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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Nenkolomsation Südamerikas

von etwa 12000 Kilometern, die die bestehenden Linien benutzen sollte; eine
Reihe von Borarbeiten für die Tracierung des Hauptstrangs wie die An-
gliedernng von Teilstrecken ist seither vollendet worden. Die ungemeine
Wichtigkeit dieses gigantischen Bahnunternehmens für die Neukolonisation Süd¬
amerikas leuchtet ohne weiteres ein, und man darf gespannt sein, wie sich die
Verwirklichung des Projekts in den kommenden Jahrzehnten gestalten wird.
Den damals gleichfalls angeregten Fragen der Einführung gemeinsamer Maße,
Gewichte und Münzen, sowie der Gründung einer panamerikanischen Bank
scheint man neuerdings nicht mehr näher getreten zu sein. Dagegen sind das
starke Anwachsen der geschäftlichen Verbindungen mit Nordamerika, die Zn-
nnhme von Kapitalanlagen in der Industrie, die Niederlassung nordamerikci-
uischcr Firmen in südamerikanischen Handelszentren deutliche Zeichen dafür,
daß man von feiten der Interessentenkreise in Nordamerika planmäßig in der
lrnnmerziellen Eroberung des südlichen Kontinents fortschreitet.

Eine weitere Möglichkeit, sich in diesem ans friedliche Weise einzunisten,
läge in der Landerwerbung durch Kauf- oder sonstigen Vertrag. Den Versuch
hierzu scheint die Union schon gemacht zu haben, wenn man dem von der
Zeitung ?i'"vmviA (i-l l^u-i, veröffentlichten Geheimprotokoll einer Abmachung
angeblich zwischen dein derzeitigen amerikanischen Gesandten in Rio Janeiro
einerseits und dem bolivianischen Minister Dr. Paravicini andrerseits Glauben
schenke" darf, die das Datum des 12. Mai 1899 trägt. Darin handelt es
sich "in ein zwischen Brasilien und Bolivien strittiges Gebiet am Rio Acre,
einem Nebenfluß des Amazonas, das wegen seines Kantschukrcichtums wichtig
ist, sodann aber besonders auch wegen seiner Lage innerhalb eines Territo¬
riums, worin die Grenzgebiete von Brasilien, Bolivien, Peru und Eknndor
zusammenstoßen. Nach H 6 dieser Abschrift einer Urkunde, die aus dem Zoll-
Hause der bolivianischen Station Puerto Alonso entwandt worden sein soll,
wurde Bolivien, dein die Union im Falle eines Kriegs mit Brasilien mit
Geld und Kriegsmaterial beizuspringen hätte, eine Gebietserweiterung von
der Union zugesprochen, zugleich aber auch den Vereinigten Staaten für ihre
guten Dienste das gesamte Gebiet zwischen der Mündung Purus-Aere und
Cratv "am Mndciraflnß) abgetreten. Mag es nun mit der Echtheit dieses
Schriftstücks stehn, wie es will, eines gewissen instruktiven Werth entbehrt es
nicht, indem Nur daraus ersehen, auf welche Weife andre Mächte, die in ihren
Mitteln nicht allzu wählerisch siud, in die innern Angelegenheiten der Krcvlen-
staaten eingreifen konnten. Die Rio Acrefrage ist noch offen, da sich die
Abenteurer, die dort einen neuen "Staat" gegründet haben, noch zu behaupten
vermögen, offenbar infolge geheimer Unterstützung von auswärts, und man
kann nicht wissen, was für Überraschungen aus diesem Wetterwinkel Südamerikas
noch hervorbrechen werden.

Aber anch sonst gewahrt man überall die Spuren der Minierarbeit der
nordamerikanischen Diplomatie. Wo zwei Nachbarn einander in den Haaren
^'gen, da spricht die Union ein gewichtiges Wort; wo es gilt, einen schwachen


Die Nenkolomsation Südamerikas

von etwa 12000 Kilometern, die die bestehenden Linien benutzen sollte; eine
Reihe von Borarbeiten für die Tracierung des Hauptstrangs wie die An-
gliedernng von Teilstrecken ist seither vollendet worden. Die ungemeine
Wichtigkeit dieses gigantischen Bahnunternehmens für die Neukolonisation Süd¬
amerikas leuchtet ohne weiteres ein, und man darf gespannt sein, wie sich die
Verwirklichung des Projekts in den kommenden Jahrzehnten gestalten wird.
Den damals gleichfalls angeregten Fragen der Einführung gemeinsamer Maße,
Gewichte und Münzen, sowie der Gründung einer panamerikanischen Bank
scheint man neuerdings nicht mehr näher getreten zu sein. Dagegen sind das
starke Anwachsen der geschäftlichen Verbindungen mit Nordamerika, die Zn-
nnhme von Kapitalanlagen in der Industrie, die Niederlassung nordamerikci-
uischcr Firmen in südamerikanischen Handelszentren deutliche Zeichen dafür,
daß man von feiten der Interessentenkreise in Nordamerika planmäßig in der
lrnnmerziellen Eroberung des südlichen Kontinents fortschreitet.

Eine weitere Möglichkeit, sich in diesem ans friedliche Weise einzunisten,
läge in der Landerwerbung durch Kauf- oder sonstigen Vertrag. Den Versuch
hierzu scheint die Union schon gemacht zu haben, wenn man dem von der
Zeitung ?i'»vmviA (i-l l^u-i, veröffentlichten Geheimprotokoll einer Abmachung
angeblich zwischen dein derzeitigen amerikanischen Gesandten in Rio Janeiro
einerseits und dem bolivianischen Minister Dr. Paravicini andrerseits Glauben
schenke» darf, die das Datum des 12. Mai 1899 trägt. Darin handelt es
sich »in ein zwischen Brasilien und Bolivien strittiges Gebiet am Rio Acre,
einem Nebenfluß des Amazonas, das wegen seines Kantschukrcichtums wichtig
ist, sodann aber besonders auch wegen seiner Lage innerhalb eines Territo¬
riums, worin die Grenzgebiete von Brasilien, Bolivien, Peru und Eknndor
zusammenstoßen. Nach H 6 dieser Abschrift einer Urkunde, die aus dem Zoll-
Hause der bolivianischen Station Puerto Alonso entwandt worden sein soll,
wurde Bolivien, dein die Union im Falle eines Kriegs mit Brasilien mit
Geld und Kriegsmaterial beizuspringen hätte, eine Gebietserweiterung von
der Union zugesprochen, zugleich aber auch den Vereinigten Staaten für ihre
guten Dienste das gesamte Gebiet zwischen der Mündung Purus-Aere und
Cratv «am Mndciraflnß) abgetreten. Mag es nun mit der Echtheit dieses
Schriftstücks stehn, wie es will, eines gewissen instruktiven Werth entbehrt es
nicht, indem Nur daraus ersehen, auf welche Weife andre Mächte, die in ihren
Mitteln nicht allzu wählerisch siud, in die innern Angelegenheiten der Krcvlen-
staaten eingreifen konnten. Die Rio Acrefrage ist noch offen, da sich die
Abenteurer, die dort einen neuen „Staat" gegründet haben, noch zu behaupten
vermögen, offenbar infolge geheimer Unterstützung von auswärts, und man
kann nicht wissen, was für Überraschungen aus diesem Wetterwinkel Südamerikas
noch hervorbrechen werden.

Aber anch sonst gewahrt man überall die Spuren der Minierarbeit der
nordamerikanischen Diplomatie. Wo zwei Nachbarn einander in den Haaren
^'gen, da spricht die Union ein gewichtiges Wort; wo es gilt, einen schwachen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/181>, abgerufen am 22.07.2024.