Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.Goethe und Franks"rennen wegsehen, Hauslehrer gewesen ist. Die Kinder machen ihm Freude, aber er Grenzboten UI 1901 !)9
Goethe und Franks»rennen wegsehen, Hauslehrer gewesen ist. Die Kinder machen ihm Freude, aber er Grenzboten UI 1901 !)9
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235645"/> <fw type="header" place="top"> Goethe und Franks»rennen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1986" prev="#ID_1985"> wegsehen, Hauslehrer gewesen ist. Die Kinder machen ihm Freude, aber er<lb/> möchte sie an einen andern Ort versetzt sehen; zeitweiliger Aufenthalt in Süden<lb/> im Taunus und in Oberrad erleichtern ihm das Erziehungswerk, aber zu<lb/> dessen Vollendung hält er dauernde Übersiedlung an einen andern Ort für<lb/> erforderlich und macht von der Erfüllung dieses Wunsches das Verbleiben in<lb/> seiner Stellung abhängig. Anfang Mui 1804 schreibt er an seinen Stief¬<lb/> vater: „Ich bin nun schon fünf Jahre hier und habe mmicherlei erfahren<lb/> müssen, wovon ich mir sonst nichts träumen ließ. Vorzüglich gehören dahin<lb/> die außerordentlichen Schwierigkeiten, die mit der Privaterziehung in dem Hause<lb/> eines Millionärs in einer Kauf- und Handelsstadt unzertrennlich verbunden<lb/> sind. Ich habe fürwahr alle meine Kräfte aufgeopfert und alle meine Neigungen<lb/> mit deu Pflichten meines Amts zu vereinigen gesucht, um etwas so voll-<lb/> kommnes als möglich zu bewirken, und ich sehe mich uoch lauge nicht an dem<lb/> vorgesteckten Ziele, sehe anch, daß ich ans diesem Wege nicht leicht dahin ge¬<lb/> langen werde. Meine Kinder haben manches Talent ausgebildet, und sie haben<lb/> für ihr Alter gewiß Kenntnisse genug und einen gebildeten Verstand, aber ihr<lb/> Körper und — ihr Herz, und also ihre Brauchbarkeit fürs Leben, ihr mora¬<lb/> lischer Mensch steht damit nicht in Harmonie, sie sind ganz unverdorben, aber<lb/> rings um sie her sind so viel Klippen, daß es meiner Überzeugung nach un¬<lb/> möglich ist, ihr Schiffchen hindurchzudringen. Ich hatte mir fest vorgenommen,<lb/> die Eltern dahin zu bringen, daß sie ihre Kinder von sich entfernen, oder wenn<lb/> dies nicht gehn würde, selbst nach Jahr und Tag meine Stelle zu verlassen,<lb/> weil es mir bei aller Herrlichkeit, die ich hier habe, doch nicht möglich wäre,<lb/> deu Hauptzweck meines Hierseins zu verfehlen, ohne mit mir selbst in Wider¬<lb/> spruch zu stehn. Vielleicht scheint Ihnen meine Maßregel etwas hart, aber<lb/> Sie wil'deu mir ganz Recht geben, wenn Sie die Greuel sähen, die täglich<lb/> unter unsern Augen sich ereignen, und die durch ihre äußere glänzende oder<lb/> doch gleißende Form wie schleichendes Gift desto leichter und unvermerkter auf<lb/> andre übergehn." Was ihn dermaßen gestört hatte? Darüber schrieb er 1806:<lb/> „Das Gefühl der Bürgerfreiheit und Geldstolz, der Glaube, alle Mittel zur<lb/> wahre» Glückseligkeit in den Händen zu haben, hatte den Frankfurtern einen<lb/> außerordentlichen Übermut eingeflößt. Sie waren die ersten, ihre Macht die<lb/> einzige; das Reich des Guten, des Wahren wurde nicht anerkannt, sondern<lb/> nur das Nützliche, das scheinbare berücksichtigt. Solange ich hier bin, stand<lb/> ich in beständigem Kampfe gegen diese Richtung. Ich drang auf Abhärtung<lb/> der Kinder, darauf, daß sie ihre Kräfte gebrauchen lernten, daß sie Kenntnisse<lb/> sammeln und tüchtig arbeite« müßten, daß Zerstreuungen des Luxus, Leckereien,<lb/> Schmeicheleien, der Glaube an die Goldberge ihrer Eltern ihnen nichts taugten,<lb/> sie durchaus verderbten aber sehr oft wurde ich nicht angehört, und die<lb/> wenigsten meiner Vorschläge richtig und anwendbar befunden." Bedenken über<lb/> ungünstige Beeinflussung der Kinder durch ihre Umgebung drängen sich wohl<lb/> überhaupt in unserm Capua den höherstrebenden Familien und Erziehern auf;<lb/> nette Kinder giebt e? natürlich dort wie überall.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten UI 1901 !)9</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0473]
