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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Mohmmzs- und Bodenpolitik in Großbcrlm

hnltnis zum Arbeitslohn, zum Einkommen. Aber praktisch wird danach auch
nicht gemessen werden können. Der Ungeschickte, Schwache, aber auch der
Liederliche lind Faule würden denselben Maßstab erlangen wie der, der mehr
verdient, und schließlich auch der Arbeitslose je nach seinem Einkommen, Einen
Unterschied darin zu machen, ist längst als unsozial anerkannt. Alle diese
Fragen müßten brennend werden, wenn man die Pflicht der Kommune zur
Beschaffung guter und billiger Arbeiterwohnungen aufstellte, und sie müßten
zu einer größern Unzufriedenheit und zu wirklichem Haß gegen die besitzenden
Klassen, die dafür die Geldmittel hergeben sollen, und gegen den sogenannten
Klassenstaat und die Klassenherrschaft, die sie dazu anhalten soll, führen, so
lange als nicht das Proletariat ganz und gar Herr im Lande ist, und das
Vive 1a ooilulirmö! den vollen Sieg errungen hat. Schon deshalb ist für uns
die neue wohnnngspolitische Aktion der Großstädte auch eine Unmöglichkeit,
ein finanz-, sozial- und allgemeinpvlitisches Unding.

Der Oberbürgermeister von Frankfurt a, M,, Adickes, hat im zweite"
Baude der Schriften des Vereins für Sozialpolitik eine Arbeit über die
"Förderung des Baus kleiner Wohnungen dnrch die private Thätigkeit auf
streng wirtschaftlicher Grundlage" veröffentlicht. Er behandelt darin sein
eigentliches Thema etwas stiefmütterlich, sagt aber manches zu unserm Thema,
worauf wir um so mehr etwas näher eingehn müssen, weil ihm ein besondrer
Einfluß auf die ganze "Aktion" zugeschrieben werden darf und deshalb auch
eine besondre Verantwortung für weitere Fehler, die damit gemacht werden,
zugeschoben werden muß. Er ernährt zunächst auf das eindringlichste gegen¬
über der kommunalen Subventionspolitik in der Wohnungsfrage zur Vorsicht.
"Eine künstliche Herstellung von Wohnungen -- schreibt er -- unter dem
wirklichen Marktpreise bedeutet, wenn sie durch öffentliche Subventionen herbei¬
geführt wird, am letzten Ende nichts andres, als daß ein Teil der Steuer¬
zahler durch die andern in Bezug auf den Bau ihrer Wohnungen eine Unter-
stützung erhält, und eine solche Unterstützung, welche aus dem Nahmen der im
allgemeinen für das wirtschaftliche Leben geltenden Grundsätze heraustritt,
bringt notwendigerweise mancherlei Gefahren mit sich. Sie greift zunächst,
indem sie den Unterhalts bedarf dnrch künstliche Mittel verbilligt, in die zwischen
Arbeitgebern und Arbeitern hin und her schwankenden Bewegungen in betreff
der Höhe des Arbeitslohns ein und würde, wenn allgemein durchgeführt,
ebenso wie seinerzeit die Armenunterstützung in England zu einer künstlichen
Herabdrückung des Arbeitslohns führen müssen. Ebenso greift eine künstliche
Verbilligung der Wohnungen in die Vorgänge des wirtschaftlichen Lebens in
Bezug auf die Aufsuchung und Verteilung der Arbeitsstätten ein. Wenn dem
Arbeiter durch das Freizügigkeitsgesetz die rechtliche Möglichkeit einer beliebigen
Wahl seines Arbeit- und Aufenthaltorts gegeben ist, so ist dabei doch immer
vorausgesetzt, daß die natürlichen Bedingungen des Aufenthalts nicht künstlich
verändert werden, und es würde eine künstliche Beförderung des Stroms der
Arbeiterbevölkerung nach gewissen Plätzen bedeuten, wenn dort künstlich Woh-


Die Mohmmzs- und Bodenpolitik in Großbcrlm

hnltnis zum Arbeitslohn, zum Einkommen. Aber praktisch wird danach auch
nicht gemessen werden können. Der Ungeschickte, Schwache, aber auch der
Liederliche lind Faule würden denselben Maßstab erlangen wie der, der mehr
verdient, und schließlich auch der Arbeitslose je nach seinem Einkommen, Einen
Unterschied darin zu machen, ist längst als unsozial anerkannt. Alle diese
Fragen müßten brennend werden, wenn man die Pflicht der Kommune zur
Beschaffung guter und billiger Arbeiterwohnungen aufstellte, und sie müßten
zu einer größern Unzufriedenheit und zu wirklichem Haß gegen die besitzenden
Klassen, die dafür die Geldmittel hergeben sollen, und gegen den sogenannten
Klassenstaat und die Klassenherrschaft, die sie dazu anhalten soll, führen, so
lange als nicht das Proletariat ganz und gar Herr im Lande ist, und das
Vive 1a ooilulirmö! den vollen Sieg errungen hat. Schon deshalb ist für uns
die neue wohnnngspolitische Aktion der Großstädte auch eine Unmöglichkeit,
ein finanz-, sozial- und allgemeinpvlitisches Unding.

Der Oberbürgermeister von Frankfurt a, M,, Adickes, hat im zweite»
Baude der Schriften des Vereins für Sozialpolitik eine Arbeit über die
„Förderung des Baus kleiner Wohnungen dnrch die private Thätigkeit auf
streng wirtschaftlicher Grundlage" veröffentlicht. Er behandelt darin sein
eigentliches Thema etwas stiefmütterlich, sagt aber manches zu unserm Thema,
worauf wir um so mehr etwas näher eingehn müssen, weil ihm ein besondrer
Einfluß auf die ganze „Aktion" zugeschrieben werden darf und deshalb auch
eine besondre Verantwortung für weitere Fehler, die damit gemacht werden,
zugeschoben werden muß. Er ernährt zunächst auf das eindringlichste gegen¬
über der kommunalen Subventionspolitik in der Wohnungsfrage zur Vorsicht.
„Eine künstliche Herstellung von Wohnungen — schreibt er — unter dem
wirklichen Marktpreise bedeutet, wenn sie durch öffentliche Subventionen herbei¬
geführt wird, am letzten Ende nichts andres, als daß ein Teil der Steuer¬
zahler durch die andern in Bezug auf den Bau ihrer Wohnungen eine Unter-
stützung erhält, und eine solche Unterstützung, welche aus dem Nahmen der im
allgemeinen für das wirtschaftliche Leben geltenden Grundsätze heraustritt,
bringt notwendigerweise mancherlei Gefahren mit sich. Sie greift zunächst,
indem sie den Unterhalts bedarf dnrch künstliche Mittel verbilligt, in die zwischen
Arbeitgebern und Arbeitern hin und her schwankenden Bewegungen in betreff
der Höhe des Arbeitslohns ein und würde, wenn allgemein durchgeführt,
ebenso wie seinerzeit die Armenunterstützung in England zu einer künstlichen
Herabdrückung des Arbeitslohns führen müssen. Ebenso greift eine künstliche
Verbilligung der Wohnungen in die Vorgänge des wirtschaftlichen Lebens in
Bezug auf die Aufsuchung und Verteilung der Arbeitsstätten ein. Wenn dem
Arbeiter durch das Freizügigkeitsgesetz die rechtliche Möglichkeit einer beliebigen
Wahl seines Arbeit- und Aufenthaltorts gegeben ist, so ist dabei doch immer
vorausgesetzt, daß die natürlichen Bedingungen des Aufenthalts nicht künstlich
verändert werden, und es würde eine künstliche Beförderung des Stroms der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/542>, abgerufen am 22.07.2024.