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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Holland und Deutschland

hinaus. Noch muß es ein vielen Stellen auf der Erde mit seinem Willen,
der sonst Ordnung schaffen würde, zurückhalten, und an manchen Orten, Mo
es mit Volldampf voraus fahren möchte, da ist es gezwungen, zu kavieren.
Trotzdem tritt mich hier die Kraft seiner Offensive zu Tage, sodaß auch an den
kleinen Erfolgen erkannt wird, welche Früchte an diesem Baume heranreifen.
Die Melodie, die der kleine Iltis vor den Forts von Tatu aufgespielt hat,
verhallt gewissermaßen unter dem Donner, der noch von den böhmischen und
französischen Schlachtfeldern herüberschallt, aber es ist dasselbe Leitmotiv, das
aus der kleinen Sonate wie aus den großen Dramen ans Ohr tönt. Oder
war dieses Gefecht an der Küste des Gelben Meeres die frühe Ouvertüre zu
einer spätern Oper, die schon in Vorbereitung ist?

Man muß es im höchsten Grade bedauern, daß der deutsche Reichstag
nicht die Kraft in sich gefunden hat, im Sommer vorigen Jahres die Flotten¬
vorlage in dem ganzen Umfange, wie sie die Regierung bei den Vertretern
des Volks eingebracht hatte, zu bewilligen. Obstruktion von allen Seiten.
Die beim Freisinn wird zwar allmählich in die sanften Wege geleitet werden,
und auch bei der Sozialdemokratie ist Aussicht vorhanden, daß endlich der
gesunde Sinn unsrer Arbeiterschaft den Sieg über die Phrase gewinnt. Aber
bis das eintritt, muß erst der Widerstand der Partei überwunden werden, die
ihre Lebensanschauung aus einer Welt holt, die nicht die deutsche ist, und das
hat seine ganz besondern Gefahren. Die gestrichnen Auslandschiffe werden
bewilligt werden, aber es wäre gut gewesen, gleich damit vorzugehn, wenn
auch nur um der Welt zu zeigen, daß die große Mehrheit des deutschen Volkes
von einem starken, seines Zieles bewußten Willen beseelt ist.

Noch möchte man im Auslande, wo man unser Wachstum mit Neid an¬
sieht, daran zweifeln. Aber man thut nicht gut daran, denn die Uneinigkeit,
die uns ganz natürlich wie eine Kinderkrankheit anhaftet, wird überwunden
werden, wie das starke Kind mit den Skrofeln fertig wird, die es als Erb¬
übel mit sich herumträgt. Da, dem Himmel sei Dank, unsre Marine einmal,
wenn auch zunächst nur ans dem Papier, den Umfang angenommen hat, der sie
zu einer Seemacht ersten Ranges erhebt, so wird allein die Wucht der That¬
sachen die Widerwilligkeit mit sich reißen und zu andern Thatsachen führen,
denen es auch an der Kraft des Weiterwirkens nicht fehlen wird. Was
Wirklichkeiten, die auch einem gröbern Tasten fühlbar sind, für fortbewegende
Kraft haben, kann man aus einer andern Angelegenheit sehen, die schon jetzt
von der größten Wichtigkeit ist und mit jedem Tage an Bedeutung zunimmt.

In vielen Lagen des Lebens, wo die Thätigkeit des Menschen erfordert
wird, steht unter allen Dingen, die in Betracht kommen, der Nachrichtendienst
in vorderster Reihe. Im Handel ist sogar weitaus in den meisten Fällen die
erste Nachricht entscheidend. In dieser Erkenntnis haben die Engländer die
ganze Erde mit ihrem Kabelnetze umspannt und dadurch alle Welt von sich
abhängig gemacht. In welchem Maße dies der Fall ist, darüber brauchen hier
keine Worte verloren zu werden, aber es ist eine überaus erfreuliche Thatsache,


Holland und Deutschland

hinaus. Noch muß es ein vielen Stellen auf der Erde mit seinem Willen,
der sonst Ordnung schaffen würde, zurückhalten, und an manchen Orten, Mo
es mit Volldampf voraus fahren möchte, da ist es gezwungen, zu kavieren.
Trotzdem tritt mich hier die Kraft seiner Offensive zu Tage, sodaß auch an den
kleinen Erfolgen erkannt wird, welche Früchte an diesem Baume heranreifen.
Die Melodie, die der kleine Iltis vor den Forts von Tatu aufgespielt hat,
verhallt gewissermaßen unter dem Donner, der noch von den böhmischen und
französischen Schlachtfeldern herüberschallt, aber es ist dasselbe Leitmotiv, das
aus der kleinen Sonate wie aus den großen Dramen ans Ohr tönt. Oder
war dieses Gefecht an der Küste des Gelben Meeres die frühe Ouvertüre zu
einer spätern Oper, die schon in Vorbereitung ist?

Man muß es im höchsten Grade bedauern, daß der deutsche Reichstag
nicht die Kraft in sich gefunden hat, im Sommer vorigen Jahres die Flotten¬
vorlage in dem ganzen Umfange, wie sie die Regierung bei den Vertretern
des Volks eingebracht hatte, zu bewilligen. Obstruktion von allen Seiten.
Die beim Freisinn wird zwar allmählich in die sanften Wege geleitet werden,
und auch bei der Sozialdemokratie ist Aussicht vorhanden, daß endlich der
gesunde Sinn unsrer Arbeiterschaft den Sieg über die Phrase gewinnt. Aber
bis das eintritt, muß erst der Widerstand der Partei überwunden werden, die
ihre Lebensanschauung aus einer Welt holt, die nicht die deutsche ist, und das
hat seine ganz besondern Gefahren. Die gestrichnen Auslandschiffe werden
bewilligt werden, aber es wäre gut gewesen, gleich damit vorzugehn, wenn
auch nur um der Welt zu zeigen, daß die große Mehrheit des deutschen Volkes
von einem starken, seines Zieles bewußten Willen beseelt ist.

Noch möchte man im Auslande, wo man unser Wachstum mit Neid an¬
sieht, daran zweifeln. Aber man thut nicht gut daran, denn die Uneinigkeit,
die uns ganz natürlich wie eine Kinderkrankheit anhaftet, wird überwunden
werden, wie das starke Kind mit den Skrofeln fertig wird, die es als Erb¬
übel mit sich herumträgt. Da, dem Himmel sei Dank, unsre Marine einmal,
wenn auch zunächst nur ans dem Papier, den Umfang angenommen hat, der sie
zu einer Seemacht ersten Ranges erhebt, so wird allein die Wucht der That¬
sachen die Widerwilligkeit mit sich reißen und zu andern Thatsachen führen,
denen es auch an der Kraft des Weiterwirkens nicht fehlen wird. Was
Wirklichkeiten, die auch einem gröbern Tasten fühlbar sind, für fortbewegende
Kraft haben, kann man aus einer andern Angelegenheit sehen, die schon jetzt
von der größten Wichtigkeit ist und mit jedem Tage an Bedeutung zunimmt.

In vielen Lagen des Lebens, wo die Thätigkeit des Menschen erfordert
wird, steht unter allen Dingen, die in Betracht kommen, der Nachrichtendienst
in vorderster Reihe. Im Handel ist sogar weitaus in den meisten Fällen die
erste Nachricht entscheidend. In dieser Erkenntnis haben die Engländer die
ganze Erde mit ihrem Kabelnetze umspannt und dadurch alle Welt von sich
abhängig gemacht. In welchem Maße dies der Fall ist, darüber brauchen hier
keine Worte verloren zu werden, aber es ist eine überaus erfreuliche Thatsache,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/278>, abgerufen am 22.07.2024.