Goethe und Franks»rennen
wegsehen, Hauslehrer gewesen ist. Die Kinder machen ihm Freude, aber er
möchte sie an einen andern Ort versetzt sehen; zeitweiliger Aufenthalt in Süden
im Taunus und in Oberrad erleichtern ihm das Erziehungswerk, aber zu
dessen Vollendung hält er dauernde Übersiedlung an einen andern Ort für
erforderlich und macht von der Erfüllung dieses Wunsches das Verbleiben in
seiner Stellung abhängig. Anfang Mui 1804 schreibt er an seinen Stief¬
vater: „Ich bin nun schon fünf Jahre hier und habe mmicherlei erfahren
müssen, wovon ich mir sonst nichts träumen ließ. Vorzüglich gehören dahin
die außerordentlichen Schwierigkeiten, die mit der Privaterziehung in dem Hause
eines Millionärs in einer Kauf- und Handelsstadt unzertrennlich verbunden
sind. Ich habe fürwahr alle meine Kräfte aufgeopfert und alle meine Neigungen
mit deu Pflichten meines Amts zu vereinigen gesucht, um etwas so voll-
kommnes als möglich zu bewirken, und ich sehe mich uoch lauge nicht an dem
vorgesteckten Ziele, sehe anch, daß ich ans diesem Wege nicht leicht dahin ge¬
langen werde. Meine Kinder haben manches Talent ausgebildet, und sie haben
für ihr Alter gewiß Kenntnisse genug und einen gebildeten Verstand, aber ihr
Körper und — ihr Herz, und also ihre Brauchbarkeit fürs Leben, ihr mora¬
lischer Mensch steht damit nicht in Harmonie, sie sind ganz unverdorben, aber
rings um sie her sind so viel Klippen, daß es meiner Überzeugung nach un¬
möglich ist, ihr Schiffchen hindurchzudringen. Ich hatte mir fest vorgenommen,
die Eltern dahin zu bringen, daß sie ihre Kinder von sich entfernen, oder wenn
dies nicht gehn würde, selbst nach Jahr und Tag meine Stelle zu verlassen,
weil es mir bei aller Herrlichkeit, die ich hier habe, doch nicht möglich wäre,
deu Hauptzweck meines Hierseins zu verfehlen, ohne mit mir selbst in Wider¬
spruch zu stehn. Vielleicht scheint Ihnen meine Maßregel etwas hart, aber
Sie wil'deu mir ganz Recht geben, wenn Sie die Greuel sähen, die täglich
unter unsern Augen sich ereignen, und die durch ihre äußere glänzende oder
doch gleißende Form wie schleichendes Gift desto leichter und unvermerkter auf
andre übergehn." Was ihn dermaßen gestört hatte? Darüber schrieb er 1806:
„Das Gefühl der Bürgerfreiheit und Geldstolz, der Glaube, alle Mittel zur
wahre» Glückseligkeit in den Händen zu haben, hatte den Frankfurtern einen
außerordentlichen Übermut eingeflößt. Sie waren die ersten, ihre Macht die
einzige; das Reich des Guten, des Wahren wurde nicht anerkannt, sondern
nur das Nützliche, das scheinbare berücksichtigt. Solange ich hier bin, stand
ich in beständigem Kampfe gegen diese Richtung. Ich drang auf Abhärtung
der Kinder, darauf, daß sie ihre Kräfte gebrauchen lernten, daß sie Kenntnisse
sammeln und tüchtig arbeite« müßten, daß Zerstreuungen des Luxus, Leckereien,
Schmeicheleien, der Glaube an die Goldberge ihrer Eltern ihnen nichts taugten,
sie durchaus verderbten aber sehr oft wurde ich nicht angehört, und die
wenigsten meiner Vorschläge richtig und anwendbar befunden." Bedenken über
ungünstige Beeinflussung der Kinder durch ihre Umgebung drängen sich wohl
überhaupt in unserm Capua den höherstrebenden Familien und Erziehern auf;
nette Kinder giebt e? natürlich dort wie überall.
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