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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Ungarische wähle"

Ob der Tod Desider Szilägyis, dessen Ansehe" allein imstande war, die
mit großem Eifer angestrebte Abschwächung des heftig bestrittnen Gesetzentwurfs
zu vereiteln, nicht alle die ermutigen wird, die auf alle mögliche Weise eine
Umgehung des nunmehr von der Krone sanktionierte" Gesetzes versuchen
werden, muß abgewartet werde". Gewiß wird der Ministerpräsident "ach
dieser Richtung sein möglichstes thun und die Reinigung der politische"
Atmosphäre, die er sich zum Ziel gesetzt hat, uicht beeinträchtigen lassen.
Allerdings gehn dem Parlament durch die zu seiner moralische" Gesmiduug
unabweisliche Maßregel auch einige tüchtige Kräfte verloren.

Die wenigstens im Vergleich zu früher verhältnismäßig gesicherte Freiheit
und Reinheit der Wahlen hat nun viele Mandatsbcwerber in die Schranken
gelockt. Die Feinde Shells beeilten sich zu verkünden, daß nun die in den
letzten Jahren mit Ausnahme der siebenbürger Sachsen vollständig aus der
Volksvertretung verdrängten nichtmagyarischen Nationalitäten wieder ihre Ver¬
treter ins Parlament entsenden werden. Das wäre allerdings nur natürlich,
und wie einsichtige Magharen schon wiederholt zugestanden haben, besonders im
Interesse der herrschenden Rasse und des ungarischen Staats geradezu wünschens¬
wert. Aber deu meisten Magyaren ist die politische Bethätigung jeder andern
Nationalität ein Greuel, und so wird von den chauvinistischen Kreisen alles daran
gesetzt werden, zu verhindern, daß die Volksvertretung auch uur ein halbwegs
treues Spiegelbild der ethnographischen Verhältnisse des Landes werde. Auch
werden die jetzigen Abgeordneten um jeden Preis ihre Mandate behaupten
wollen. Die in das Fleisch und Blut der Komitatsgewaltigen und der ge¬
samten Beamtenschaft übergegaugnc Gewohnheit, auf die Wählerschaft den
größten Druck zur Wahl der von der Parteileitung meist auf höhern Wink
vvrgcschlagnen Kandidaten auszuüben, wird auch durch das korrekteste Ver¬
sälle" des Ministerpräsidenten nicht so schnell ausgerottet werden können.
Dann darf nicht anßer acht gelassen werden, daß eine dreißigjährige Praxis
die meisten Wähler daran gewöhnt hat, ihre Stimme zu verkaufen. Das gilt
insbesondre von der auf niedrigerer Kulturstufe stehenden slawischen und rumä¬
nischen Landbevölkerung. Bei Deutschen und Magyaren ist die Berufung auf
das Ehrgefühl doch schon wiederholt vou ausreichender Wirkung gewesen. Am
wirksamsten gegen die materielle Verlockung und gewaltthätige Nötigung hat
sich die konfessionelle Agitation der Klerikalen erwiesen, die doch ein ethisches
Prinzip in den Wahlkampf gebracht habe".

Aus diese" Dinge" erklärt sich wohl, warum auch die seit zwei bis drei
Jahren unter deu uugarlündischen Deutschen stärker hervortretende nationale
Bewegung, nächster Zeit wenigstens, kaum imstande sein wird, sich parlamen¬
tarisch zu bethätigen. Es giebt keinen Wahlbezirk im Lande, wo die Deutschen
nicht mit andern Nationalitäten vermischt wohnten. Würden nun anch die
deutschen Wähler in uneigennütziger Weise für eine" Kandidaten eintreten, der
ihr Stammcsgenossc ist, so würden sich um so mehr Rumänen und Serben
nnter dem gesetzlich zulässigen Titel der Vergütung der Fuhrlohne und der


Ungarische wähle»

Ob der Tod Desider Szilägyis, dessen Ansehe» allein imstande war, die
mit großem Eifer angestrebte Abschwächung des heftig bestrittnen Gesetzentwurfs
zu vereiteln, nicht alle die ermutigen wird, die auf alle mögliche Weise eine
Umgehung des nunmehr von der Krone sanktionierte» Gesetzes versuchen
werden, muß abgewartet werde». Gewiß wird der Ministerpräsident «ach
dieser Richtung sein möglichstes thun und die Reinigung der politische»
Atmosphäre, die er sich zum Ziel gesetzt hat, uicht beeinträchtigen lassen.
Allerdings gehn dem Parlament durch die zu seiner moralische» Gesmiduug
unabweisliche Maßregel auch einige tüchtige Kräfte verloren.

