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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Bizetta

zwei kleinere Jnuenmolen geschützten Kanal, der am Bahnhof vorbei in den
innern Hafen, in die Sebrabucht des großen Bizertasecs führt!

Immer noch bewahrt die Altstadt, das "orientalische Venedig," ihr echt
maurisches Gepräge mit den dunkeln Bnzare", den geheimnisvollen Gewölben,
den engen Güßchen, Lautlos gleiten die Felucken durch die glatten Wasser¬
arme, in denen sich abends die Lichter der Kaffeehäuser und Bazare spiegeln,
und hoch ragen ins Mondlicht hinein die Weißen viereckigen Minarete und die
Fahnenstangen der Moscheen. Noch ertönt auf den Terrassen der heitere Schall
der Tambuleks (das ist ein hohes verziertes Thonrohr mit Leder überspannt),
der Ton fliegt von Söller zu Söller, bis sich die ganze Weiße Stadt mit
sanfter Musik erfüllt, in die aus Gitterfenstern dringende Frauenstimmen ein¬
fallen, eine Musik, die vou der leichten Brandung begleitet weithin in die
Nacht verklingt. Aber wie lange wird dieser morgenländische Zauber noch
währen, nachdem man von dein uralten Beuzert in Stunden zweimal
täglich mit der Bahn in das Klein-Paris Tunis hinüberfahren kann? Ob
heute nur noch alle die vier Thore stehn, die im Jahre 1896, mit rostigem
Eisenblech über und über beschlagen, den Eingang bewachten!

Das Innere und Innerste der Altstadt wird sich freilich nicht so rasch
verändern, und noch lange wird auch hier so gut wie in Stambul und allen
Orientstädten bei Regengüssen der Schmutz in den Rinnen herabströmen, die
sich inmitten sämtlicher aus zwei Steinreihen bestehender Gassen hinziehn.
Zahlreich spannen sich die mit Holzschließen ausgestatteten Bogen über die
Straßen, und malerisches Winkelwerk bietet sich dem Auge, wohin es schaut.
Dazu bei den Bewohnern der Gassen und Winkel anffallend hübsche Gesichter
mit edeln Zügen und statuengleicher Vollendung der Formen, ein überaus
schöner und wohlgenährter Menschenschlag! Man zählte 1896 6000 bis
7000 Araber, dazu 1000 Katholiken (Beamte, Fischer, Hafenarbeiter), 700 bis
800 Juden, deren Frauen auch hier durch Üppigkeit auffallen. Während in
Algier, wie mir bei meinem dortigen Aufenthalt sofort auffiel und auch von
Franzosen bestätigt wurde, eine fremdenfeindliche Stimmung der eingebornen
Bevölkerung herrscht, gelten die Araber von Bizerta eher als fremdenfreund¬
lich, wie sie deun z. B., was hierfür bezeichnend sein dürfte, ihre -- nebenbei
bildhübschen -- Kinder gern in die französischen Schulen schicken. Fast überall
herrscht die Einehe, jedenfalls bei den umwohnenden Bauern, deren Weiber
unverhüllt gehn, während die Städterinnen sich sorgfältig hinter schwarzen
Schleiern verstecken. Die Altstadt zählt fünf große und sechs kleine Moscheen,
die zugleich Studienhäuser (Zaouias) sind, während dieselbe Stadt, als das
rümische Hippo Zarythus ein uralter Bischofsitz, bis zum Jahre 1830 kein
einziges christliches Gotteshaus mehr hatte. Im Jahre 1892 wurde vom
Papst der Titel eines Bischofs von Hippo Zarythus aufs neue verliehen.
Ein nicht hoch genug zu schätzender Vorzug dieser Altstadt sind die sechs
Bäder (Hamanns) und die 18 Kilometer ans den, Gebirge hergeführte Wasser¬
leitung, die vorzügliches Wasser spendet.


