Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.Gottsched Im Rahmen der deutschen Wörterbücher Worden,*) Grimm führt in seinen: Quellenverzeichnis zwar die "Gedichte," Die ungeheuerliche Thatsache ist also nicht aus der Welt zu schaffen: Ich bin nun weit entfernt, hinter dieser allerdings sehr auffallenden Ver¬ *) Das gleiche trifft natürlich von allen andern Wörterbüchern zu.
Gottsched Im Rahmen der deutschen Wörterbücher Worden,*) Grimm führt in seinen: Quellenverzeichnis zwar die „Gedichte," Die ungeheuerliche Thatsache ist also nicht aus der Welt zu schaffen: Ich bin nun weit entfernt, hinter dieser allerdings sehr auffallenden Ver¬ *) Das gleiche trifft natürlich von allen andern Wörterbüchern zu.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235545"/> <fw type="header" place="top"> Gottsched Im Rahmen der deutschen Wörterbücher</fw><lb/> <p xml:id="ID_1688" prev="#ID_1687"> Worden,*) Grimm führt in seinen: Quellenverzeichnis zwar die „Gedichte,"<lb/> das „neuste aus der anmutigen Gelehrsamkeit" und den „Nötigen Vorrat" an;<lb/> und Rudolf Hildebrandt hat diese seltsam wirkende Zurückhaltung des Meisters<lb/> wenigstens einigermaßen dadurch gut gemacht, daß er vom fünften Bande an (1873)<lb/> noch einige andre der hauptsächlichsten Schriften Gottscheds in das Quellen¬<lb/> verzeichnis aufnahm — aber Gottsched, dessen Name eigentlich fast hinter<lb/> jedem Wort stehn müßte (da es, bei seiner geradezu allumfassenden Thätigkeit,<lb/> kaum ein deutsches Wort geben dürfte, das er nicht gebraucht hätte), gehört<lb/> auch in den neuern Bänden dieses Wörterbuchs zu den Schriftstellern, die,<lb/> so zu sagen, totgeschwiegen werden. Nicht besser ergeht es Gottsched in dem<lb/> Werke von Sanders, der überhaupt nur die „Gedichte," die „Dichtkunst" und<lb/> die „Redekunst" in seinen: Qnellenverzeichnis anführt. Heyne aber macht<lb/> ehrlicherweise ganz reinen Tisch und erweist nur noch der „Deutschen Sprach¬<lb/> kunst" die Ehre, sie zu nennen, da sie in einigen wenigen Fällen wirklich nicht<lb/> umgangen werden konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1689"> Die ungeheuerliche Thatsache ist also nicht aus der Welt zu schaffen:<lb/> unsre Wörterbuchschöpfer haben ihre Werke zusammengestellt, ohne den Mann,<lb/> der unsre hochdeutsche Schriftsprache eigentlich erst zur allgemeinen Geltung<lb/> gebracht, eine Fülle von Wörtern aus dem Dunkel des fünfzehnten und des sech¬<lb/> zehnten Jahrhunderts hervorgehoben und vielfach neugeschliffen und Hunderte<lb/> von Neubildungen geprägt hat, zu berücksichtigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1690" next="#ID_1691"> Ich bin nun weit entfernt, hinter dieser allerdings sehr auffallenden Ver¬<lb/> nachlässigung Gottscheds Böswilligkeit zu vermuten. Wenn Jakob Grimm in<lb/> seiner nach meinem Geschmack allzu geziert absonderlich geschriebnen Vorrede<lb/> zum „Wörterbuch" für Gottsched auch kein Wort, geschweige denn ein gutes,<lb/> übrig hat (er spricht nur einmal obenhin von den „unbefriedigender Proben eines<lb/> umfassenden deutschen Wörterbuchs," die Gottsched kurz vor seinem Tode „hatte<lb/> ausgehn lassen"); wenn er dort, wo er Goldast, Schilter, Scherz und Bodmer<lb/> rühmend erwähnt, weil sie „mit Erfolg auf Rettung und Herausgabe^) alt¬<lb/> deutscher Quellen dachten," nicht daran denkt, auch nur den Namen des Mannes<lb/> zu erwähnen, der allein in seinem „Büchersaal" auf diesen? damals noch fast<lb/> unbebauten Gebiete Arbeiten lieferte, die „alles übertrafen, was damals für die<lb/> Wiederauferstehung der alten Denkmäler unsrer Litteratur geleistet wurde"<lb/> (Waniek); wenn er auch da, wo er der „dem Norden Deutschlands angehörigen<lb/> Männer gedenkt und dessen, was sie zum Heile der deutschen Sprache gewollt<lb/> und geleistet haben," Gottsched zu nennen vergißt; ja wenn er sogar dort,<lb/> wo er von der „Durchsetzung des meißnischen Dialekts" (dieser allbekannten<lb/> Arbeit Gottscheds) spricht, Adelung als den Mann nennt, der „Grund gehabt,<lb/> den meißnischen Dialekt zu erheben"; und nach ihm Gellert, Rabener, Klopstock,<lb/> ja selbst Wieland, Schiller und Goethe anführt, Gottscheds aber mit keiner<lb/> Silbe gedenkt — so will ich das alles, um der Verehrung willen, die ich für</p><lb/> <note xml:id="FID_23" place="foot"> *) Das gleiche trifft natürlich von allen andern Wörterbüchern zu.