Die wenigstens im Vergleich zu früher verhältnismäßig gesicherte Freiheit
und Reinheit der Wahlen hat nun viele Mandatsbcwerber in die Schranken
gelockt. Die Feinde Shells beeilten sich zu verkünden, daß nun die in den
letzten Jahren mit Ausnahme der siebenbürger Sachsen vollständig aus der
Volksvertretung verdrängten nichtmagyarischen Nationalitäten wieder ihre Ver¬
treter ins Parlament entsenden werden. Das wäre allerdings nur natürlich,
und wie einsichtige Magharen schon wiederholt zugestanden haben, besonders im
Interesse der herrschenden Rasse und des ungarischen Staats geradezu wünschens¬
wert. Aber deu meisten Magyaren ist die politische Bethätigung jeder andern
Nationalität ein Greuel, und so wird von den chauvinistischen Kreisen alles daran
gesetzt werden, zu verhindern, daß die Volksvertretung auch uur ein halbwegs
treues Spiegelbild der ethnographischen Verhältnisse des Landes werde. Auch
werden die jetzigen Abgeordneten um jeden Preis ihre Mandate behaupten
wollen. Die in das Fleisch und Blut der Komitatsgewaltigen und der ge¬
samten Beamtenschaft übergegaugnc Gewohnheit, auf die Wählerschaft den
größten Druck zur Wahl der von der Parteileitung meist auf höhern Wink
vvrgcschlagnen Kandidaten auszuüben, wird auch durch das korrekteste Ver¬
sälle» des Ministerpräsidenten nicht so schnell ausgerottet werden können.
Dann darf nicht anßer acht gelassen werden, daß eine dreißigjährige Praxis
die meisten Wähler daran gewöhnt hat, ihre Stimme zu verkaufen. Das gilt
insbesondre von der auf niedrigerer Kulturstufe stehenden slawischen und rumä¬
nischen Landbevölkerung. Bei Deutschen und Magyaren ist die Berufung auf
das Ehrgefühl doch schon wiederholt vou ausreichender Wirkung gewesen. Am
wirksamsten gegen die materielle Verlockung und gewaltthätige Nötigung hat
sich die konfessionelle Agitation der Klerikalen erwiesen, die doch ein ethisches
Prinzip in den Wahlkampf gebracht habe».

Aus diese» Dinge» erklärt sich wohl, warum auch die seit zwei bis drei
Jahren unter deu uugarlündischen Deutschen stärker hervortretende nationale
Bewegung, nächster Zeit wenigstens, kaum imstande sein wird, sich parlamen¬
tarisch zu bethätigen. Es giebt keinen Wahlbezirk im Lande, wo die Deutschen
nicht mit andern Nationalitäten vermischt wohnten. Würden nun anch die
deutschen Wähler in uneigennütziger Weise für eine» Kandidaten eintreten, der
ihr Stammcsgenossc ist, so würden sich um so mehr Rumänen und Serben
nnter dem gesetzlich zulässigen Titel der Vergütung der Fuhrlohne und der


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[0492] Ungarische wähle» Ob der Tod Desider Szilägyis, dessen Ansehe» allein imstande war, die mit großem Eifer angestrebte Abschwächung des heftig bestrittnen Gesetzentwurfs zu vereiteln, nicht alle die ermutigen wird, die auf alle mögliche Weise eine Umgehung des nunmehr von der Krone sanktionierte» Gesetzes versuchen werden, muß abgewartet werde». Gewiß wird der Ministerpräsident «ach dieser Richtung sein möglichstes thun und die Reinigung der politische» Atmosphäre, die er sich zum Ziel gesetzt hat, uicht beeinträchtigen lassen. Allerdings gehn dem Parlament durch die zu seiner moralische» Gesmiduug unabweisliche Maßregel auch einige tüchtige Kräfte verloren. Die wenigstens im Vergleich zu früher verhältnismäßig gesicherte Freiheit und Reinheit der Wahlen hat nun viele Mandatsbcwerber in die Schranken gelockt. Die Feinde Shells beeilten sich zu verkünden, daß nun die in den letzten Jahren mit Ausnahme der siebenbürger Sachsen vollständig aus der Volksvertretung verdrängten nichtmagyarischen Nationalitäten wieder ihre Ver¬ treter ins Parlament entsenden werden. Das wäre allerdings nur natürlich, und wie einsichtige Magharen schon wiederholt zugestanden haben, besonders im Interesse der herrschenden Rasse und des ungarischen Staats geradezu wünschens¬ wert. Aber deu meisten Magyaren ist die politische Bethätigung jeder andern Nationalität ein Greuel, und so wird von den chauvinistischen Kreisen alles daran gesetzt werden, zu verhindern, daß die Volksvertretung auch uur ein halbwegs treues Spiegelbild der ethnographischen Verhältnisse des Landes werde. Auch werden die jetzigen Abgeordneten um jeden Preis ihre Mandate behaupten wollen. Die in das Fleisch und Blut der Komitatsgewaltigen und der ge¬ samten Beamtenschaft übergegaugnc Gewohnheit, auf die Wählerschaft den größten Druck zur Wahl der von der Parteileitung meist auf höhern Wink vvrgcschlagnen Kandidaten auszuüben, wird auch durch das korrekteste Ver¬ sälle» des Ministerpräsidenten nicht so schnell ausgerottet werden können. Dann darf nicht anßer acht gelassen werden, daß eine dreißigjährige Praxis die meisten Wähler daran gewöhnt hat, ihre Stimme zu verkaufen. Das gilt insbesondre von der auf niedrigerer Kulturstufe stehenden slawischen und rumä¬ nischen Landbevölkerung. Bei Deutschen und Magyaren ist die Berufung auf das Ehrgefühl doch schon wiederholt vou ausreichender Wirkung gewesen. Am wirksamsten gegen die materielle Verlockung und gewaltthätige Nötigung hat sich die konfessionelle Agitation der Klerikalen erwiesen, die doch ein ethisches Prinzip in den Wahlkampf gebracht habe». Aus diese» Dinge» erklärt sich wohl, warum auch die seit zwei bis drei Jahren unter deu uugarlündischen Deutschen stärker hervortretende nationale Bewegung, nächster Zeit wenigstens, kaum imstande sein wird, sich parlamen¬ tarisch zu bethätigen. Es giebt keinen Wahlbezirk im Lande, wo die Deutschen nicht mit andern Nationalitäten vermischt wohnten. Würden nun anch die deutschen Wähler in uneigennütziger Weise für eine» Kandidaten eintreten, der ihr Stammcsgenossc ist, so würden sich um so mehr Rumänen und Serben nnter dem gesetzlich zulässigen Titel der Vergütung der Fuhrlohne und der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/492>, abgerufen am 22.07.2024.