Bizetta

zwei kleinere Jnuenmolen geschützten Kanal, der am Bahnhof vorbei in den
innern Hafen, in die Sebrabucht des großen Bizertasecs führt!

Immer noch bewahrt die Altstadt, das „orientalische Venedig," ihr echt
maurisches Gepräge mit den dunkeln Bnzare», den geheimnisvollen Gewölben,
den engen Güßchen, Lautlos gleiten die Felucken durch die glatten Wasser¬
arme, in denen sich abends die Lichter der Kaffeehäuser und Bazare spiegeln,
und hoch ragen ins Mondlicht hinein die Weißen viereckigen Minarete und die
Fahnenstangen der Moscheen. Noch ertönt auf den Terrassen der heitere Schall
der Tambuleks (das ist ein hohes verziertes Thonrohr mit Leder überspannt),
der Ton fliegt von Söller zu Söller, bis sich die ganze Weiße Stadt mit
sanfter Musik erfüllt, in die aus Gitterfenstern dringende Frauenstimmen ein¬
fallen, eine Musik, die vou der leichten Brandung begleitet weithin in die
Nacht verklingt. Aber wie lange wird dieser morgenländische Zauber noch
währen, nachdem man von dein uralten Beuzert in Stunden zweimal
täglich mit der Bahn in das Klein-Paris Tunis hinüberfahren kann? Ob
heute nur noch alle die vier Thore stehn, die im Jahre 1896, mit rostigem
Eisenblech über und über beschlagen, den Eingang bewachten!

Das Innere und Innerste der Altstadt wird sich freilich nicht so rasch
verändern, und noch lange wird auch hier so gut wie in Stambul und allen
Orientstädten bei Regengüssen der Schmutz in den Rinnen herabströmen, die
sich inmitten sämtlicher aus zwei Steinreihen bestehender Gassen hinziehn.
Zahlreich spannen sich die mit Holzschließen ausgestatteten Bogen über die
Straßen, und malerisches Winkelwerk bietet sich dem Auge, wohin es schaut.
Dazu bei den Bewohnern der Gassen und Winkel anffallend hübsche Gesichter
mit edeln Zügen und statuengleicher Vollendung der Formen, ein überaus
schöner und wohlgenährter Menschenschlag! Man zählte 1896 6000 bis
7000 Araber, dazu 1000 Katholiken (Beamte, Fischer, Hafenarbeiter), 700 bis
800 Juden, deren Frauen auch hier durch Üppigkeit auffallen. Während in
Algier, wie mir bei meinem dortigen Aufenthalt sofort auffiel und auch von
Franzosen bestätigt wurde, eine fremdenfeindliche Stimmung der eingebornen
Bevölkerung herrscht, gelten die Araber von Bizerta eher als fremdenfreund¬
lich, wie sie deun z. B., was hierfür bezeichnend sein dürfte, ihre — nebenbei
bildhübschen — Kinder gern in die französischen Schulen schicken. Fast überall
herrscht die Einehe, jedenfalls bei den umwohnenden Bauern, deren Weiber
unverhüllt gehn, während die Städterinnen sich sorgfältig hinter schwarzen
Schleiern verstecken. Die Altstadt zählt fünf große und sechs kleine Moscheen,
die zugleich Studienhäuser (Zaouias) sind, während dieselbe Stadt, als das
rümische Hippo Zarythus ein uralter Bischofsitz, bis zum Jahre 1830 kein
einziges christliches Gotteshaus mehr hatte. Im Jahre 1892 wurde vom
Papst der Titel eines Bischofs von Hippo Zarythus aufs neue verliehen.
Ein nicht hoch genug zu schätzender Vorzug dieser Altstadt sind die sechs
Bäder (Hamanns) und die 18 Kilometer ans den, Gebirge hergeführte Wasser¬
leitung, die vorzügliches Wasser spendet.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/519>, abgerufen am 22.07.2024.