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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Wohmmgs- und Lodeupolitik i" Großberlin

Und auch darin ist schließlich Voigt und den andern wissenschaftlichen
Agitatoren für die sozialistische Bodenreform Recht zu geben, daß die großen Ge¬
winne im Berliner und sonstigen großstädtischen Grundstückgeschäft, mich ab¬
gesehen von direkt unmoralischen und verbrecherischen Machenschaften, den
Spekulanten ganz "unverdient" in den Schoß gefallen sind, und daß die Ge¬
winner fast immer Leute waren, die ohnedies zu leben hatten. Und aus
vollster Überzeugung stimmen wir auch denen zu, die wünschen, daß die Art
und Weise, wie die Spekulation in Grundstücken in den letzten beiden Jahr¬
zehnten in Berlin vielfach betrieben worden ist, im allgemeinen als "unan¬
ständig" anerkannt werden sollte, wenn man auch immer vor einem dahin
lautenden Urteil im einzelnen Falle Person und Sache mit gewissenhaftester
Vorsicht prüfen muß. Es ist das Urteilen über die "Unverdientheit" und
über die darauf begründete "Unanständigkeit" von Geschäftsgewinnen jeder
Art eine heikle Sache. Huocl liest bovi, mein liest 5ovi! heißt es hier in um¬
gekehrter Wortstellung. Und der alte Jude Jesus Sirach hat wohl auch nicht
so ganz Unrecht gehabt mit seinem von uns schon einmal in den Grcnzbote"
zitierten Spruch: Wie der Nagel zwischen zween Ziegelsteinen, also stecket die
Sünde zwischen Käufer und Verkäufer. Was am Gewinn bei allerhand Ver¬
knus wirklich durch eine persönliche Leistung des Gewinners "verdient" ist und
deshalb als nicht unanständig zu erachten wäre, werden auch die gescheitesten
Sozialreformer fast niemals sagen können, mag es sich um Gewinne an Gewerbe¬
produkten, an Erfindungen, Entdeckungen und Patenten technischer, chemischer
und andrer "wissenschaftlicher" Autoritäten, an Modekunstwerkeu, an Büchern
und Journale", an landwirtschaftlichen Erzengnissen und Liegenschaften handeln,
oder um die jetzt unterschiedlos geächteten Gewinne an Berliner Bauplätze"
und Hünsern. Fest steht, daß sich nicht nur gewerbsmäßige Händler, sondern
auch Grafen und Herren in stattlicher Anzahl, hohe, mittlere und niedere Be¬
amte und biderbe Mittelstandsleute in dem bekannten besondern Sinne -- von
den Herren Kunstarchitekten gar nicht zu reden in hellen Haufen an der
Berliner Grundstückspekulation der letzten Jahre beteiligt haben, und leider
nicht selten in einer Art und Weise, die ganz entschieden unanständig war,
über die wir aber nur den Mantel christlicher Liebe decken tonnen, weil diese
Unanständigkeit geradezu zur Sitte geworden war, und sogar berufsmüßige
Meister in ihr bis sehr hoch hinauf trotz genauer Kenntnis der Verhältnisse
als einwandfreie Anstandsmnstcr anerkannt worden sind und noch anerkannt
werden. Und warum sollte man anch in den obern Regionen gerade die
glücklichen Grundstückspekulanten zu Prügeljungeu machen? Die spekulativen
Geldheiraten in den höhern Ständen bringen nicht nur in Berlin den Speku¬
lanten heute noch riesige Gewinne ein, die um nichts "unverdienter" sind als
die der Bauplatzhändler und nebenher oft durch ein höchst unsittliches Be¬
handeln des heiligsten Bandes, das zwei Menschen verknüpfen kann, einen be¬
sonders unanständigen Beigeschmack erhalten. Sie sind dann ganz gewiß un¬
anständig. Aber wer hält sie dafür? Man sollte also das generelle Aburteilen


