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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Der Wildfang

Nach einigen Augenblicken kam sie aus dem Zimmer zurück. Sie hatte ihr
Haar hiunufgenommeu und mit einem Tuche zusammengebunden.

Wir wollen aus den Altan, sagte sie, es spricht sich dort leichter.

Wir gingen hinaus. Die Dämmerung hob uns hoch über die Stadt und
schob den Schloßberg in die Ferne, aber die schwarze Finsternis des Klingenteichs
war zum Greifen nahe.

Kunigunde stemmte die Arme auf die Brüstung und schaute nach dein Schlosse
hinüber.

Wie geht es der armen Margarete? fragte sie, ohne sich zu rühren.

Ihre Augen trocknen nicht, antwortete ich.

Ihr müßt sie trösten, sagte sie in derselben Haltung. Wißt Ihr, wie man
dies macht? Wenn alles vorüber ist, dann nehmt sie auf deu Schoß und küßt ihr
die garstigen Thränen weg.

Wir schwiegen beide. Es wurde dunkel. Ein Nachtvogel huschte an uns
vorbei. So standen wir lange und schauten hinaus in die wachsende Finsternis.

Endlich sagte ich!

Ich bin droben gewesen und habe über deu Grabe" geschaut.

Sie nickte stumm.

Dann wandte sie sich plötzlich um und schaute mich an.

Wie dick sind die Mauern?

Ich breitete meine Arme aus und sagte: So dick.

Aber die Glocke hört man doch?

Gewiß. Er hat die Glocke gehört.

Sie nickte still. Nach einer Weile sagte sie: Ich habe ihm alles gesagt.

Was habt Ihr ihm gesagt? fragte ich.

Da drehte sie sich scharf nach mir um und schaute mich an mit ihrem alten
stolzen Blick.

Gott und die Glocke Wissens, sagte sie.

In diesem Augenblick läutete es von der Pforte her.

Sie ging an den Aufzug. Aber ehe sie den Handgriff umfaßte, wandte sie
sich zu mir und flüsterte hastig und angstvoll:

Ich weiß, wer kommt . . . Morgen wird er gerichtet.

So schnell? Das ist nicht möglich! sagte ich, um sie zu beruhigen, aber das
Herz klopfte mir.

Es läutete zum zweitenmal heftig, ungeduldig. Ich griff an ihrer Hand
vorbei und zog auf. Man hörte, wie unten die Thür zugeschlagen wurde. Ich
gehe hinunter, sagte ich. Wartet hier! Setzt Euch! Aber wo finde ich ein Licht?

Sie hatte sich wie unwillkürlich auf das Kästchen neben der Thür nieder¬
gelassen. Aber als ich an ihr vorüber wollte, sprang sie aus. Da sah ich sie
schwanken und hielt sie fest. Aber nur einen Augenblick dauerte ihre Schwäche.
Sie raffte sich auf und eilte voraus auf den Vorplatz, holte Licht aus der Kammer
und entzündete die kleine Laterne, die neben der Thür hing. Von unten klang ein
unverständliches Rufen.

Ich eilte vorsichtig die Treppe hinunter und verstand nun, daß der Mensch
da unten nach Licht brüllte. Als das Geräusch meiner Tritte und der Schein
meiner Laterne hinunter drang, wurde es unten still.

Ich war schon zur Hälfte die Holzstiege hinab, da rief es ängstlich herauf:

Wer kommt da? Das ist kein FrauentrittI

Wer seid denn Ihr? gab ich zurück.

Ein Bote vom Gericht, rief es. Wo ist Jungfer Kunigunde? Warum kommt
sie nicht? Sie soll kommen.


Der Wildfang

Nach einigen Augenblicken kam sie aus dem Zimmer zurück. Sie hatte ihr
Haar hiunufgenommeu und mit einem Tuche zusammengebunden.

Wir wollen aus den Altan, sagte sie, es spricht sich dort leichter.

Wir gingen hinaus. Die Dämmerung hob uns hoch über die Stadt und
schob den Schloßberg in die Ferne, aber die schwarze Finsternis des Klingenteichs
war zum Greifen nahe.

Kunigunde stemmte die Arme auf die Brüstung und schaute nach dein Schlosse
hinüber.

Wie geht es der armen Margarete? fragte sie, ohne sich zu rühren.

Ihre Augen trocknen nicht, antwortete ich.

Ihr müßt sie trösten, sagte sie in derselben Haltung. Wißt Ihr, wie man
dies macht? Wenn alles vorüber ist, dann nehmt sie auf deu Schoß und küßt ihr
die garstigen Thränen weg.

Wir schwiegen beide. Es wurde dunkel. Ein Nachtvogel huschte an uns
vorbei. So standen wir lange und schauten hinaus in die wachsende Finsternis.

Endlich sagte ich!

Ich bin droben gewesen und habe über deu Grabe« geschaut.

Sie nickte stumm.

Dann wandte sie sich plötzlich um und schaute mich an.

Wie dick sind die Mauern?

Ich breitete meine Arme aus und sagte: So dick.

Aber die Glocke hört man doch?

Gewiß. Er hat die Glocke gehört.

Sie nickte still. Nach einer Weile sagte sie: Ich habe ihm alles gesagt.

Was habt Ihr ihm gesagt? fragte ich.

Da drehte sie sich scharf nach mir um und schaute mich an mit ihrem alten
stolzen Blick.

