Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.Zur modernen Litteratur, namentlich des Dramas die Schwächen des Gegners sind gut erfaßt und an einer Menge von Bei¬ Thcaterfcnilletons werden für den Tag geschrieben und verdienen in der Grenzboten III 1901 41
Zur modernen Litteratur, namentlich des Dramas die Schwächen des Gegners sind gut erfaßt und an einer Menge von Bei¬ Thcaterfcnilletons werden für den Tag geschrieben und verdienen in der Grenzboten III 1901 41
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235501"/> <fw type="header" place="top"> Zur modernen Litteratur, namentlich des Dramas</fw><lb/> <p xml:id="ID_1533" prev="#ID_1532"> die Schwächen des Gegners sind gut erfaßt und an einer Menge von Bei¬<lb/> spielen dem Spott des Lesers preisgegeben, der namentlich die zweite nicht<lb/> ohne tiefere Eindrücke aus der Hand legen wird. Aber damit allein ist den<lb/> Verfassern nicht gedient. Ncnmmin möchte einer Reihe gleichgesinnter junger<lb/> Schriftsteller den Weg zum Theater bahnen und empfiehlt sie dein Wohlwollen<lb/> des deutschen Publikums. Wir wollen dazu gern dnrch die Empfehlung dieser<lb/> lesenswerten Streitschriften mithelfen, aber wir fürchten, das wohlwollende<lb/> Publikum wird daneben „Schluck und Jan" weiterschluckcn.</p><lb/> <p xml:id="ID_1534" next="#ID_1535"> Thcaterfcnilletons werden für den Tag geschrieben und verdienen in der<lb/> Regel keine Buchansgabe. Daß es Ausnahmen geben kann, beweist der<lb/> Kritiker des „Turners," Rudolf Presber, mit einer Sammlung seiner<lb/> Kritiken ans zwei Berliner Wintern unter dem Titel „Vom Theater um die<lb/> Jahrhundertwende" (Stuttgart, Greiner und Pfeiffer), die als eine interessante<lb/> kleine Dramaturgie jedenfalls eine Zeit lang ihren Platz behaupten wird, weil<lb/> sie beinahe sämtliche Dichter behandelt, von denen gegenwärtig die Rede ist.<lb/> Presber schreibt witzig und unterhaltend, er hat uicht nur Geist, souderu auch<lb/> viel Gemüt, einen großen Maßstab und dabei den Willen und die Fähigkeit,<lb/> dem im Vergleich Kleinen, um das es sich hier ja doch nur handeln kann,<lb/> gerecht zu werden. Die Nähe der Dinge oder sein gutes Herz giebt ihm<lb/> manches anerkennende Wort in die Feder, das der strengere Anspruch eines<lb/> ferner gerückten Standpunkts wahrscheinlich eingeschränkt haben würde, so<lb/> gegenüber den Kindereien Maeterlincks oder dem gezierten Dekadenten Gabriele<lb/> d'Annunziv oder Hauptmanns „Schluck und Jan," dessen Versunkene Glocke<lb/> er dagegen mit einem wahrhaft aristophanischen Humor übergießt. All Max<lb/> Drehers „Probekandidat" fühlt er treffend die Tendenz durch, die auf die<lb/> Krittelsucht des liberalen Philisters spekuliert. Otto Ernst hat in seiner<lb/> ,,Jugend von heute" eine Satire ans das mit seinem Pessimismus kokettierende,<lb/> ode Gigerltnm schreiben wollen, aber er schlägt nicht zu, er knallt nur mit<lb/> der Peitsche, und so wird eine zahme Komödie daraus. Den famosen „Flax-<lb/> mcmn als Erzieher" konnte er noch nicht berücksichtigen; gern hätten wir ver¬<lb/> nommen, wie er sich zu dein Beifallsgetrampcl des deutschen Philistertums<lb/> geäußert hätte, er, der so vortrefflich spricht über das Gute und Gesunde in<lb/> Wildeubruchs Jugeuddrameu, deren Gefühlswärme doch dnrch das übersteigerte<lb/> Pathos hindurchdringt und wohlthut in einer Zeit, wo der gebildete Deutsche<lb/> am liebste» kritisierend und schimpfend seines Vaterlandes gedenkt. Ein Sprüh¬<lb/> regen von Geist und Witz geht nieder ans allerlei Dekadenten und Shmbolisten,<lb/> Hugo von Hofmannsthal, Frank Wedekind, Wilhelm von Scholz usw. und<lb/> auf das Publikum der großen Kinder, das sich mit diesen Spielereien äffen<lb/> läßt. Aber das Zerpflücken solcher schnell vergessener Tagesblüten würde an<lb/> sich nur eine vorübergehende Unterhaltung für den Leser sein, zeigte ihm nicht<lb/> der Kritiker dabei noch etwas mehr, nämlich den Wandel des Theatcrgcschmacls<lb/> i» kurzen Zeiträumen, wie er sich kundgiebt, wenn frühere Größen nach füuf-<lb/> nudzwnuzig Jahren und länger wiederkehren, oder wenn dasselbe Stück uach</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1901 41</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0329]
Zur modernen Litteratur, namentlich des Dramas
die Schwächen des Gegners sind gut erfaßt und an einer Menge von Bei¬
spielen dem Spott des Lesers preisgegeben, der namentlich die zweite nicht
ohne tiefere Eindrücke aus der Hand legen wird. Aber damit allein ist den
Verfassern nicht gedient. Ncnmmin möchte einer Reihe gleichgesinnter junger
Schriftsteller den Weg zum Theater bahnen und empfiehlt sie dein Wohlwollen
des deutschen Publikums. Wir wollen dazu gern dnrch die Empfehlung dieser
lesenswerten Streitschriften mithelfen, aber wir fürchten, das wohlwollende
Publikum wird daneben „Schluck und Jan" weiterschluckcn.