Die Wohmmgs- und Lodeupolitik i» Großberlin

Und auch darin ist schließlich Voigt und den andern wissenschaftlichen
Agitatoren für die sozialistische Bodenreform Recht zu geben, daß die großen Ge¬
winne im Berliner und sonstigen großstädtischen Grundstückgeschäft, mich ab¬
gesehen von direkt unmoralischen und verbrecherischen Machenschaften, den
Spekulanten ganz „unverdient" in den Schoß gefallen sind, und daß die Ge¬
winner fast immer Leute waren, die ohnedies zu leben hatten. Und aus
vollster Überzeugung stimmen wir auch denen zu, die wünschen, daß die Art
und Weise, wie die Spekulation in Grundstücken in den letzten beiden Jahr¬
zehnten in Berlin vielfach betrieben worden ist, im allgemeinen als „unan¬
ständig" anerkannt werden sollte, wenn man auch immer vor einem dahin
lautenden Urteil im einzelnen Falle Person und Sache mit gewissenhaftester
Vorsicht prüfen muß. Es ist das Urteilen über die „Unverdientheit" und
über die darauf begründete „Unanständigkeit" von Geschäftsgewinnen jeder
Art eine heikle Sache. Huocl liest bovi, mein liest 5ovi! heißt es hier in um¬
gekehrter Wortstellung. Und der alte Jude Jesus Sirach hat wohl auch nicht
so ganz Unrecht gehabt mit seinem von uns schon einmal in den Grcnzbote»
zitierten Spruch: Wie der Nagel zwischen zween Ziegelsteinen, also stecket die
Sünde zwischen Käufer und Verkäufer. Was am Gewinn bei allerhand Ver¬
knus wirklich durch eine persönliche Leistung des Gewinners „verdient" ist und
deshalb als nicht unanständig zu erachten wäre, werden auch die gescheitesten
Sozialreformer fast niemals sagen können, mag es sich um Gewinne an Gewerbe¬
produkten, an Erfindungen, Entdeckungen und Patenten technischer, chemischer
und andrer „wissenschaftlicher" Autoritäten, an Modekunstwerkeu, an Büchern
und Journale», an landwirtschaftlichen Erzengnissen und Liegenschaften handeln,
oder um die jetzt unterschiedlos geächteten Gewinne an Berliner Bauplätze»
und Hünsern. Fest steht, daß sich nicht nur gewerbsmäßige Händler, sondern
auch Grafen und Herren in stattlicher Anzahl, hohe, mittlere und niedere Be¬
amte und biderbe Mittelstandsleute in dem bekannten besondern Sinne — von
den Herren Kunstarchitekten gar nicht zu reden in hellen Haufen an der
Berliner Grundstückspekulation der letzten Jahre beteiligt haben, und leider
nicht selten in einer Art und Weise, die ganz entschieden unanständig war,
über die wir aber nur den Mantel christlicher Liebe decken tonnen, weil diese
Unanständigkeit geradezu zur Sitte geworden war, und sogar berufsmüßige
Meister in ihr bis sehr hoch hinauf trotz genauer Kenntnis der Verhältnisse
als einwandfreie Anstandsmnstcr anerkannt worden sind und noch anerkannt
werden. Und warum sollte man anch in den obern Regionen gerade die
glücklichen Grundstückspekulanten zu Prügeljungeu machen? Die spekulativen
Geldheiraten in den höhern Ständen bringen nicht nur in Berlin den Speku¬
lanten heute noch riesige Gewinne ein, die um nichts „unverdienter" sind als
die der Bauplatzhändler und nebenher oft durch ein höchst unsittliches Be¬
handeln des heiligsten Bandes, das zwei Menschen verknüpfen kann, einen be¬
sonders unanständigen Beigeschmack erhalten. Sie sind dann ganz gewiß un¬
anständig. Aber wer hält sie dafür? Man sollte also das generelle Aburteilen


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[0311] Die Wohmmgs- und Lodeupolitik i» Großberlin Und auch darin ist schließlich Voigt und den andern wissenschaftlichen Agitatoren für die sozialistische Bodenreform Recht zu geben, daß die großen Ge¬ winne im Berliner und sonstigen großstädtischen Grundstückgeschäft, mich ab¬ gesehen von direkt unmoralischen und verbrecherischen Machenschaften, den Spekulanten ganz „unverdient" in den Schoß gefallen sind, und daß die Ge¬ winner fast immer Leute waren, die ohnedies zu leben hatten. Und aus vollster Überzeugung stimmen wir auch denen zu, die wünschen, daß die Art und Weise, wie die Spekulation in Grundstücken in den letzten beiden Jahr¬ zehnten in Berlin vielfach betrieben worden ist, im allgemeinen als „unan¬ ständig" anerkannt werden sollte, wenn man auch immer vor einem dahin lautenden Urteil im einzelnen Falle Person und Sache mit gewissenhaftester Vorsicht prüfen muß. Es ist das Urteilen über die „Unverdientheit" und über die darauf begründete „Unanständigkeit" von Geschäftsgewinnen jeder Art eine heikle Sache. Huocl liest bovi, mein liest 5ovi! heißt es hier in um¬ gekehrter Wortstellung. Und der alte Jude Jesus Sirach hat wohl auch nicht so ganz Unrecht gehabt mit seinem von uns schon einmal in den Grcnzbote» zitierten Spruch: Wie der Nagel zwischen zween Ziegelsteinen, also stecket die Sünde zwischen Käufer und Verkäufer. Was am Gewinn bei allerhand Ver¬ knus wirklich durch eine persönliche Leistung des Gewinners „verdient" ist und deshalb als nicht unanständig zu erachten wäre, werden auch die gescheitesten Sozialreformer fast niemals sagen können, mag es sich um Gewinne an Gewerbe¬ produkten, an Erfindungen, Entdeckungen und Patenten technischer, chemischer und andrer „wissenschaftlicher" Autoritäten, an Modekunstwerkeu, an Büchern und Journale», an landwirtschaftlichen Erzengnissen und Liegenschaften handeln, oder um die jetzt unterschiedlos geächteten Gewinne an Berliner Bauplätze» und Hünsern. Fest steht, daß sich nicht nur gewerbsmäßige Händler, sondern auch Grafen und Herren in stattlicher Anzahl, hohe, mittlere und niedere Be¬ amte und biderbe Mittelstandsleute in dem bekannten besondern Sinne — von den Herren Kunstarchitekten gar nicht zu reden in hellen Haufen an der Berliner Grundstückspekulation der letzten Jahre beteiligt haben, und leider nicht selten in einer Art und Weise, die ganz entschieden unanständig war, über die wir aber nur den Mantel christlicher Liebe decken tonnen, weil diese Unanständigkeit geradezu zur Sitte geworden war, und sogar berufsmüßige Meister in ihr bis sehr hoch hinauf trotz genauer Kenntnis der Verhältnisse als einwandfreie Anstandsmnstcr anerkannt worden sind und noch anerkannt werden. Und warum sollte man anch in den obern Regionen gerade die glücklichen Grundstückspekulanten zu Prügeljungeu machen? Die spekulativen Geldheiraten in den höhern Ständen bringen nicht nur in Berlin den Speku¬ lanten heute noch riesige Gewinne ein, die um nichts „unverdienter" sind als die der Bauplatzhändler und nebenher oft durch ein höchst unsittliches Be¬ handeln des heiligsten Bandes, das zwei Menschen verknüpfen kann, einen be¬ sonders unanständigen Beigeschmack erhalten. Sie sind dann ganz gewiß un¬ anständig. Aber wer hält sie dafür? Man sollte also das generelle Aburteilen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/311>, abgerufen am 23.07.2024.