Gott und die Glocke Wissens, sagte sie.

In diesem Augenblick läutete es von der Pforte her.

Sie ging an den Aufzug. Aber ehe sie den Handgriff umfaßte, wandte sie
sich zu mir und flüsterte hastig und angstvoll:

Ich weiß, wer kommt . . . Morgen wird er gerichtet.

So schnell? Das ist nicht möglich! sagte ich, um sie zu beruhigen, aber das
Herz klopfte mir.

Es läutete zum zweitenmal heftig, ungeduldig. Ich griff an ihrer Hand
vorbei und zog auf. Man hörte, wie unten die Thür zugeschlagen wurde. Ich
gehe hinunter, sagte ich. Wartet hier! Setzt Euch! Aber wo finde ich ein Licht?

Sie hatte sich wie unwillkürlich auf das Kästchen neben der Thür nieder¬
gelassen. Aber als ich an ihr vorüber wollte, sprang sie aus. Da sah ich sie
schwanken und hielt sie fest. Aber nur einen Augenblick dauerte ihre Schwäche.
Sie raffte sich auf und eilte voraus auf den Vorplatz, holte Licht aus der Kammer
und entzündete die kleine Laterne, die neben der Thür hing. Von unten klang ein
unverständliches Rufen.

Ich eilte vorsichtig die Treppe hinunter und verstand nun, daß der Mensch
da unten nach Licht brüllte. Als das Geräusch meiner Tritte und der Schein
meiner Laterne hinunter drang, wurde es unten still.

Ich war schon zur Hälfte die Holzstiege hinab, da rief es ängstlich herauf:

Wer kommt da? Das ist kein FrauentrittI

Wer seid denn Ihr? gab ich zurück.

Ein Bote vom Gericht, rief es. Wo ist Jungfer Kunigunde? Warum kommt
sie nicht? Sie soll kommen.


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[0246] Der Wildfang Nach einigen Augenblicken kam sie aus dem Zimmer zurück. Sie hatte ihr Haar hiunufgenommeu und mit einem Tuche zusammengebunden. Wir wollen aus den Altan, sagte sie, es spricht sich dort leichter. Wir gingen hinaus. Die Dämmerung hob uns hoch über die Stadt und schob den Schloßberg in die Ferne, aber die schwarze Finsternis des Klingenteichs war zum Greifen nahe. Kunigunde stemmte die Arme auf die Brüstung und schaute nach dein Schlosse hinüber. Wie geht es der armen Margarete? fragte sie, ohne sich zu rühren. Ihre Augen trocknen nicht, antwortete ich. Ihr müßt sie trösten, sagte sie in derselben Haltung. Wißt Ihr, wie man dies macht? Wenn alles vorüber ist, dann nehmt sie auf deu Schoß und küßt ihr die garstigen Thränen weg. Wir schwiegen beide. Es wurde dunkel. Ein Nachtvogel huschte an uns vorbei. So standen wir lange und schauten hinaus in die wachsende Finsternis. Endlich sagte ich! Ich bin droben gewesen und habe über deu Grabe« geschaut. Sie nickte stumm. Dann wandte sie sich plötzlich um und schaute mich an. Wie dick sind die Mauern? Ich breitete meine Arme aus und sagte: So dick. Aber die Glocke hört man doch? Gewiß. Er hat die Glocke gehört. Sie nickte still. Nach einer Weile sagte sie: Ich habe ihm alles gesagt. Was habt Ihr ihm gesagt? fragte ich. Da drehte sie sich scharf nach mir um und schaute mich an mit ihrem alten stolzen Blick. Gott und die Glocke Wissens, sagte sie. In diesem Augenblick läutete es von der Pforte her. Sie ging an den Aufzug. Aber ehe sie den Handgriff umfaßte, wandte sie sich zu mir und flüsterte hastig und angstvoll: Ich weiß, wer kommt . . . Morgen wird er gerichtet. So schnell? Das ist nicht möglich! sagte ich, um sie zu beruhigen, aber das Herz klopfte mir. Es läutete zum zweitenmal heftig, ungeduldig. Ich griff an ihrer Hand vorbei und zog auf. Man hörte, wie unten die Thür zugeschlagen wurde. Ich gehe hinunter, sagte ich. Wartet hier! Setzt Euch! Aber wo finde ich ein Licht? Sie hatte sich wie unwillkürlich auf das Kästchen neben der Thür nieder¬ gelassen. Aber als ich an ihr vorüber wollte, sprang sie aus. Da sah ich sie schwanken und hielt sie fest. Aber nur einen Augenblick dauerte ihre Schwäche. Sie raffte sich auf und eilte voraus auf den Vorplatz, holte Licht aus der Kammer und entzündete die kleine Laterne, die neben der Thür hing. Von unten klang ein unverständliches Rufen. Ich eilte vorsichtig die Treppe hinunter und verstand nun, daß der Mensch da unten nach Licht brüllte. Als das Geräusch meiner Tritte und der Schein meiner Laterne hinunter drang, wurde es unten still. Ich war schon zur Hälfte die Holzstiege hinab, da rief es ängstlich herauf: Wer kommt da? Das ist kein FrauentrittI Wer seid denn Ihr? gab ich zurück. Ein Bote vom Gericht, rief es. Wo ist Jungfer Kunigunde? Warum kommt sie nicht? Sie soll kommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/246>, abgerufen am 05.07.2024.