Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.Das britische Parlament zustellen, der die meisten Aussichten auf Erfolg bietet, Freiheiten erlaubt sie Ein Ausfluß der Mannszucht, die bei allen Parteien scharf ausgeübt Das britische Parlament zustellen, der die meisten Aussichten auf Erfolg bietet, Freiheiten erlaubt sie Ein Ausfluß der Mannszucht, die bei allen Parteien scharf ausgeübt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0170" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235342"/> <fw type="header" place="top"> Das britische Parlament</fw><lb/> <p xml:id="ID_745" prev="#ID_744"> zustellen, der die meisten Aussichten auf Erfolg bietet, Freiheiten erlaubt sie<lb/> ihm darum nicht. Hin und wieder erlaubt mau ihm, bei Fragen, die der<lb/> Partei als solcher gleichartig sind, nach seiner eignen Meinung zu stimmen.<lb/> In allem andern muß er einschwenken wie die Rekruten, oder er wird kalt<lb/> gestellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_746"> Ein Ausfluß der Mannszucht, die bei allen Parteien scharf ausgeübt<lb/> wird, ist die eigentümliche Einrichtung des Paarcns. Unter den 670 Ab¬<lb/> geordneten giebt es, wie auch in andern Parlamenten, immer eine Anzahl,<lb/> der persönliche Rücksichten ein Erscheinen in Westminster erschweren, und in<lb/> solchen Fällen wird zwischen den Einpeitschern ein Abkommen getroffen, wo¬<lb/> nach sich je ein Mitglied der Regierungspartei und eins der Gegenseite ver¬<lb/> pflichten, für eine bestimmte Zeit an keiner Abstimmung teilzunehmen. Da¬<lb/> durch wird den einzelnen Erleichterung gewährt, ohne daß sich der Zahlen¬<lb/> unterschied der Parteien verschiebt. So groß also ein Parlamentsmitglied sich<lb/> selbst und seinen Wählern erscheinen mag, im Hause bedeutet er nicht viel,<lb/> und bloß bei Abstimmungen ist seine Anwesenheit wirklich begehrt. Dann er¬<lb/> innert sich der Einpeitscher seiner und sendet ihm eine Aufforderung, die je<lb/> unes der Wichtigkeit des Gegenstands mehrfach unterstrichen ist. Bei den Ver¬<lb/> handlungen darf man sich deshalb nicht über die schwache Besetzung des Hauses<lb/> wundern. Manchmal sind aus den 670 Mitgliedern nicht einmal die für eine<lb/> Sitzung nötigen 40 anniesend, und dann kommt es wohl vor, daß sich die<lb/> Iren das Vergnügen machen, das Hans auszählen und die Sitzung vertagen<lb/> zu lassen. Es wäre jedoch falsch, aus dem schwachen Besuche voreilige Schlüsse<lb/> zu ziehn. Die wirkliche Arbeit wird nicht in den Gesamtsitzungcn geleistet,<lb/> sondern in den zahlreichen Ausschüssen, die den ganzen Vormittag füllen und<lb/> außerdem große Ansprüche an den Fleiß ihrer Mitglieder stellen. Ferner<lb/> haben auch Parlamentarier eigne Angelegenheiten zu besorgen und darunter<lb/> einen umfangreichen Briefwechsel. Ein Wähler würde schwer beleidigt sein,<lb/> bliebe ein Schreiben um seinen Vertreter unbeantwortet. Die öffentlichen<lb/> Sitzungen währen in der Regel an vier Tagen der Woche von drei Uhr<lb/> nachmittags bis ein Uhr nachts, am Mittwoch von zwölf bis sechs. Sonn¬<lb/> abend ist Feiertag. Eigentlich sollte man von öffentlichen Sitzungen nicht<lb/> sprechen; denn NichtMitglieder haben kein Recht, den Verhandlungen bei¬<lb/> zuwohnen, und wenn sie auch zuhören dürfen, amtlich nimmt man sie als'<lb/> nicht vorhanden an, bis ein ehrenwertes Mitglied den Sprecher darauf auf¬<lb/> merksam macht, daß Fremde im Hanse sind und dadurch ihre Entfernung be¬<lb/> wirkt. In frühern Zeiten wurden die Sitzungen streng geheim gehalten.<lb/> Nicht nur waren Fremde ausgeschlossen, es war sogar den Zeitungen unter¬<lb/> sagt, Berichte zu geben, sodciß sich die Presse genötigt sah, das, was von be¬<lb/> freundeten Mitgliedern zu erfahren war, als Erörterungen der Abgeordneten<lb/> von Utopia oder des Senats von Liliput zu verschleiern. Erst seit 1835<lb/> werden amtliche Berichte veröffentlicht, und noch später erst erhielten die Zei¬<lb/> tungen Straflosigkeit für wahrheitsgetreue Berichte zugesichert.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0170]
Das britische Parlament
zustellen, der die meisten Aussichten auf Erfolg bietet, Freiheiten erlaubt sie
ihm darum nicht. Hin und wieder erlaubt mau ihm, bei Fragen, die der
Partei als solcher gleichartig sind, nach seiner eignen Meinung zu stimmen.
