Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Poesie und Politik

Perlen echter Lyrik beschenkt als Uhland -- und wie tief und innig ergreifen
uns seine politischen Gedichte in der Mahnung zum 18, Oktober, im Kampf
"ums alte gute Recht," in der Rundfahrt durchs deutsche Vaterland! Und
wie sehr hat man Geibels erfindungsreiche Lyrik betont, ja sogar als ästhe¬
tischen Überschwang bekrittelt -- desselben Geibels, der in seinen Gedichten
für Schleswig-Holstein, in seinen Ramler auf den Niedergang der Volks¬
erhebung von 1848, in seinen Weissagungen auf das neue Kaiserreich und
in seinem gewaltigen Triumphlied ans die Schlacht von Sedan wahre Kern-
und Prachtstücke deutscher politischer Lyrik geschaffen hat! --- Das gute Recht
und die weltgeschichtliche Bedeutung des politischen Liedes hat ein berufner
Dichter, der für den Mißbrauch der Tendcnzlyrik die schärfste Rüge nicht
zurückhält, Anastasius Grün in folgenden markigen Strophen zusammen¬
gefaßt:

Politisch Lied, du Donner, der Felscnherzen spaltet,
Du heilge Oriflamme, zum Siegeszug entfaltet,
Du Feuersäule, dem Volke aus Kncchtschaftswüsten bellend,
Du Jerichoposaune, der Zwingherrn Bollwerk all zerschellend!
sieghafter Sparterfeldherr, der Freiheit Türmer du,
Du Todeslawine Murtens, Bastillenstürmer du,
Zornwolke, deren Blitze der Korse zucken sah,
Du Sterberöcheln der armen gemordeten Polonia!
Du Heilger Gral, Goldschale mit des Erlösers Blut,
Wenn sie zur rechten Stunde in rechten Händen ruht,
Schiffbrücke du den Deutschen zur Rache über den Rhein,
Du griechisch Feuer der Klcphthen, du Heller Julisonnenschein!
Du schwebst wie Fahne und Adler den Heeren rauschend vor:
Veit Weber und Tyrtäos, Rouget und Arndt im Chor!
Das pi!. iia! die Klänge aus Berangers Verließ!
"Noch ist Polen nicht verloren!" -- "Der Gott, der Eisen wachsen ließ!"

Die von dem Dichter mit so überwältigenden Zeugnissen belegte und be¬
hauptete Berechtigung der politischen Poesie wurde denn auch von der Ge¬
lehrtenwelt nicht auf die Dauer verkannt. Eindrucksvoll war in dieser Rich¬
tung ein Wort Jakob Grimms in seiner Schrift über seine Entlassung aus
der Professur in Göttingen (1838). Der berühmte Germanist sagt: "Die Ge¬
schichte zeigt uns edle und freie Mnuuer, welche es wagten, vor dem Angesicht
der Könige die volle Wahrheit zu sagen: das Befugtsein gehört denen, die
den Mut dazu haben. Oft hat ihr Bekenntnis gefruchtet, zuweilen hat es sie
verderbt, nicht ihren Namen, Auch die Poesie, der Geschichte Widerschein,
unterläßt es nicht, Handlungen der Fürsten nach der Gerechtigkeit zu wägen.
Solche Beispiele lösen dem Unterthanen seine Zunge da, wo die Not drängt,
und trösten über jeden Ausgang."

Vindiziert Grimm der politischen Poesie ihr allgemeines Recht gegenüber


Poesie und Politik

Perlen echter Lyrik beschenkt als Uhland — und wie tief und innig ergreifen
uns seine politischen Gedichte in der Mahnung zum 18, Oktober, im Kampf
„ums alte gute Recht," in der Rundfahrt durchs deutsche Vaterland! Und
wie sehr hat man Geibels erfindungsreiche Lyrik betont, ja sogar als ästhe¬
tischen Überschwang bekrittelt — desselben Geibels, der in seinen Gedichten
für Schleswig-Holstein, in seinen Ramler auf den Niedergang der Volks¬
erhebung von 1848, in seinen Weissagungen auf das neue Kaiserreich und
in seinem gewaltigen Triumphlied ans die Schlacht von Sedan wahre Kern-
und Prachtstücke deutscher politischer Lyrik geschaffen hat! --- Das gute Recht
und die weltgeschichtliche Bedeutung des politischen Liedes hat ein berufner
Dichter, der für den Mißbrauch der Tendcnzlyrik die schärfste Rüge nicht
zurückhält, Anastasius Grün in folgenden markigen Strophen zusammen¬
gefaßt:

Politisch Lied, du Donner, der Felscnherzen spaltet,
Du heilge Oriflamme, zum Siegeszug entfaltet,
Du Feuersäule, dem Volke aus Kncchtschaftswüsten bellend,
Du Jerichoposaune, der Zwingherrn Bollwerk all zerschellend!
sieghafter Sparterfeldherr, der Freiheit Türmer du,
Du Todeslawine Murtens, Bastillenstürmer du,
Zornwolke, deren Blitze der Korse zucken sah,
Du Sterberöcheln der armen gemordeten Polonia!
Du Heilger Gral, Goldschale mit des Erlösers Blut,
Wenn sie zur rechten Stunde in rechten Händen ruht,
Schiffbrücke du den Deutschen zur Rache über den Rhein,
Du griechisch Feuer der Klcphthen, du Heller Julisonnenschein!
Du schwebst wie Fahne und Adler den Heeren rauschend vor:
Veit Weber und Tyrtäos, Rouget und Arndt im Chor!
Das pi!. iia! die Klänge aus Berangers Verließ!
„Noch ist Polen nicht verloren!" — „Der Gott, der Eisen wachsen ließ!"

Die von dem Dichter mit so überwältigenden Zeugnissen belegte und be¬
hauptete Berechtigung der politischen Poesie wurde denn auch von der Ge¬
lehrtenwelt nicht auf die Dauer verkannt. Eindrucksvoll war in dieser Rich¬
tung ein Wort Jakob Grimms in seiner Schrift über seine Entlassung aus
der Professur in Göttingen (1838). Der berühmte Germanist sagt: „Die Ge¬
schichte zeigt uns edle und freie Mnuuer, welche es wagten, vor dem Angesicht
der Könige die volle Wahrheit zu sagen: das Befugtsein gehört denen, die
den Mut dazu haben. Oft hat ihr Bekenntnis gefruchtet, zuweilen hat es sie
verderbt, nicht ihren Namen, Auch die Poesie, der Geschichte Widerschein,
unterläßt es nicht, Handlungen der Fürsten nach der Gerechtigkeit zu wägen.
Solche Beispiele lösen dem Unterthanen seine Zunge da, wo die Not drängt,
und trösten über jeden Ausgang."

