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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Ale Zvohmmgs- und Vvdenpolitik in Großberlin

"Flor der Städte" gefolgt. Sollten sich die Berliner Spekulanten in der
letzten Zeit wieder einmal in dem "Tempo der Entwicklung" geirrt haben, so
haben sie deshalb nicht nach Staatshilfc zu schreien. Der Rückgang über¬
triebner Preise wird ein Glück sein. Am wenigsten sollen die Herren Stadt¬
agrarier sich beklagen, wenn endlich einmal der ungesunden Wasserkopfbildnng
durch eine vernünftige WohnungS- und Bodenpolitik von Staats wegen kräftig
entgegengetreten würde. Es ist hier nicht der Ort, der eingehenden, wissen¬
schaftlich durchweg stichhaltigen Beweisführung bis in die Einzelheiten zu
folgen, durch die Andreas Voigt den ersten fundamentale" Irrtum der katheder¬
sozialistischen Bodenreformbewegnug widerlegt, daß die Spekulation die Höhe
der Bodenpreise in den Großstädten hauptsächlich verschulde. Er hat sich
damit ein großes Berdienst um die Wahrheit erworben, aber freilich in ein
Wespennest gegriffen, denn auf diesem Irrtum fußte vor allem die auf die-
große Menge berechnete Agitation und ihre auch sehr viele gebildete Männer
bestrickende hypnotisierende Wirkung.

Ebenso schwer betroffen wird die Doktrin der Zunft durch die berechtigte
Kritik, die Andreas Voigt an dein Dogma vom ausschlaggebenden Einfluß des
Bodenpreises auf den Mietpreis "ud damit zugleich an der übertriebnen Ver¬
urteilung des großstädtischen Hochbaues im Vergleich mit dem Kleinban übt.
Auch hier können wir nnr ans die Hauptergebnisse seiner statistischen Nachweise
und Berechnungen und seiner ganzen vorsichtige" Beweisführung überhaupt
aufmerksam mache". Wie sehr der Bodenpreis beim Hochba" in den Her¬
stellungskosten der Wohnräume und damit natürlich anch in den Mietpreisen
zurücktritt, veranschaulicht er durch folgendes ans fachmännische Berechnung
begründetes Beispiel: Wenn man bei einem kleinen Wohnhnuse, das nur aus
einem Erdgeschoß bestehe, einen Bodenpreis von 10 Mark für de" Quadrat¬
meter z" Grunde lege, so dürfe bei einem Hause mit fünf Wohngeschossen der
Bodenpreis 285 bis 380 Mark betragen, ohne daß sich bei gleicher Bauweise
und gleicher innerer Ausstattung die Herstellungskosten für eine bestimmte
Wohnfläche erhöhen würden. Und sogar, wenn man annehme, daß der Boden
für das kleinste Haus geradezu geschenkt würde, würde das fünfstöckige Gro߬
stadthaus eine" Bodenpreis von 235 bis 330 Mark für den Quadratmeter
tragen tonnen ohne Erhöhung der für die Wohnfläche berechneten Kosten. Um
in den Hochbauten billige Wohnungen zu schaffen, komme noch hinzu, daß die
obern Stockwerke in ihnen in der Regel stark unter dem Durchschnitt der Miete
des ganzen Hauses bliebe". Andreas Voigt tritt deshalb auch für die von
Paul Voigt und seinen Lehrern und Schülern so selbstbewußt abgethane
"traditionelle Ansehnung" el", aus der heraus die Bauordnungen für Berlin
und seine Vororte zur Zulassung des Hochbaus gelaugt sind, nämlich: "damit
die große Zahl der minder Bemittelten ihren Verhältnissen gemäß möglichst
billige Wohnungen finde."

