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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Thomas Bnbington Macaulay

leiten aller Art entdeckt. Diese Quelle seiner Kraft wird aber noch verstärkt
durch eine glückliche Fügung seines Schicksals: Macaulay hat nicht nur Ge¬
schichte geschrieben, er hat auch Geschichte gemacht. Gibbon sagt einmal, er
verdanke seinen Erfolg als Historiker zum Teil den Beobachtungen, die er als
Offizier im Bürgerheer (in der Miliz) und als Mitglied des Unterhauses
gemacht habe. Macaulay bemerkt dazu, daß Gibbon darin vollkommen Recht
habe; Hütte Gibbon die Zeit, die er auf der Parade oder im Parlament zu¬
brachte, auf der Bodleiana in Oxford gesessen, so hätte er wohl einige Un-
genauigkeiten vermieden, aber er hätte nie eine so lebendige Schilderung ent¬
werfen können von dem Hofe, dem Lager und dem Senatshause.

Diesen Vorteil genoß auch Macaulay. Er trat 1830 in das Parlament
ein, und er hatte gleich Gelegenheit, an dem bedeutendsten Gesetze mitzuarbeiten,
das während des neunzehnten Jahrhunderts das englische Parlament beschäf¬
tigte: an der Parlamentsreform. Zwar hat er die Beschreibung dieser Periode
nicht einbezogen in sein Geschichtswerk, er hatte nur die Absicht, es zu thun.
Er wollte die Ereignisse von 1688 bis 1832 behandeln, um, wie er sich im
Jahre 1838 in einem Briefe an Napier ausdrückte, "die Umwälzung, die die
Krone mit dem Parlament in Einklang brachte, zu beenden mit der Umwälzung,
die das Parlament mit dem Volke in Einklang brachte." Aber diese Thätig¬
keit im Parlament -- und das ist für seine Wirksamkeit als historischer
Schriftsteller wichtig -- hat ihn in den Stand gesetzt, "den verborgnen Mecha¬
nismus kennen zu lernen, durch den die Parteien zum Handeln bestimmt
werden," zu sehen, wie die öffentliche Meinung hindernd oder fördernd für
die Regierung ist, und zu beobachten, wie die Gunst oder Ungunst der Zeiten
das politische Schicksal der Parteien bestimmt.

Allerdings ist dieser Einfluß seiner Parlamentsthätigkeit auf sein Schaffen
als Historiker nicht immer vorteilhaft gewesen; nach einer Richtung hin ist eine
ungünstige Wirkung sicherlich festzustellen. Die Weitschweifigkeit und Breite,
unter der seine Darstellung fast immer da leidet, wo Verhandlungen des
Unterhauses berichtet werde", rührt nicht zum wenigsten daher, daß er sich in
seinem lebhaften Interesse für die Körperschaft, der er selbst angehörte, von der
Wichtigkeit der einzelnen Sitzungen eine übertriebne Vorstellung machte. Es
hat an manchen Stellen den Anschein, als ob er sich von der Schilderung der
Sitzungen des Parlaments gar nicht losreißen könne. Zuweilen hält er sogar
Zwischenrufe und persönliche Bemerkungen für wert, sorgfältig von der Nach¬
welt beachtet zu werden.

Und auch das kann man vielleicht als eine ungünstige Wirkung dieser
Lebensperiode ansehen, daß sich der Mann der politischen Debatte bei Macaulay
öfter hören läßt, als es die strenge historische Darstellung eigentlich erlaubt.
Von der Geschichte Jakobs II., die der berühmte Parlamentarier Fox ge¬
schrieben hat, sagt Macaulay, es scheine, als ob sich der Verfasser vorstelle,
einer Versammlung gegenüber zu stehn, und daß er vor ihr eine Verteidigung
der Stuarts zerpflücke, die eben von einem Tory vorgebracht sei. Diese Form


Thomas Bnbington Macaulay

leiten aller Art entdeckt. Diese Quelle seiner Kraft wird aber noch verstärkt
durch eine glückliche Fügung seines Schicksals: Macaulay hat nicht nur Ge¬
schichte geschrieben, er hat auch Geschichte gemacht. Gibbon sagt einmal, er
verdanke seinen Erfolg als Historiker zum Teil den Beobachtungen, die er als
Offizier im Bürgerheer (in der Miliz) und als Mitglied des Unterhauses
gemacht habe. Macaulay bemerkt dazu, daß Gibbon darin vollkommen Recht
habe; Hütte Gibbon die Zeit, die er auf der Parade oder im Parlament zu¬
brachte, auf der Bodleiana in Oxford gesessen, so hätte er wohl einige Un-
genauigkeiten vermieden, aber er hätte nie eine so lebendige Schilderung ent¬
werfen können von dem Hofe, dem Lager und dem Senatshause.

Diesen Vorteil genoß auch Macaulay. Er trat 1830 in das Parlament
ein, und er hatte gleich Gelegenheit, an dem bedeutendsten Gesetze mitzuarbeiten,
das während des neunzehnten Jahrhunderts das englische Parlament beschäf¬
tigte: an der Parlamentsreform. Zwar hat er die Beschreibung dieser Periode
nicht einbezogen in sein Geschichtswerk, er hatte nur die Absicht, es zu thun.
Er wollte die Ereignisse von 1688 bis 1832 behandeln, um, wie er sich im
Jahre 1838 in einem Briefe an Napier ausdrückte, „die Umwälzung, die die
Krone mit dem Parlament in Einklang brachte, zu beenden mit der Umwälzung,
die das Parlament mit dem Volke in Einklang brachte." Aber diese Thätig¬
keit im Parlament — und das ist für seine Wirksamkeit als historischer
Schriftsteller wichtig — hat ihn in den Stand gesetzt, „den verborgnen Mecha¬
nismus kennen zu lernen, durch den die Parteien zum Handeln bestimmt
werden," zu sehen, wie die öffentliche Meinung hindernd oder fördernd für
die Regierung ist, und zu beobachten, wie die Gunst oder Ungunst der Zeiten
das politische Schicksal der Parteien bestimmt.

Allerdings ist dieser Einfluß seiner Parlamentsthätigkeit auf sein Schaffen
als Historiker nicht immer vorteilhaft gewesen; nach einer Richtung hin ist eine
ungünstige Wirkung sicherlich festzustellen. Die Weitschweifigkeit und Breite,
unter der seine Darstellung fast immer da leidet, wo Verhandlungen des
Unterhauses berichtet werde», rührt nicht zum wenigsten daher, daß er sich in
seinem lebhaften Interesse für die Körperschaft, der er selbst angehörte, von der
Wichtigkeit der einzelnen Sitzungen eine übertriebne Vorstellung machte. Es
hat an manchen Stellen den Anschein, als ob er sich von der Schilderung der
Sitzungen des Parlaments gar nicht losreißen könne. Zuweilen hält er sogar
Zwischenrufe und persönliche Bemerkungen für wert, sorgfältig von der Nach¬
welt beachtet zu werden.

Und auch das kann man vielleicht als eine ungünstige Wirkung dieser
Lebensperiode ansehen, daß sich der Mann der politischen Debatte bei Macaulay
öfter hören läßt, als es die strenge historische Darstellung eigentlich erlaubt.
Von der Geschichte Jakobs II., die der berühmte Parlamentarier Fox ge¬
schrieben hat, sagt Macaulay, es scheine, als ob sich der Verfasser vorstelle,
einer Versammlung gegenüber zu stehn, und daß er vor ihr eine Verteidigung
der Stuarts zerpflücke, die eben von einem Tory vorgebracht sei. Diese Form


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/90>, abgerufen am 01.07.2024.