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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Maschine, der Motor, dessen Triebkraft die Thätigkeit der lokalen Verwaltung
in Bewegung setzt und regelt. In der Praxis tritt das noch viel stärker
hervor, als es nach dem Buchstaben des Gesetzes anzunehmen wäre, und das
rührt davon her, daß die Staatsmänner, die die Ämter des Ministeriums deS
Innern bekleiden, gleichviel welcher Partei sie angehören, stets die Abneigung
der Nation gegen zcntraladministrative Bevormundung teilen. Nichts wird in
England so eifersüchtig gewahrt, als dieser Zug des nationalen StantslebenS,
und nichts könnte einen Staatsmann sicherer um Beliebtheit und Amt bringen
als etwa der Versuch, England bureaukratisch regieren zu wollen. Kaum giebt
es etwas, das dem Engländer jeder Klasse so widerwärtig wäre wie der Ge¬
danke, daß er sich Befehlen einer Bureaukratie gleich wie ein ein Gesetze fügen
sollte, und daß diese Bureaukratie als eine Art von Staat im Staate oder
gar als Verkörperung des Staats zu gelten habe. Mögen anch manche Ver¬
letzungen dieser Tradition, wie sie dein Übereifer der Vorkämpfer für sanitäre
und sozialpolitische Verwnltungsreform entspringen, ziemlich ruhig hingenommen
worden sein, so darf das doch niemand darüber hinwegtäuschen, daß es sich
in solche" Fällen immer nur um vorübergehende Erscheinungen und nebensäch¬
liche Dinge handelt: das Prinzip, daß England nur nach Gesetzen und nicht
nach Instruktionen von Beamten regiert wird, bleibt unerschütterlich besteh"."

Es werde" da"" "och die übrige" Zentralbehörden der innern Ver¬
waltung: Polizei, Handelsamt und Landwirtschaftsamt behandelt und die
Stellung des Parlaments und der Gerichte im System der Lvkalverwaltnng,
wobei wir eine sehr interessante Geschichte der Entwicklung der englischen
Rechtspflege erhalten; aus dieser Geschichte ergiebt sich nach Redlich auf das
deutlichste, daß der Grundsatz von der Einheit und Souveränität des Rechts
oder des Gesetzes aus jeder Äußerung des politischen Lebens der englischen
Nation mit elementarer Kraft hervortrete. Diese Grundanschauung der eng¬
lischen Nation und ihr Wille, danach zu leben und zu handeln, machen das
Wesen der ungeschriebnen englischen Verfassung ans. Geschriebn" Vcrfnssnugeu,
in Paragraphen destillierte staatsrechtliche Grundsätze sind, wie Redlich richtig
bemerkt, nur insoweit wirkliches Recht, als die, die im Staate die Macht habe",
sie verwirklichen wollen oder die Verwirklichmig zulasse".




D!e englische Lofalverwciltnng

Maschine, der Motor, dessen Triebkraft die Thätigkeit der lokalen Verwaltung
in Bewegung setzt und regelt. In der Praxis tritt das noch viel stärker
hervor, als es nach dem Buchstaben des Gesetzes anzunehmen wäre, und das
rührt davon her, daß die Staatsmänner, die die Ämter des Ministeriums deS
Innern bekleiden, gleichviel welcher Partei sie angehören, stets die Abneigung
der Nation gegen zcntraladministrative Bevormundung teilen. Nichts wird in
England so eifersüchtig gewahrt, als dieser Zug des nationalen StantslebenS,
und nichts könnte einen Staatsmann sicherer um Beliebtheit und Amt bringen
als etwa der Versuch, England bureaukratisch regieren zu wollen. Kaum giebt
es etwas, das dem Engländer jeder Klasse so widerwärtig wäre wie der Ge¬
danke, daß er sich Befehlen einer Bureaukratie gleich wie ein ein Gesetze fügen
sollte, und daß diese Bureaukratie als eine Art von Staat im Staate oder
gar als Verkörperung des Staats zu gelten habe. Mögen anch manche Ver¬
letzungen dieser Tradition, wie sie dein Übereifer der Vorkämpfer für sanitäre
und sozialpolitische Verwnltungsreform entspringen, ziemlich ruhig hingenommen
worden sein, so darf das doch niemand darüber hinwegtäuschen, daß es sich
in solche» Fällen immer nur um vorübergehende Erscheinungen und nebensäch¬
liche Dinge handelt: das Prinzip, daß England nur nach Gesetzen und nicht
nach Instruktionen von Beamten regiert wird, bleibt unerschütterlich besteh»."

Es werde» da»» »och die übrige» Zentralbehörden der innern Ver¬
waltung: Polizei, Handelsamt und Landwirtschaftsamt behandelt und die
Stellung des Parlaments und der Gerichte im System der Lvkalverwaltnng,
wobei wir eine sehr interessante Geschichte der Entwicklung der englischen
Rechtspflege erhalten; aus dieser Geschichte ergiebt sich nach Redlich auf das
deutlichste, daß der Grundsatz von der Einheit und Souveränität des Rechts
oder des Gesetzes aus jeder Äußerung des politischen Lebens der englischen
Nation mit elementarer Kraft hervortrete. Diese Grundanschauung der eng¬
lischen Nation und ihr Wille, danach zu leben und zu handeln, machen das
Wesen der ungeschriebnen englischen Verfassung ans. Geschriebn« Vcrfnssnugeu,
in Paragraphen destillierte staatsrechtliche Grundsätze sind, wie Redlich richtig
bemerkt, nur insoweit wirkliches Recht, als die, die im Staate die Macht habe»,
sie verwirklichen wollen oder die Verwirklichmig zulasse».




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[0562] D!e englische Lofalverwciltnng Maschine, der Motor, dessen Triebkraft die Thätigkeit der lokalen Verwaltung in Bewegung setzt und regelt. In der Praxis tritt das noch viel stärker hervor, als es nach dem Buchstaben des Gesetzes anzunehmen wäre, und das rührt davon her, daß die Staatsmänner, die die Ämter des Ministeriums deS Innern bekleiden, gleichviel welcher Partei sie angehören, stets die Abneigung der Nation gegen zcntraladministrative Bevormundung teilen. Nichts wird in England so eifersüchtig gewahrt, als dieser Zug des nationalen StantslebenS, und nichts könnte einen Staatsmann sicherer um Beliebtheit und Amt bringen als etwa der Versuch, England bureaukratisch regieren zu wollen. Kaum giebt es etwas, das dem Engländer jeder Klasse so widerwärtig wäre wie der Ge¬ danke, daß er sich Befehlen einer Bureaukratie gleich wie ein ein Gesetze fügen sollte, und daß diese Bureaukratie als eine Art von Staat im Staate oder gar als Verkörperung des Staats zu gelten habe. Mögen anch manche Ver¬ letzungen dieser Tradition, wie sie dein Übereifer der Vorkämpfer für sanitäre und sozialpolitische Verwnltungsreform entspringen, ziemlich ruhig hingenommen worden sein, so darf das doch niemand darüber hinwegtäuschen, daß es sich in solche» Fällen immer nur um vorübergehende Erscheinungen und nebensäch¬ liche Dinge handelt: das Prinzip, daß England nur nach Gesetzen und nicht nach Instruktionen von Beamten regiert wird, bleibt unerschütterlich besteh»." Es werde» da»» »och die übrige» Zentralbehörden der innern Ver¬ waltung: Polizei, Handelsamt und Landwirtschaftsamt behandelt und die Stellung des Parlaments und der Gerichte im System der Lvkalverwaltnng, wobei wir eine sehr interessante Geschichte der Entwicklung der englischen Rechtspflege erhalten; aus dieser Geschichte ergiebt sich nach Redlich auf das deutlichste, daß der Grundsatz von der Einheit und Souveränität des Rechts oder des Gesetzes aus jeder Äußerung des politischen Lebens der englischen Nation mit elementarer Kraft hervortrete. Diese Grundanschauung der eng¬ lischen Nation und ihr Wille, danach zu leben und zu handeln, machen das Wesen der ungeschriebnen englischen Verfassung ans. Geschriebn« Vcrfnssnugeu, in Paragraphen destillierte staatsrechtliche Grundsätze sind, wie Redlich richtig bemerkt, nur insoweit wirkliches Recht, als die, die im Staate die Macht habe», sie verwirklichen wollen oder die Verwirklichmig zulasse».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/562>, abgerufen am 22.07.2024.