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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Holland und Deutschland

lichkeiten heraufzuführen, die deu Gegner unter immer erneutem Zwang halte".
Nachdem die deutsche Industrie einmal die Höhe erstiegen hat, von der sie
augenblicklich herabschaut, steht sie frei da, und Freiheit bedeutet Herrschaft.
Mögen die großen Weltmächte sich noch zu größern Einheiten zusammenballen,
sie werden damit der Freiheit und Selbstherrlichkeit des Deutschen Reiches
nicht den Stoß geben, der es zu Falle bringt. Wohl aber möge Holland zu¬
sehen, daß es nnter dem schärfer und schärfer anhebenden Gedränge ans den
Füßen bleibe.

Wer hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird auch das ge¬
nommen, was er hat: die Worte der Schrift passen auch hier. Holland hat
nicht, das heißt, es ist nicht in dem Besitz des materiellen und geistigen Ver¬
mögens, der es instant setzt, Gewinn zu machen und sich wieder zur Freiheit
und Unabhängigkeit des politischen und des wirtschaftlichen Lebens empor zu
schwingen. Da es aber keinen Stillstand giebt, so muß es rückwärts gehn; es
ist in der Lage eines Mannes, der sein Kapital aufzehrt, weil er von den Zinsen
nicht leben kann. Über kurz oder lang werden die Wellen über seinem Kopfe
zusammenschlagen, und um nicht nnterzugehn, wird er dem dienstbar, der am
nächsten Gewalt über ihn hat. Ob nicht Holland einem ähnlichen Schicksal
entgegengeht, wenn es sich nicht beizeiten vorsieht?

Um dem schlimmsten zu entgeh", das Menschen und Staaten widerfahren
kann, wider ihren Willen und ungehört unter die Füße getreten zu werden,
giebt es nur einen Weg, und der ist, freiwillig dahin zurückzukehren, woher
es gekommen ist, und sich mit gutem Bedacht dein Staate wieder anzuschließen,
von den, es unfreiwillig widrige Umstände abgetrennt haben. Das Deutsche
Reich litt an einer unheilbar scheinenden Schwäche, während deren das bloß
dynastische Interesse die Niederlande an einen Staat knüpfte, von dem ihr Wesen
sie so weit trennte, wie Land und Meer sie äußerlich voll Spanien gesondert
hatten. Die Schwäche hat Holland fallen lassen, aber die Stärke zieht es
wieder an sich, nicht die Stärke als solche, die bloß Gewalt anwendet, sondern
die der niederländischen gleichartig ist und den Vorteil nahe legt.

Auch ist hier nicht der politische Anschluß gemeint, sondern der wirt¬
schaftliche. Wenn die Niederlande es wollen, so kann in der Annäherung an
Deutschland das umgekehrte Verhältnis von dem eintreten, das sie vordem mit
Spanien verknüpfte. Von diesem Reiche waren sie politisch abhängig, wahrend
sie die wirtschaftliche Freiheit hatten, die sie in ihrer frühern losen Verbindung
mit dem Deutschen Reiche errungen hatten. Mit Deutschland sollen sie da¬
gegen uur in den Sachen des Erlverbs, des Handels und der Industrie eins,
aber auf dem Gebiete des eigentlichen Staatslebens so ungebunden und frei
sein, wie nur irgend das gemeinsame Interesse eS zuläßt. Noch mag bemerkt
werden, daß auch der wirtschaftliche Zusammenschluß von vornherein durchaus
keine Abhängigkeit Hollands zu bedeuten braucht, sondern daß die Einigung
auf dem Grunde freier Vereinbarung gesucht werde" muß. Freilich läßt es
sich nicht vermeiden, daß sich ganz natürlich das Übergewicht des größer" über


Holland und Deutschland

lichkeiten heraufzuführen, die deu Gegner unter immer erneutem Zwang halte».
Nachdem die deutsche Industrie einmal die Höhe erstiegen hat, von der sie
augenblicklich herabschaut, steht sie frei da, und Freiheit bedeutet Herrschaft.
Mögen die großen Weltmächte sich noch zu größern Einheiten zusammenballen,
sie werden damit der Freiheit und Selbstherrlichkeit des Deutschen Reiches
nicht den Stoß geben, der es zu Falle bringt. Wohl aber möge Holland zu¬
sehen, daß es nnter dem schärfer und schärfer anhebenden Gedränge ans den
Füßen bleibe.

Wer hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird auch das ge¬
nommen, was er hat: die Worte der Schrift passen auch hier. Holland hat
nicht, das heißt, es ist nicht in dem Besitz des materiellen und geistigen Ver¬
mögens, der es instant setzt, Gewinn zu machen und sich wieder zur Freiheit
und Unabhängigkeit des politischen und des wirtschaftlichen Lebens empor zu
schwingen. Da es aber keinen Stillstand giebt, so muß es rückwärts gehn; es
ist in der Lage eines Mannes, der sein Kapital aufzehrt, weil er von den Zinsen
nicht leben kann. Über kurz oder lang werden die Wellen über seinem Kopfe
zusammenschlagen, und um nicht nnterzugehn, wird er dem dienstbar, der am
nächsten Gewalt über ihn hat. Ob nicht Holland einem ähnlichen Schicksal
entgegengeht, wenn es sich nicht beizeiten vorsieht?

Um dem schlimmsten zu entgeh», das Menschen und Staaten widerfahren
kann, wider ihren Willen und ungehört unter die Füße getreten zu werden,
giebt es nur einen Weg, und der ist, freiwillig dahin zurückzukehren, woher
es gekommen ist, und sich mit gutem Bedacht dein Staate wieder anzuschließen,
von den, es unfreiwillig widrige Umstände abgetrennt haben. Das Deutsche
Reich litt an einer unheilbar scheinenden Schwäche, während deren das bloß
dynastische Interesse die Niederlande an einen Staat knüpfte, von dem ihr Wesen
sie so weit trennte, wie Land und Meer sie äußerlich voll Spanien gesondert
hatten. Die Schwäche hat Holland fallen lassen, aber die Stärke zieht es
wieder an sich, nicht die Stärke als solche, die bloß Gewalt anwendet, sondern
die der niederländischen gleichartig ist und den Vorteil nahe legt.

Auch ist hier nicht der politische Anschluß gemeint, sondern der wirt¬
schaftliche. Wenn die Niederlande es wollen, so kann in der Annäherung an
Deutschland das umgekehrte Verhältnis von dem eintreten, das sie vordem mit
Spanien verknüpfte. Von diesem Reiche waren sie politisch abhängig, wahrend
sie die wirtschaftliche Freiheit hatten, die sie in ihrer frühern losen Verbindung
mit dem Deutschen Reiche errungen hatten. Mit Deutschland sollen sie da¬
gegen uur in den Sachen des Erlverbs, des Handels und der Industrie eins,
aber auf dem Gebiete des eigentlichen Staatslebens so ungebunden und frei
sein, wie nur irgend das gemeinsame Interesse eS zuläßt. Noch mag bemerkt
werden, daß auch der wirtschaftliche Zusammenschluß von vornherein durchaus
keine Abhängigkeit Hollands zu bedeuten braucht, sondern daß die Einigung
auf dem Grunde freier Vereinbarung gesucht werde» muß. Freilich läßt es
sich nicht vermeiden, daß sich ganz natürlich das Übergewicht des größer» über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/272>, abgerufen am 22.07.2024.