In allem andern muß er einschwenken wie die Rekruten, oder er wird kalt
gestellt.
Ein Ausfluß der Mannszucht, die bei allen Parteien scharf ausgeübt
wird, ist die eigentümliche Einrichtung des Paarcns. Unter den 670 Ab¬
geordneten giebt es, wie auch in andern Parlamenten, immer eine Anzahl,
der persönliche Rücksichten ein Erscheinen in Westminster erschweren, und in
solchen Fällen wird zwischen den Einpeitschern ein Abkommen getroffen, wo¬
nach sich je ein Mitglied der Regierungspartei und eins der Gegenseite ver¬
pflichten, für eine bestimmte Zeit an keiner Abstimmung teilzunehmen. Da¬
durch wird den einzelnen Erleichterung gewährt, ohne daß sich der Zahlen¬
unterschied der Parteien verschiebt. So groß also ein Parlamentsmitglied sich
selbst und seinen Wählern erscheinen mag, im Hause bedeutet er nicht viel,
und bloß bei Abstimmungen ist seine Anwesenheit wirklich begehrt. Dann er¬
innert sich der Einpeitscher seiner und sendet ihm eine Aufforderung, die je
unes der Wichtigkeit des Gegenstands mehrfach unterstrichen ist. Bei den Ver¬
handlungen darf man sich deshalb nicht über die schwache Besetzung des Hauses
wundern. Manchmal sind aus den 670 Mitgliedern nicht einmal die für eine
Sitzung nötigen 40 anniesend, und dann kommt es wohl vor, daß sich die
Iren das Vergnügen machen, das Hans auszählen und die Sitzung vertagen
zu lassen. Es wäre jedoch falsch, aus dem schwachen Besuche voreilige Schlüsse
zu ziehn. Die wirkliche Arbeit wird nicht in den Gesamtsitzungcn geleistet,
sondern in den zahlreichen Ausschüssen, die den ganzen Vormittag füllen und
außerdem große Ansprüche an den Fleiß ihrer Mitglieder stellen. Ferner
haben auch Parlamentarier eigne Angelegenheiten zu besorgen und darunter
einen umfangreichen Briefwechsel. Ein Wähler würde schwer beleidigt sein,
bliebe ein Schreiben um seinen Vertreter unbeantwortet. Die öffentlichen
Sitzungen währen in der Regel an vier Tagen der Woche von drei Uhr
nachmittags bis ein Uhr nachts, am Mittwoch von zwölf bis sechs. Sonn¬
abend ist Feiertag. Eigentlich sollte man von öffentlichen Sitzungen nicht
sprechen; denn NichtMitglieder haben kein Recht, den Verhandlungen bei¬
zuwohnen, und wenn sie auch zuhören dürfen, amtlich nimmt man sie als'
nicht vorhanden an, bis ein ehrenwertes Mitglied den Sprecher darauf auf¬
merksam macht, daß Fremde im Hanse sind und dadurch ihre Entfernung be¬
wirkt. In frühern Zeiten wurden die Sitzungen streng geheim gehalten.
Nicht nur waren Fremde ausgeschlossen, es war sogar den Zeitungen unter¬
sagt, Berichte zu geben, sodciß sich die Presse genötigt sah, das, was von be¬
freundeten Mitgliedern zu erfahren war, als Erörterungen der Abgeordneten
von Utopia oder des Senats von Liliput zu verschleiern. Erst seit 1835
werden amtliche Berichte veröffentlicht, und noch später erst erhielten die Zei¬
tungen Straflosigkeit für wahrheitsgetreue Berichte zugesichert.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |