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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Ergebnisse des chinesische" Feldzugs

geht. Den ärgerlichen Stimmen, die darüber, namentlich auch über die deutsche
Besatzung in Shanghai, in der englischen Presse wie im englischen Parlament
laut wurden, hat die Negierung loyalerweise keine Folge gegeben.

Um das alles sehen zu können, bedarf es nur gesunder Angen, nicht
irgendwelcher Einsicht in die Akten des Auswärtigen Amts oder besondrer
Informationen, und mau sollte deuten, daß, wenn Verlauf und Ergebnis unsrer
ersten großen überseeischen Expedition mich gerade zur Begeisterung keinen Anlaß
bieten, so doch aller Anlaß vorhanden war und ist, sie thatkräftig zu uuterstiitzeu,
sie mit Teilnahme lind Befriedigung zu begleiten und mit Genugthuung ans sie
zurückzusehen. Dieser billigen Voraussetzung hat das- deutsche Heer, das deutsche
Volk in Waffen zu Wasser und zu Lande, haben die deutsche Reederei und die
Krankenpflege vollauf entsprochen, aber ein großer Teil des deutschen Volks
nud der deutschen Presse hat das nicht gethan; "der große Moment traf auf
ein kleines Geschlecht," Diesen Leuten wäre es am liebsten gewesen, wenn
wir gar nicht nach China gegangen wären oder uns dort wenigstens mit der
bescheidnen Rolle Österreichs und Italiens begnügt hätten; jn man schämte
sich nicht, gelegentlich sogar die Besetzung voll Kiautschou als die angebliche
Ursache der Boxerbewegung zu bedauern, nachdem vorher die Neichsregiernng
fortwährend der Schwäche beschuldigt worden war, weil sie aus dem chinesisch-
japanischen Kriege keinen Vorteil zu ziehn verstanden habe. Wenn die große
Masse des Volks die Bedeutung des Moments, wo Deutschland zum ersten¬
male mit voller Wucht in die Weltpolitik eingriff, nicht verstand, so war das
begreiflich; wenn aber auch ein Teil der Gebildeten dafür kein Auge hatte,
so war das ein neues klägliches Zeugnis für unsre politische Unreife, und eine
ganz undeutsche Feigheit oder ein grundloses Mißtrauen gegen die kaiserliche
Politik, die man am liebsten wieder einmal der Unbesonnenheit und Über¬
stürzung beschuldigt hätte oder auch wirklich beschuldigte, Und welches takt¬
lose und aufdringliche Gerede über die sogenannten "Nebeugeräusche" bei der
Ausfahrt, über die Allsprachen des Kaisers an seine Truppen, die unter dem
ersten Eindruck der übertriebnen, aber damals allgemein geglaubte" Nach¬
richten von den Greueln in Peking ans einer tief empörten Seele flössen, über
die angeblich zu weit gehenden Ehrungen Waldersees, als ob es für den be¬
jahrten Herrn ein kleiner harmloser Ausflug gewesen wäre, obendrein in der
Hitze des tropischen Sommers nach China zu fahren und dort unter ganz
neuen schwierigen Verhältnissen den Oberbefehl über Truppen zu übernehmen,
die er zum größten Teile gar nicht kannte! Noch immer will dieses Geschwätz
nicht zum Schweigen kommen; ja schon lassen weise Thebmicr ihren unerbctnen
Rat vernehmen, bei der Heimkehr des Feldmarschalls ähnliche "Überschweng-
lichkeiten" zu vermeiden, als ob der oberste Kriegsherr nicht besser als jeder
andre die Verdienste Waldersees kennen müßte!

Dann war man enttäuscht, daß nicht große Siegesnachrichten von drüben
kamen, sondern nur mühsame Märsche und einzelne Gefechte gemeldet wurden,
weil man den Charakter dieses Krieges gänzlich verkannte; man fand, daß den


Die Ergebnisse des chinesische» Feldzugs

geht. Den ärgerlichen Stimmen, die darüber, namentlich auch über die deutsche
Besatzung in Shanghai, in der englischen Presse wie im englischen Parlament
laut wurden, hat die Negierung loyalerweise keine Folge gegeben.

Um das alles sehen zu können, bedarf es nur gesunder Angen, nicht
irgendwelcher Einsicht in die Akten des Auswärtigen Amts oder besondrer
Informationen, und mau sollte deuten, daß, wenn Verlauf und Ergebnis unsrer
ersten großen überseeischen Expedition mich gerade zur Begeisterung keinen Anlaß
bieten, so doch aller Anlaß vorhanden war und ist, sie thatkräftig zu uuterstiitzeu,
sie mit Teilnahme lind Befriedigung zu begleiten und mit Genugthuung ans sie
zurückzusehen. Dieser billigen Voraussetzung hat das- deutsche Heer, das deutsche
Volk in Waffen zu Wasser und zu Lande, haben die deutsche Reederei und die
Krankenpflege vollauf entsprochen, aber ein großer Teil des deutschen Volks
nud der deutschen Presse hat das nicht gethan; „der große Moment traf auf
ein kleines Geschlecht," Diesen Leuten wäre es am liebsten gewesen, wenn
wir gar nicht nach China gegangen wären oder uns dort wenigstens mit der
bescheidnen Rolle Österreichs und Italiens begnügt hätten; jn man schämte
sich nicht, gelegentlich sogar die Besetzung voll Kiautschou als die angebliche
Ursache der Boxerbewegung zu bedauern, nachdem vorher die Neichsregiernng
fortwährend der Schwäche beschuldigt worden war, weil sie aus dem chinesisch-
japanischen Kriege keinen Vorteil zu ziehn verstanden habe. Wenn die große
Masse des Volks die Bedeutung des Moments, wo Deutschland zum ersten¬
male mit voller Wucht in die Weltpolitik eingriff, nicht verstand, so war das
begreiflich; wenn aber auch ein Teil der Gebildeten dafür kein Auge hatte,
so war das ein neues klägliches Zeugnis für unsre politische Unreife, und eine
ganz undeutsche Feigheit oder ein grundloses Mißtrauen gegen die kaiserliche
Politik, die man am liebsten wieder einmal der Unbesonnenheit und Über¬
stürzung beschuldigt hätte oder auch wirklich beschuldigte, Und welches takt¬
lose und aufdringliche Gerede über die sogenannten „Nebeugeräusche" bei der
Ausfahrt, über die Allsprachen des Kaisers an seine Truppen, die unter dem
ersten Eindruck der übertriebnen, aber damals allgemein geglaubte» Nach¬
richten von den Greueln in Peking ans einer tief empörten Seele flössen, über
die angeblich zu weit gehenden Ehrungen Waldersees, als ob es für den be¬
jahrten Herrn ein kleiner harmloser Ausflug gewesen wäre, obendrein in der
Hitze des tropischen Sommers nach China zu fahren und dort unter ganz
neuen schwierigen Verhältnissen den Oberbefehl über Truppen zu übernehmen,
die er zum größten Teile gar nicht kannte! Noch immer will dieses Geschwätz
nicht zum Schweigen kommen; ja schon lassen weise Thebmicr ihren unerbctnen
Rat vernehmen, bei der Heimkehr des Feldmarschalls ähnliche „Überschweng-
lichkeiten" zu vermeiden, als ob der oberste Kriegsherr nicht besser als jeder
andre die Verdienste Waldersees kennen müßte!

Dann war man enttäuscht, daß nicht große Siegesnachrichten von drüben
kamen, sondern nur mühsame Märsche und einzelne Gefechte gemeldet wurden,
weil man den Charakter dieses Krieges gänzlich verkannte; man fand, daß den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/60>, abgerufen am 22.07.2024.