, wenn nur die Ausführung ihm genügte zum Ausdruck seiner<lb/>
Gedanken, so faud er immerhin seine Abnehmer, und er verdiente besser dabei.<lb/>
Mit Mieris und Netscher oder gar mit Don konnte er ja ohnehin nicht wett¬<lb/>
eifern. Ein solcher Charakteristiker verdankt natürlich am meisten dem, was<lb/>
in ihm ist. Aber zunächst müssen wir auch nach seinen Lehrern fragen und<lb/>
nach den äußern Eindrücken, von denen er umgeben war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2561" next="#ID_2562"> Daß er zu seinein Schwiegervater Goben zunächst als Schüler gekommen<lb/>
wäre, könnte man an einem Figurenmaler begreifen, der sich nicht auf Interieurs<lb/>
beschränken wollte, und auf manchen von Jan seems Bildern findet man in<lb/>
der That gute, feine Landschaft; außerdem war Goben auch in Figuren tüchtig<lb/>
und als Maler des Lichts sogar hervorragend. Vorher war Jan bei Nikolaus<lb/>
Knüpfer aus Leipzig in der Lehre gewesen, von dem wir noch eine kleine Zahl<lb/>
warmglühender und fließend gemalter Bilder haben: Seine eigne Familie<lb/>
konzertierend; Wie die Alten'sungen (in Dresden); die sieben Werke der<lb/>
Barmherzigkeit (in Kassel); die Jagd nach dem Glück (1651, in Schwerin,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0632] Jan Tteen und das Tittenbild der Hollander Über den Bierbrauerssohn Jan Steen, der 1679 in seiner Geburtsstadt Leyden starb, etwa dreiundfünfzigjährig, sodaß er um 1626 geboren sein muß, stehn bei Houbraken und Wehermann die schnurrigsten Geschichten, Der herab- gekommne Kneipwirt war selbst sein bester Gast und malte nur, wenn er nichts mehr zu vertrinken hatte, und dann vorzugsweise »achlässige und unschickliche Sachen, die man lieber nicht angesehen hätte, und die darum auch schlecht be¬ zahlt wurden, sodaß er nach einem unsteten Leben verdientermaßen in Armut sterben mußte. Unruhig genug lebte er freilich, denn nachdem er 1648 in die Lukasgilde aufgenommen worden war, ging er 1649 nach dem Haag, heiratete dort Goyens Tochter Margarete, kehrte 1654 zurück, brach aber schou 1661 nach Haarlem auf und ließ sich erst uach 1669 wieder in seiner Heimat nieder, wo er 1672 um eine Schaukkonzession einkam und 1673 zum zweitenmal heiratete. Aber ein fleißiger Maler ist er dennoch gewesen, denn er hat uns gegen fünfhundert Bilder hinterlassen, sodaß durchschnittlich zwanzig auf ein Jahr kommen mögen, darunter immer einige, die viele Wochen Arbeit forderten. Da er jedoch für das Stück gewöhnlich nur zehn bis zwanzig Gulden bekam, so konnte er mit seinen vielen Kindern füglich kein wohlhabender Mann werden. Darum gab er das väterliche Gewerbe nicht ganz auf, wie er denn auch 1654 in Delft, ohne dort zu wohnen, eine Brauerei übernommen hatte, ganz gewiß nicht zu seinem Vergnügen. Was mau damals, als die holländische Kunst schon im Niedergang be¬ griffen war, am höchsten schätzte, das feine Ausführen und die akademische Vornehmthuerei, das war beides seine Sache nicht. Er war ein Mann von Geist und Einfällen, ein Beobachter und Erfinder; der Ausdruck war ihm die Hauptfache, und der ist immer scharf. Er komponiert frei und lebendig, deutlich im Raum, sehr oft auch nachlässig, und sein Kolorit kann von der größten Pracht und Leuchtkraft sein. Aber diese höchste Kunst lohnte sich für ihn am wenigsten, sie war an diesen Gegenständen verloren. Wenn er sie schnell und mühelos hinwarf, wenn nur die Ausführung ihm genügte zum Ausdruck seiner Gedanken, so faud er immerhin seine Abnehmer, und er verdiente besser dabei. Mit Mieris und Netscher oder gar mit Don konnte er ja ohnehin nicht wett¬ eifern. Ein solcher Charakteristiker verdankt natürlich am meisten dem, was in ihm ist. Aber zunächst müssen wir auch nach seinen Lehrern fragen und nach den äußern Eindrücken, von denen er umgeben war. Daß er zu seinein Schwiegervater Goben zunächst als Schüler gekommen wäre, könnte man an einem Figurenmaler begreifen, der sich nicht auf Interieurs beschränken wollte, und auf manchen von Jan seems Bildern findet man in der That gute, feine Landschaft; außerdem war Goben auch in Figuren tüchtig und als Maler des Lichts sogar hervorragend. Vorher war Jan bei Nikolaus Knüpfer aus Leipzig in der Lehre gewesen, von dem wir noch eine kleine Zahl warmglühender und fließend gemalter Bilder haben: Seine eigne Familie konzertierend; Wie die Alten'sungen (in Dresden); die sieben Werke der Barmherzigkeit (in Kassel); die Jagd nach dem Glück (1651, in Schwerin,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/632
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/632>, abgerufen am 22.07.2024.