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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die lvohnungS' und Bodenpolitik in Großberlin

abgesehen von den wenigen reichen Villenbezirken, von denen die Arbeiter und
der Mittelstand gar nichts hatten, bis in die achtziger Jahre hinein recht
trostlos und mit denen in der Umgebung westdeutscher Großstädte gar nicht
zu vergleichen. Soweit die Berliner Arbeiterschaft in ihnen Unterkunft suchen
mußte, war sie in fast allen Beziehungen viel schlechter daran als in den mit
großstädtischen Miethäusern bebauten Straßen. Mit einem Wort: die Wohn¬
verhältnisse in den Vororten haben sich seit Anfang der achtziger Jahre nicht
verschlechtert, sondern ganz bedeutend gebessert. Ob und wie viel dazu die
Vorortsbauvrdnung von 1887 beigetragen hat, mag ungewiß sein, aber gewiß
ist, daß sie den epochemachenden Umschlag zum Bösen nicht gebracht hat, den
Voigt ihr mit dem Satze zuschreibt: "Eine einzige unglückliche Verwaltungs¬
maßregel lenkte aber die ganze Entwicklung mit einem Schlage in andre
Bahnen."

Die Entwicklung ist wesentlich die Folge der Bevölkerungszunahme, wie
ein Blick in nachstehende Zahlenübersichten verständlich machen wird.

Es wurden zu Anfang Dezember der betreffenden Jahre ortsanwesende
Personen gezählt

in 1871 1885 18W 18VS 1900
Stadt Berlin . . . 826341 1815287 1578794 1677 304 1888326
Vororte zusammen . S7735 163740 268715 435236 639978
Rechtes Spreeufer . 17476 57204 88728 119255 167644
Linkes Spreeufer . . 40250 100536 179987 315981 472334

Es hat sich also in einem Menschenalter (1871 bis 1900) die Bevölkerung
von Berlin ohne Vororte um 129 Prozent, die der Vororte um 1008 Prozent
vermehrt, und zwar die der Vororte des rechten Spreeufers um 859, des linken
um 1073 Prozent.

In den Zählperioden seit 1867 -- von denen die beiden ersten vier¬
jährig, alle übrigen fünfjährig waren -- stellte sich in der Stadt Berlin (ohne
Vororte) die Bevölkerungsbewegung wie folgt:

Zusammen
ZähljahrPersonen
absolutProzent
1867702437
187182634112390417,64
187596905014270917,39
1880112233015328015.80
1885131528719295717,19
1890157879426350720,03
18951677 304985106,24
1900188832621102212,58

Die verhältnismäßig stärkste Zunahme zeigten die beiden vierjährigen
Perioden 1867/71 und 1871/75. Ihr entsprach die Wohnungsnot im Anfang
der siebziger Jahre, deren Grad bis heute nicht annähernd wieder erreicht ist.
Fast ebenso stark war die Zunahme in dem Jahrfünft 1885/1900, in die die


Die lvohnungS' und Bodenpolitik in Großberlin

abgesehen von den wenigen reichen Villenbezirken, von denen die Arbeiter und
der Mittelstand gar nichts hatten, bis in die achtziger Jahre hinein recht
trostlos und mit denen in der Umgebung westdeutscher Großstädte gar nicht
zu vergleichen. Soweit die Berliner Arbeiterschaft in ihnen Unterkunft suchen
mußte, war sie in fast allen Beziehungen viel schlechter daran als in den mit
großstädtischen Miethäusern bebauten Straßen. Mit einem Wort: die Wohn¬
verhältnisse in den Vororten haben sich seit Anfang der achtziger Jahre nicht
verschlechtert, sondern ganz bedeutend gebessert. Ob und wie viel dazu die
Vorortsbauvrdnung von 1887 beigetragen hat, mag ungewiß sein, aber gewiß
ist, daß sie den epochemachenden Umschlag zum Bösen nicht gebracht hat, den
Voigt ihr mit dem Satze zuschreibt: „Eine einzige unglückliche Verwaltungs¬
maßregel lenkte aber die ganze Entwicklung mit einem Schlage in andre
Bahnen."

Die Entwicklung ist wesentlich die Folge der Bevölkerungszunahme, wie
ein Blick in nachstehende Zahlenübersichten verständlich machen wird.

Es wurden zu Anfang Dezember der betreffenden Jahre ortsanwesende
Personen gezählt

in 1871 1885 18W 18VS 1900
Stadt Berlin . . . 826341 1815287 1578794 1677 304 1888326
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Rechtes Spreeufer . 17476 57204 88728 119255 167644
Linkes Spreeufer . . 40250 100536 179987 315981 472334

Es hat sich also in einem Menschenalter (1871 bis 1900) die Bevölkerung
von Berlin ohne Vororte um 129 Prozent, die der Vororte um 1008 Prozent
vermehrt, und zwar die der Vororte des rechten Spreeufers um 859, des linken
um 1073 Prozent.

In den Zählperioden seit 1867 — von denen die beiden ersten vier¬
jährig, alle übrigen fünfjährig waren — stellte sich in der Stadt Berlin (ohne
Vororte) die Bevölkerungsbewegung wie folgt:

Zusammen
ZähljahrPersonen
absolutProzent
1867702437
187182634112390417,64
187596905014270917,39
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1900188832621102212,58

Die verhältnismäßig stärkste Zunahme zeigten die beiden vierjährigen
Perioden 1867/71 und 1871/75. Ihr entsprach die Wohnungsnot im Anfang
der siebziger Jahre, deren Grad bis heute nicht annähernd wieder erreicht ist.
Fast ebenso stark war die Zunahme in dem Jahrfünft 1885/1900, in die die


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[0306] Die lvohnungS' und Bodenpolitik in Großberlin abgesehen von den wenigen reichen Villenbezirken, von denen die Arbeiter und der Mittelstand gar nichts hatten, bis in die achtziger Jahre hinein recht trostlos und mit denen in der Umgebung westdeutscher Großstädte gar nicht zu vergleichen. Soweit die Berliner Arbeiterschaft in ihnen Unterkunft suchen mußte, war sie in fast allen Beziehungen viel schlechter daran als in den mit großstädtischen Miethäusern bebauten Straßen. Mit einem Wort: die Wohn¬ verhältnisse in den Vororten haben sich seit Anfang der achtziger Jahre nicht verschlechtert, sondern ganz bedeutend gebessert. Ob und wie viel dazu die Vorortsbauvrdnung von 1887 beigetragen hat, mag ungewiß sein, aber gewiß ist, daß sie den epochemachenden Umschlag zum Bösen nicht gebracht hat, den Voigt ihr mit dem Satze zuschreibt: „Eine einzige unglückliche Verwaltungs¬ maßregel lenkte aber die ganze Entwicklung mit einem Schlage in andre Bahnen." Die Entwicklung ist wesentlich die Folge der Bevölkerungszunahme, wie ein Blick in nachstehende Zahlenübersichten verständlich machen wird. Es wurden zu Anfang Dezember der betreffenden Jahre ortsanwesende Personen gezählt in 1871 1885 18W 18VS 1900 Stadt Berlin . . . 826341 1815287 1578794 1677 304 1888326 Vororte zusammen . S7735 163740 268715 435236 639978 Rechtes Spreeufer . 17476 57204 88728 119255 167644 Linkes Spreeufer . . 40250 100536 179987 315981 472334 Es hat sich also in einem Menschenalter (1871 bis 1900) die Bevölkerung von Berlin ohne Vororte um 129 Prozent, die der Vororte um 1008 Prozent vermehrt, und zwar die der Vororte des rechten Spreeufers um 859, des linken um 1073 Prozent. In den Zählperioden seit 1867 — von denen die beiden ersten vier¬ jährig, alle übrigen fünfjährig waren — stellte sich in der Stadt Berlin (ohne Vororte) die Bevölkerungsbewegung wie folgt: Zusammen ZähljahrPersonen absolutProzent 1867702437 187182634112390417,64 187596905014270917,39 1880112233015328015.80 1885131528719295717,19 1890157879426350720,03 18951677 304985106,24 1900188832621102212,58 Die verhältnismäßig stärkste Zunahme zeigten die beiden vierjährigen Perioden 1867/71 und 1871/75. Ihr entsprach die Wohnungsnot im Anfang der siebziger Jahre, deren Grad bis heute nicht annähernd wieder erreicht ist. Fast ebenso stark war die Zunahme in dem Jahrfünft 1885/1900, in die die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/306>, abgerufen am 22.07.2024.