Thcaterfcnilletons werden für den Tag geschrieben und verdienen in der
Regel keine Buchansgabe. Daß es Ausnahmen geben kann, beweist der
Kritiker des „Turners," Rudolf Presber, mit einer Sammlung seiner
Kritiken ans zwei Berliner Wintern unter dem Titel „Vom Theater um die
Jahrhundertwende" (Stuttgart, Greiner und Pfeiffer), die als eine interessante
kleine Dramaturgie jedenfalls eine Zeit lang ihren Platz behaupten wird, weil
sie beinahe sämtliche Dichter behandelt, von denen gegenwärtig die Rede ist.
Presber schreibt witzig und unterhaltend, er hat uicht nur Geist, souderu auch
viel Gemüt, einen großen Maßstab und dabei den Willen und die Fähigkeit,
dem im Vergleich Kleinen, um das es sich hier ja doch nur handeln kann,
gerecht zu werden. Die Nähe der Dinge oder sein gutes Herz giebt ihm
manches anerkennende Wort in die Feder, das der strengere Anspruch eines
ferner gerückten Standpunkts wahrscheinlich eingeschränkt haben würde, so
gegenüber den Kindereien Maeterlincks oder dem gezierten Dekadenten Gabriele
d'Annunziv oder Hauptmanns „Schluck und Jan," dessen Versunkene Glocke
er dagegen mit einem wahrhaft aristophanischen Humor übergießt. All Max
Drehers „Probekandidat" fühlt er treffend die Tendenz durch, die auf die
Krittelsucht des liberalen Philisters spekuliert. Otto Ernst hat in seiner
,,Jugend von heute" eine Satire ans das mit seinem Pessimismus kokettierende,
ode Gigerltnm schreiben wollen, aber er schlägt nicht zu, er knallt nur mit
der Peitsche, und so wird eine zahme Komödie daraus. Den famosen „Flax-
mcmn als Erzieher" konnte er noch nicht berücksichtigen; gern hätten wir ver¬
nommen, wie er sich zu dein Beifallsgetrampcl des deutschen Philistertums
geäußert hätte, er, der so vortrefflich spricht über das Gute und Gesunde in
Wildeubruchs Jugeuddrameu, deren Gefühlswärme doch dnrch das übersteigerte
Pathos hindurchdringt und wohlthut in einer Zeit, wo der gebildete Deutsche
am liebste» kritisierend und schimpfend seines Vaterlandes gedenkt. Ein Sprüh¬
regen von Geist und Witz geht nieder ans allerlei Dekadenten und Shmbolisten,
Hugo von Hofmannsthal, Frank Wedekind, Wilhelm von Scholz usw. und
auf das Publikum der großen Kinder, das sich mit diesen Spielereien äffen
läßt. Aber das Zerpflücken solcher schnell vergessener Tagesblüten würde an
sich nur eine vorübergehende Unterhaltung für den Leser sein, zeigte ihm nicht
der Kritiker dabei noch etwas mehr, nämlich den Wandel des Theatcrgcschmacls
i» kurzen Zeiträumen, wie er sich kundgiebt, wenn frühere Größen nach füuf-
nudzwnuzig Jahren und länger wiederkehren, oder wenn dasselbe Stück uach
Grenzboten III 1901 41
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