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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Line Denkschrift des Ministers Witte

der Vorschriften der zentralen Gewalten sein, und gehöre" zu ihnen mis "eigne",
nicht als "fremde", Ist die Regierung erst sicher aller Teile ihrer Verwaltung,
bietet diese ihr erst eine zuverlässige Stütze, so werden Ausnnhmemaßregeln
überflüssig; sie gehören ins Gebiet der Ausnahmefälle. Nachdem die Regie¬
rung feste, bestimmte Rahmen des Gesetzes aufgestellt hat, kann sie ruhig die
Äußerungen persönlicher und gesellschaftlicher Selbstthätigkeit, die Freiheit des
Worts und des Gedankens behandeln, indem sie nnr darauf achtet, daß
niemand, auch die Administration nicht, ans dem Rahmen dieses Gesetzes trete,
und indem sie von allen seine unweigerliche Befolgung und widerstandlose
Unterwerfung darunter fordert," Das Schwanken ist vorüber, "die Regierung
hat den Pfad der Verstärkung der Selbstherrschaft betreten, und -- das Bild
hat sich wieder geändert,"

So gedrängt die Wiedergabe der Erörterungen des Ministers ist, die ich
in dem Vorstehenden gegeben habe, so wird der Leser doch vielleicht einen
Einblick in diese für die Zukunft unsers großen Nachbarreichs so bedeutungs¬
vollen Kämpfe zwischen den beiden altbekannten Prinzipien des Staatslebens
gewonnen haben. Ja allerdings, das Bild hat sich geändert, und uicht bloß
das Bild des Kampfes zwischeu Landschaft und Regierung, sondern auch das
Bild des Ministers, das wir zu Anfang seiner Erörterungen sahen. Es schien,
als ob wir einem glänzenden Anwalt der bedrängten Landschaften vor uns
hätten, und nun müssen wir ihn als Vertreter des starren büreaukratische"
Absolutismus anerkennen. Und dennoch: sollte diese Schrift uns irgend eine
Weise in Rußland Verbreitung finden, so vermute ich, daß der Anwalt der
Selbstverwaltung weit mehr Gehör finden wird, als der Vertreter der Auto¬
kratie und des Tschinownit'dans. Diese Schrift überzeugt uicht im Sinne des
Ministers des Absolutismus, souderu weckt Shmpathic mit den Vertretern der
Selbstverwaltung. So hoch wir die Begabung eines Mannes wie des Ministers
Witte anerkennen müssen angesichts seiner übrigen praktischen Leistungen, so
staunet! wir doch über das in seiner Schlnßbetrachtuug abgelegte Bekenntnis,
Ihn, mag vor dein Kvnstitittionalistnus noch so sehr grauen, so können nur
doch kaum verstehn, wie er an die Zukunft eines so offenbar bankerotten
Systems zu glauben vermag, wie das ist, dein er hier Atisdruck giebt.
"Hvmogene Prinzipien" oben wie unten, d, h, absolut herrschender Wille des
Monarchen; "Einheit der Verwaltung," d, h, burenukratischer Zentralismus;
"Zuverlässigkeit" der untern Organe, d. h. volle Abhängigkeit, alles in allem
eben der altbekannte Absolutismus, wie er in Europa im siebzehnten und acht¬
zehnten Jahrhundert, wie er in Rußland noch unter Nikolaus I. blühte. Also
jedenfalls nichts neues, was Witte lehrt. Was aber sollen wohl die "festen
Rahmen des Gesetzes" bedeuten, die, einmal aufgestellt und polizeilich bewacht,
die "Selbständigkeit von Personen und Gesellschaften" sogar die "Freiheit vou
Wort und Gedanken" erlauben würden? Ist das nicht der echte und rechte
alte Polizeistaat, der 1855 zusammenbrach, und den Witte nun neu errichtet?


Grenzboten III 1901 40
Line Denkschrift des Ministers Witte

der Vorschriften der zentralen Gewalten sein, und gehöre» zu ihnen mis »eigne«,
nicht als »fremde«, Ist die Regierung erst sicher aller Teile ihrer Verwaltung,
bietet diese ihr erst eine zuverlässige Stütze, so werden Ausnnhmemaßregeln
überflüssig; sie gehören ins Gebiet der Ausnahmefälle. Nachdem die Regie¬
rung feste, bestimmte Rahmen des Gesetzes aufgestellt hat, kann sie ruhig die
Äußerungen persönlicher und gesellschaftlicher Selbstthätigkeit, die Freiheit des
Worts und des Gedankens behandeln, indem sie nnr darauf achtet, daß
niemand, auch die Administration nicht, ans dem Rahmen dieses Gesetzes trete,
und indem sie von allen seine unweigerliche Befolgung und widerstandlose
Unterwerfung darunter fordert," Das Schwanken ist vorüber, „die Regierung
hat den Pfad der Verstärkung der Selbstherrschaft betreten, und — das Bild
hat sich wieder geändert,"

So gedrängt die Wiedergabe der Erörterungen des Ministers ist, die ich
in dem Vorstehenden gegeben habe, so wird der Leser doch vielleicht einen
Einblick in diese für die Zukunft unsers großen Nachbarreichs so bedeutungs¬
vollen Kämpfe zwischen den beiden altbekannten Prinzipien des Staatslebens
gewonnen haben. Ja allerdings, das Bild hat sich geändert, und uicht bloß
das Bild des Kampfes zwischeu Landschaft und Regierung, sondern auch das
Bild des Ministers, das wir zu Anfang seiner Erörterungen sahen. Es schien,
als ob wir einem glänzenden Anwalt der bedrängten Landschaften vor uns
hätten, und nun müssen wir ihn als Vertreter des starren büreaukratische»
Absolutismus anerkennen. Und dennoch: sollte diese Schrift uns irgend eine
Weise in Rußland Verbreitung finden, so vermute ich, daß der Anwalt der
Selbstverwaltung weit mehr Gehör finden wird, als der Vertreter der Auto¬
kratie und des Tschinownit'dans. Diese Schrift überzeugt uicht im Sinne des
Ministers des Absolutismus, souderu weckt Shmpathic mit den Vertretern der
Selbstverwaltung. So hoch wir die Begabung eines Mannes wie des Ministers
Witte anerkennen müssen angesichts seiner übrigen praktischen Leistungen, so
staunet! wir doch über das in seiner Schlnßbetrachtuug abgelegte Bekenntnis,
Ihn, mag vor dein Kvnstitittionalistnus noch so sehr grauen, so können nur
doch kaum verstehn, wie er an die Zukunft eines so offenbar bankerotten
Systems zu glauben vermag, wie das ist, dein er hier Atisdruck giebt.
„Hvmogene Prinzipien" oben wie unten, d, h, absolut herrschender Wille des
Monarchen; „Einheit der Verwaltung," d, h, burenukratischer Zentralismus;
„Zuverlässigkeit" der untern Organe, d. h. volle Abhängigkeit, alles in allem
eben der altbekannte Absolutismus, wie er in Europa im siebzehnten und acht¬
zehnten Jahrhundert, wie er in Rußland noch unter Nikolaus I. blühte. Also
jedenfalls nichts neues, was Witte lehrt. Was aber sollen wohl die „festen
Rahmen des Gesetzes" bedeuten, die, einmal aufgestellt und polizeilich bewacht,
die „Selbständigkeit von Personen und Gesellschaften" sogar die „Freiheit vou
Wort und Gedanken" erlauben würden? Ist das nicht der echte und rechte
alte Polizeistaat, der 1855 zusammenbrach, und den Witte nun neu errichtet?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/321>, abgerufen am 23.07.2024.