Er zweifelt natürlich nicht daran -- und wir thu" es auch nicht -, daß
es sich darum handle, die Wohnungen in de" Großstädte" und deren Um-


Grmzbotm III 1901 57
Ale Zvohmmgs- und Vvdenpolitik in Großberlin

„Flor der Städte" gefolgt. Sollten sich die Berliner Spekulanten in der
letzten Zeit wieder einmal in dem „Tempo der Entwicklung" geirrt haben, so
haben sie deshalb nicht nach Staatshilfc zu schreien. Der Rückgang über¬
triebner Preise wird ein Glück sein. Am wenigsten sollen die Herren Stadt¬
agrarier sich beklagen, wenn endlich einmal der ungesunden Wasserkopfbildnng
durch eine vernünftige WohnungS- und Bodenpolitik von Staats wegen kräftig
entgegengetreten würde. Es ist hier nicht der Ort, der eingehenden, wissen¬
schaftlich durchweg stichhaltigen Beweisführung bis in die Einzelheiten zu
folgen, durch die Andreas Voigt den ersten fundamentale» Irrtum der katheder¬
sozialistischen Bodenreformbewegnug widerlegt, daß die Spekulation die Höhe
der Bodenpreise in den Großstädten hauptsächlich verschulde. Er hat sich
damit ein großes Berdienst um die Wahrheit erworben, aber freilich in ein
Wespennest gegriffen, denn auf diesem Irrtum fußte vor allem die auf die-
große Menge berechnete Agitation und ihre auch sehr viele gebildete Männer
bestrickende hypnotisierende Wirkung.

Ebenso schwer betroffen wird die Doktrin der Zunft durch die berechtigte
Kritik, die Andreas Voigt an dein Dogma vom ausschlaggebenden Einfluß des
Bodenpreises auf den Mietpreis »ud damit zugleich an der übertriebnen Ver¬
urteilung des großstädtischen Hochbaues im Vergleich mit dem Kleinban übt.
Auch hier können wir nnr ans die Hauptergebnisse seiner statistischen Nachweise
und Berechnungen und seiner ganzen vorsichtige» Beweisführung überhaupt
aufmerksam mache». Wie sehr der Bodenpreis beim Hochba» in den Her¬
stellungskosten der Wohnräume und damit natürlich anch in den Mietpreisen
zurücktritt, veranschaulicht er durch folgendes ans fachmännische Berechnung
begründetes Beispiel: Wenn man bei einem kleinen Wohnhnuse, das nur aus
einem Erdgeschoß bestehe, einen Bodenpreis von 10 Mark für de» Quadrat¬
meter z» Grunde lege, so dürfe bei einem Hause mit fünf Wohngeschossen der
Bodenpreis 285 bis 380 Mark betragen, ohne daß sich bei gleicher Bauweise
und gleicher innerer Ausstattung die Herstellungskosten für eine bestimmte
Wohnfläche erhöhen würden. Und sogar, wenn man annehme, daß der Boden
für das kleinste Haus geradezu geschenkt würde, würde das fünfstöckige Gro߬
stadthaus eine» Bodenpreis von 235 bis 330 Mark für den Quadratmeter
tragen tonnen ohne Erhöhung der für die Wohnfläche berechneten Kosten. Um
in den Hochbauten billige Wohnungen zu schaffen, komme noch hinzu, daß die
obern Stockwerke in ihnen in der Regel stark unter dem Durchschnitt der Miete
des ganzen Hauses bliebe». Andreas Voigt tritt deshalb auch für die von
Paul Voigt und seinen Lehrern und Schülern so selbstbewußt abgethane
„traditionelle Ansehnung" el», aus der heraus die Bauordnungen für Berlin
und seine Vororte zur Zulassung des Hochbaus gelaugt sind, nämlich: „damit
die große Zahl der minder Bemittelten ihren Verhältnissen gemäß möglichst
billige Wohnungen finde."

Er zweifelt natürlich nicht daran — und wir thu» es auch nicht -, daß
es sich darum handle, die Wohnungen in de» Großstädte» und deren Um-


Grmzbotm III 1901 57
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[0457] Ale Zvohmmgs- und Vvdenpolitik in Großberlin „Flor der Städte" gefolgt. Sollten sich die Berliner Spekulanten in der letzten Zeit wieder einmal in dem „Tempo der Entwicklung" geirrt haben, so haben sie deshalb nicht nach Staatshilfc zu schreien. Der Rückgang über¬ triebner Preise wird ein Glück sein. Am wenigsten sollen die Herren Stadt¬ agrarier sich beklagen, wenn endlich einmal der ungesunden Wasserkopfbildnng durch eine vernünftige WohnungS- und Bodenpolitik von Staats wegen kräftig entgegengetreten würde. Es ist hier nicht der Ort, der eingehenden, wissen¬ schaftlich durchweg stichhaltigen Beweisführung bis in die Einzelheiten zu folgen, durch die Andreas Voigt den ersten fundamentale» Irrtum der katheder¬ sozialistischen Bodenreformbewegnug widerlegt, daß die Spekulation die Höhe der Bodenpreise in den Großstädten hauptsächlich verschulde. Er hat sich damit ein großes Berdienst um die Wahrheit erworben, aber freilich in ein Wespennest gegriffen, denn auf diesem Irrtum fußte vor allem die auf die- große Menge berechnete Agitation und ihre auch sehr viele gebildete Männer bestrickende hypnotisierende Wirkung. Ebenso schwer betroffen wird die Doktrin der Zunft durch die berechtigte Kritik, die Andreas Voigt an dein Dogma vom ausschlaggebenden Einfluß des Bodenpreises auf den Mietpreis »ud damit zugleich an der übertriebnen Ver¬ urteilung des großstädtischen Hochbaues im Vergleich mit dem Kleinban übt. Auch hier können wir nnr ans die Hauptergebnisse seiner statistischen Nachweise und Berechnungen und seiner ganzen vorsichtige» Beweisführung überhaupt aufmerksam mache». Wie sehr der Bodenpreis beim Hochba» in den Her¬ stellungskosten der Wohnräume und damit natürlich anch in den Mietpreisen zurücktritt, veranschaulicht er durch folgendes ans fachmännische Berechnung begründetes Beispiel: Wenn man bei einem kleinen Wohnhnuse, das nur aus einem Erdgeschoß bestehe, einen Bodenpreis von 10 Mark für de» Quadrat¬ meter z» Grunde lege, so dürfe bei einem Hause mit fünf Wohngeschossen der Bodenpreis 285 bis 380 Mark betragen, ohne daß sich bei gleicher Bauweise und gleicher innerer Ausstattung die Herstellungskosten für eine bestimmte Wohnfläche erhöhen würden. Und sogar, wenn man annehme, daß der Boden für das kleinste Haus geradezu geschenkt würde, würde das fünfstöckige Gro߬ stadthaus eine» Bodenpreis von 235 bis 330 Mark für den Quadratmeter tragen tonnen ohne Erhöhung der für die Wohnfläche berechneten Kosten. Um in den Hochbauten billige Wohnungen zu schaffen, komme noch hinzu, daß die obern Stockwerke in ihnen in der Regel stark unter dem Durchschnitt der Miete des ganzen Hauses bliebe». Andreas Voigt tritt deshalb auch für die von Paul Voigt und seinen Lehrern und Schülern so selbstbewußt abgethane „traditionelle Ansehnung" el», aus der heraus die Bauordnungen für Berlin und seine Vororte zur Zulassung des Hochbaus gelaugt sind, nämlich: „damit die große Zahl der minder Bemittelten ihren Verhältnissen gemäß möglichst billige Wohnungen finde." Er zweifelt natürlich nicht daran — und wir thu» es auch nicht -, daß es sich darum handle, die Wohnungen in de» Großstädte» und deren Um- Grmzbotm III 1901 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/457>, abgerufen am 22.07.2024.