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0373]
Gottsched Im Rahmen der deutschen Wörterbücher
Worden,*) Grimm führt in seinen: Quellenverzeichnis zwar die „Gedichte,"
das „neuste aus der anmutigen Gelehrsamkeit" und den „Nötigen Vorrat" an;
und Rudolf Hildebrandt hat diese seltsam wirkende Zurückhaltung des Meisters
wenigstens einigermaßen dadurch gut gemacht, daß er vom fünften Bande an (1873)
noch einige andre der hauptsächlichsten Schriften Gottscheds in das Quellen¬
verzeichnis aufnahm — aber Gottsched, dessen Name eigentlich fast hinter
jedem Wort stehn müßte (da es, bei seiner geradezu allumfassenden Thätigkeit,
kaum ein deutsches Wort geben dürfte, das er nicht gebraucht hätte), gehört
auch in den neuern Bänden dieses Wörterbuchs zu den Schriftstellern, die,
so zu sagen, totgeschwiegen werden. Nicht besser ergeht es Gottsched in dem
Werke von Sanders, der überhaupt nur die „Gedichte," die „Dichtkunst" und
die „Redekunst" in seinen: Qnellenverzeichnis anführt. Heyne aber macht
ehrlicherweise ganz reinen Tisch und erweist nur noch der „Deutschen Sprach¬
kunst" die Ehre, sie zu nennen, da sie in einigen wenigen Fällen wirklich nicht
umgangen werden konnte.
Die ungeheuerliche Thatsache ist also nicht aus der Welt zu schaffen:
unsre Wörterbuchschöpfer haben ihre Werke zusammengestellt, ohne den Mann,
der unsre hochdeutsche Schriftsprache eigentlich erst zur allgemeinen Geltung
gebracht, eine Fülle von Wörtern aus dem Dunkel des fünfzehnten und des sech¬
zehnten Jahrhunderts hervorgehoben und vielfach neugeschliffen und Hunderte
von Neubildungen geprägt hat, zu berücksichtigen.
Ich bin nun weit entfernt, hinter dieser allerdings sehr auffallenden Ver¬
nachlässigung Gottscheds Böswilligkeit zu vermuten. Wenn Jakob Grimm in
seiner nach meinem Geschmack allzu geziert absonderlich geschriebnen Vorrede
zum „Wörterbuch" für Gottsched auch kein Wort, geschweige denn ein gutes,
übrig hat (er spricht nur einmal obenhin von den „unbefriedigender Proben eines
umfassenden deutschen Wörterbuchs," die Gottsched kurz vor seinem Tode „hatte
ausgehn lassen"); wenn er dort, wo er Goldast, Schilter, Scherz und Bodmer
rühmend erwähnt, weil sie „mit Erfolg auf Rettung und Herausgabe^) alt¬
deutscher Quellen dachten," nicht daran denkt, auch nur den Namen des Mannes
zu erwähnen, der allein in seinem „Büchersaal" auf diesen? damals noch fast
unbebauten Gebiete Arbeiten lieferte, die „alles übertrafen, was damals für die
Wiederauferstehung der alten Denkmäler unsrer Litteratur geleistet wurde"
(Waniek); wenn er auch da, wo er der „dem Norden Deutschlands angehörigen
Männer gedenkt und dessen, was sie zum Heile der deutschen Sprache gewollt
und geleistet haben," Gottsched zu nennen vergißt; ja wenn er sogar dort,
wo er von der „Durchsetzung des meißnischen Dialekts" (dieser allbekannten
Arbeit Gottscheds) spricht, Adelung als den Mann nennt, der „Grund gehabt,
den meißnischen Dialekt zu erheben"; und nach ihm Gellert, Rabener, Klopstock,
ja selbst Wieland, Schiller und Goethe anführt, Gottscheds aber mit keiner
Silbe gedenkt — so will ich das alles, um der Verehrung willen, die ich für
*) Das gleiche trifft natürlich von allen andern Wörterbüchern zu.
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