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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Holland und Deutschland

das kleinere Staatswesen geltend machen wird, aber es hat nicht nötig, er¬
drückend zu sein.

Die Geschichte ist voll von Beweisen dafür, daß die vorausgehende Einigung
von Völkern auf Grund des rein materiellen Lebens in viel höherm Maße
die Gewähr einer friedlichen Entwicklung bietet, als wenn umgekehrt zuerst,
sei es durch Gewalt oder durch Vertrag, die staatliche Geschlossenheit festgelegt
wurde, allein aus dem Grunde schon, weil jene die breiteste und umfassendste
Grundlage des Lebens ist. Aus ihr saugt der Staatskörper wie bei allem,
was lebt, seine Kräfte, und ans ihr baut er sich organisch auf bis in seine
feinsten Gliederungen. Wo es nicht so sein soll, wo man gewissermaßen die
Arbeit des Staates auf einer höher" Stufe beginnen wollte, da würde man
dem. Leben Zwang anthun, es aus seiner natürlichen Richtung drängen und
damit dem Ganzen auf die Dauer unerträglichen Schaden zufügen. Rein poli¬
tischen Druck können die Menschen lange, lange ertragen, aber wo dieser in
eine Störung und Schädigung der Freiheit des Erwerbslebens ausartet, da
ist in kurzer Zeit alles aufs Spiel gesetzt. Muß hier noch einmal daran er¬
innert werden, daß gerade die Geschichte der Niederlande den besten Beleg für
die Wahrheit dieser Sätze bietet?

Holland kann sich mit dem Deutschen Reiche dreist auf dieselbe Grundlage
des Erwerbslebens stellen, ohne befürchten zu müssen, daß ihm politisch irgend
ein Zwang angethan werden möchte. Die Richtung der äußern Politik wäre
allerdings durch das Zollbündnis vorgeschrieben, aber allein von Holland hinge
es ab, wie weit es sich innerpolitisch mit dem größern Verbündeten ein¬
lassen wollte. Die Niederländer werden auf den Gebieten der Schule und der
Kirche, der Verwaltung und des Gemeiudelebens durch vortreffliche Gesetze
regiert, und sich hierin durch fremde Einwirkung zu Änderungen bewegen zu
lassen, würde ihnen mit Recht schwer genug werden, oder sie würden vielmehr
dahingehende Zumutungen gleich an der Schwelle mit aller Entschiedenheit
zurückweisen. Von dergleichen kann also gnr nicht die Rede sein. Aber auf
der andern Seite hat Deutschland durch Preußen, von allem andern abgesehen,
eine Einrichtung, die über jegliches hinausgeht, was man ihm an die Seite
setzen möchte. Die allgemeine Wehrpflicht, oder der preußische Militarismus,
wie es bei radikalen, das heißt unklaren Köpfen heißt, ist das beste, was je¬
mals denkende Menschen zum besten eines Volks ersonnen und ins Leben ein¬
geführt haben. Rom ist der erste Militürstaat des Altertums gewesen, aber
was die Römer an kriegerischen Einrichtungen geleistet haben, ist gegen das
preußische und jetzt "deutsche Volk in Waffen" hinfällig.

Nicht wegen seines Mutes und seiner Tapferkeit vor dem Feinde, sondern
wegen der Kraft der Erziehung zum bürgerlichen Leben, die diesem Militarismus
innewohnt. Die Menschen, die durch das Feuer der deutschen Heeresdisziplin
gestählt worden sind, bringen den starken Willen zum Leben und den Sinn
für die Ordnung mit in die Heimat zurück. Ihnen können die Widerwärtigkeiten
des Daseins nicht leicht etwas anhaben, und auch von den Freuden des Tages


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Holland und Deutschland

das kleinere Staatswesen geltend machen wird, aber es hat nicht nötig, er¬
drückend zu sein.

Die Geschichte ist voll von Beweisen dafür, daß die vorausgehende Einigung
von Völkern auf Grund des rein materiellen Lebens in viel höherm Maße
die Gewähr einer friedlichen Entwicklung bietet, als wenn umgekehrt zuerst,
sei es durch Gewalt oder durch Vertrag, die staatliche Geschlossenheit festgelegt
wurde, allein aus dem Grunde schon, weil jene die breiteste und umfassendste
Grundlage des Lebens ist. Aus ihr saugt der Staatskörper wie bei allem,
was lebt, seine Kräfte, und ans ihr baut er sich organisch auf bis in seine
feinsten Gliederungen. Wo es nicht so sein soll, wo man gewissermaßen die
Arbeit des Staates auf einer höher» Stufe beginnen wollte, da würde man
dem. Leben Zwang anthun, es aus seiner natürlichen Richtung drängen und
damit dem Ganzen auf die Dauer unerträglichen Schaden zufügen. Rein poli¬
tischen Druck können die Menschen lange, lange ertragen, aber wo dieser in
eine Störung und Schädigung der Freiheit des Erwerbslebens ausartet, da
ist in kurzer Zeit alles aufs Spiel gesetzt. Muß hier noch einmal daran er¬
innert werden, daß gerade die Geschichte der Niederlande den besten Beleg für
die Wahrheit dieser Sätze bietet?

Holland kann sich mit dem Deutschen Reiche dreist auf dieselbe Grundlage
des Erwerbslebens stellen, ohne befürchten zu müssen, daß ihm politisch irgend
ein Zwang angethan werden möchte. Die Richtung der äußern Politik wäre
allerdings durch das Zollbündnis vorgeschrieben, aber allein von Holland hinge
es ab, wie weit es sich innerpolitisch mit dem größern Verbündeten ein¬
lassen wollte. Die Niederländer werden auf den Gebieten der Schule und der
Kirche, der Verwaltung und des Gemeiudelebens durch vortreffliche Gesetze
regiert, und sich hierin durch fremde Einwirkung zu Änderungen bewegen zu
lassen, würde ihnen mit Recht schwer genug werden, oder sie würden vielmehr
dahingehende Zumutungen gleich an der Schwelle mit aller Entschiedenheit
zurückweisen. Von dergleichen kann also gnr nicht die Rede sein. Aber auf
der andern Seite hat Deutschland durch Preußen, von allem andern abgesehen,
eine Einrichtung, die über jegliches hinausgeht, was man ihm an die Seite
setzen möchte. Die allgemeine Wehrpflicht, oder der preußische Militarismus,
wie es bei radikalen, das heißt unklaren Köpfen heißt, ist das beste, was je¬
mals denkende Menschen zum besten eines Volks ersonnen und ins Leben ein¬
geführt haben. Rom ist der erste Militürstaat des Altertums gewesen, aber
was die Römer an kriegerischen Einrichtungen geleistet haben, ist gegen das
preußische und jetzt „deutsche Volk in Waffen" hinfällig.

Nicht wegen seines Mutes und seiner Tapferkeit vor dem Feinde, sondern
wegen der Kraft der Erziehung zum bürgerlichen Leben, die diesem Militarismus
innewohnt. Die Menschen, die durch das Feuer der deutschen Heeresdisziplin
gestählt worden sind, bringen den starken Willen zum Leben und den Sinn
für die Ordnung mit in die Heimat zurück. Ihnen können die Widerwärtigkeiten
des Daseins nicht leicht etwas anhaben, und auch von den Freuden des Tages


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[0273] Holland und Deutschland das kleinere Staatswesen geltend machen wird, aber es hat nicht nötig, er¬ drückend zu sein. Die Geschichte ist voll von Beweisen dafür, daß die vorausgehende Einigung von Völkern auf Grund des rein materiellen Lebens in viel höherm Maße die Gewähr einer friedlichen Entwicklung bietet, als wenn umgekehrt zuerst, sei es durch Gewalt oder durch Vertrag, die staatliche Geschlossenheit festgelegt wurde, allein aus dem Grunde schon, weil jene die breiteste und umfassendste Grundlage des Lebens ist. Aus ihr saugt der Staatskörper wie bei allem, was lebt, seine Kräfte, und ans ihr baut er sich organisch auf bis in seine feinsten Gliederungen. Wo es nicht so sein soll, wo man gewissermaßen die Arbeit des Staates auf einer höher» Stufe beginnen wollte, da würde man dem. Leben Zwang anthun, es aus seiner natürlichen Richtung drängen und damit dem Ganzen auf die Dauer unerträglichen Schaden zufügen. Rein poli¬ tischen Druck können die Menschen lange, lange ertragen, aber wo dieser in eine Störung und Schädigung der Freiheit des Erwerbslebens ausartet, da ist in kurzer Zeit alles aufs Spiel gesetzt. Muß hier noch einmal daran er¬ innert werden, daß gerade die Geschichte der Niederlande den besten Beleg für die Wahrheit dieser Sätze bietet? Holland kann sich mit dem Deutschen Reiche dreist auf dieselbe Grundlage des Erwerbslebens stellen, ohne befürchten zu müssen, daß ihm politisch irgend ein Zwang angethan werden möchte. Die Richtung der äußern Politik wäre allerdings durch das Zollbündnis vorgeschrieben, aber allein von Holland hinge es ab, wie weit es sich innerpolitisch mit dem größern Verbündeten ein¬ lassen wollte. Die Niederländer werden auf den Gebieten der Schule und der Kirche, der Verwaltung und des Gemeiudelebens durch vortreffliche Gesetze regiert, und sich hierin durch fremde Einwirkung zu Änderungen bewegen zu lassen, würde ihnen mit Recht schwer genug werden, oder sie würden vielmehr dahingehende Zumutungen gleich an der Schwelle mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Von dergleichen kann also gnr nicht die Rede sein. Aber auf der andern Seite hat Deutschland durch Preußen, von allem andern abgesehen, eine Einrichtung, die über jegliches hinausgeht, was man ihm an die Seite setzen möchte. Die allgemeine Wehrpflicht, oder der preußische Militarismus, wie es bei radikalen, das heißt unklaren Köpfen heißt, ist das beste, was je¬ mals denkende Menschen zum besten eines Volks ersonnen und ins Leben ein¬ geführt haben. Rom ist der erste Militürstaat des Altertums gewesen, aber was die Römer an kriegerischen Einrichtungen geleistet haben, ist gegen das preußische und jetzt „deutsche Volk in Waffen" hinfällig. Nicht wegen seines Mutes und seiner Tapferkeit vor dem Feinde, sondern wegen der Kraft der Erziehung zum bürgerlichen Leben, die diesem Militarismus innewohnt. Die Menschen, die durch das Feuer der deutschen Heeresdisziplin gestählt worden sind, bringen den starken Willen zum Leben und den Sinn für die Ordnung mit in die Heimat zurück. Ihnen können die Widerwärtigkeiten des Daseins nicht leicht etwas anhaben, und auch von den Freuden des Tages Grmzbotc» IU 1901 >!4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/273>, abgerufen am 23.07.2024.