Vindiziert Grimm der politischen Poesie ihr allgemeines Recht gegenüber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0083" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234613"/>
          <fw type="header" place="top"> Poesie und Politik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_213" prev="#ID_212"> Perlen echter Lyrik beschenkt als Uhland &#x2014; und wie tief und innig ergreifen<lb/>
uns seine politischen Gedichte in der Mahnung zum 18, Oktober, im Kampf<lb/>
&#x201E;ums alte gute Recht," in der Rundfahrt durchs deutsche Vaterland! Und<lb/>
wie sehr hat man Geibels erfindungsreiche Lyrik betont, ja sogar als ästhe¬<lb/>
tischen Überschwang bekrittelt &#x2014; desselben Geibels, der in seinen Gedichten<lb/>
für Schleswig-Holstein, in seinen Ramler auf den Niedergang der Volks¬<lb/>
erhebung von 1848, in seinen Weissagungen auf das neue Kaiserreich und<lb/>
in seinem gewaltigen Triumphlied ans die Schlacht von Sedan wahre Kern-<lb/>
und Prachtstücke deutscher politischer Lyrik geschaffen hat! --- Das gute Recht<lb/>
und die weltgeschichtliche Bedeutung des politischen Liedes hat ein berufner<lb/>
Dichter, der für den Mißbrauch der Tendcnzlyrik die schärfste Rüge nicht<lb/>
zurückhält, Anastasius Grün in folgenden markigen Strophen zusammen¬<lb/>
gefaßt:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_17" type="poem">
            <l> Politisch Lied, du Donner, der Felscnherzen spaltet,<lb/>
Du heilge Oriflamme, zum Siegeszug entfaltet,<lb/>
Du Feuersäule, dem Volke aus Kncchtschaftswüsten bellend,<lb/>
Du Jerichoposaune, der Zwingherrn Bollwerk all zerschellend!</l>
            <l> sieghafter Sparterfeldherr, der Freiheit Türmer du,<lb/>
Du Todeslawine Murtens, Bastillenstürmer du,<lb/>
Zornwolke, deren Blitze der Korse zucken sah,<lb/>
Du Sterberöcheln der armen gemordeten Polonia!</l>
            <l> Du Heilger Gral, Goldschale mit des Erlösers Blut,<lb/>
Wenn sie zur rechten Stunde in rechten Händen ruht,<lb/>
Schiffbrücke du den Deutschen zur Rache über den Rhein,<lb/>
Du griechisch Feuer der Klcphthen, du Heller Julisonnenschein!</l>
            <l> Du schwebst wie Fahne und Adler den Heeren rauschend vor:<lb/>
Veit Weber und Tyrtäos, Rouget und Arndt im Chor!<lb/>
Das pi!. iia! die Klänge aus Berangers Verließ!<lb/>
&#x201E;Noch ist Polen nicht verloren!" &#x2014; &#x201E;Der Gott, der Eisen wachsen ließ!"</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_214"> Die von dem Dichter mit so überwältigenden Zeugnissen belegte und be¬<lb/>
hauptete Berechtigung der politischen Poesie wurde denn auch von der Ge¬<lb/>
lehrtenwelt nicht auf die Dauer verkannt. Eindrucksvoll war in dieser Rich¬<lb/>
tung ein Wort Jakob Grimms in seiner Schrift über seine Entlassung aus<lb/>
der Professur in Göttingen (1838). Der berühmte Germanist sagt: &#x201E;Die Ge¬<lb/>
schichte zeigt uns edle und freie Mnuuer, welche es wagten, vor dem Angesicht<lb/>
der Könige die volle Wahrheit zu sagen: das Befugtsein gehört denen, die<lb/>
den Mut dazu haben. Oft hat ihr Bekenntnis gefruchtet, zuweilen hat es sie<lb/>
verderbt, nicht ihren Namen, Auch die Poesie, der Geschichte Widerschein,<lb/>
unterläßt es nicht, Handlungen der Fürsten nach der Gerechtigkeit zu wägen.<lb/>
Solche Beispiele lösen dem Unterthanen seine Zunge da, wo die Not drängt,<lb/>
und trösten über jeden Ausgang."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_215" next="#ID_216"> Vindiziert Grimm der politischen Poesie ihr allgemeines Recht gegenüber</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0083] Poesie und Politik Perlen echter Lyrik beschenkt als Uhland — und wie tief und innig ergreifen uns seine politischen Gedichte in der Mahnung zum 18, Oktober, im Kampf „ums alte gute Recht," in der Rundfahrt durchs deutsche Vaterland! Und wie sehr hat man Geibels erfindungsreiche Lyrik betont, ja sogar als ästhe¬ tischen Überschwang bekrittelt — desselben Geibels, der in seinen Gedichten für Schleswig-Holstein, in seinen Ramler auf den Niedergang der Volks¬ erhebung von 1848, in seinen Weissagungen auf das neue Kaiserreich und in seinem gewaltigen Triumphlied ans die Schlacht von Sedan wahre Kern- und Prachtstücke deutscher politischer Lyrik geschaffen hat! --- Das gute Recht und die weltgeschichtliche Bedeutung des politischen Liedes hat ein berufner Dichter, der für den Mißbrauch der Tendcnzlyrik die schärfste Rüge nicht zurückhält, Anastasius Grün in folgenden markigen Strophen zusammen¬ gefaßt: Politisch Lied, du Donner, der Felscnherzen spaltet, Du heilge Oriflamme, zum Siegeszug entfaltet, Du Feuersäule, dem Volke aus Kncchtschaftswüsten bellend, Du Jerichoposaune, der Zwingherrn Bollwerk all zerschellend! sieghafter Sparterfeldherr, der Freiheit Türmer du, Du Todeslawine Murtens, Bastillenstürmer du, Zornwolke, deren Blitze der Korse zucken sah, Du Sterberöcheln der armen gemordeten Polonia! Du Heilger Gral, Goldschale mit des Erlösers Blut, Wenn sie zur rechten Stunde in rechten Händen ruht, Schiffbrücke du den Deutschen zur Rache über den Rhein, Du griechisch Feuer der Klcphthen, du Heller Julisonnenschein! Du schwebst wie Fahne und Adler den Heeren rauschend vor: Veit Weber und Tyrtäos, Rouget und Arndt im Chor! Das pi!. iia! die Klänge aus Berangers Verließ! „Noch ist Polen nicht verloren!" — „Der Gott, der Eisen wachsen ließ!" Die von dem Dichter mit so überwältigenden Zeugnissen belegte und be¬ hauptete Berechtigung der politischen Poesie wurde denn auch von der Ge¬ lehrtenwelt nicht auf die Dauer verkannt. Eindrucksvoll war in dieser Rich¬ tung ein Wort Jakob Grimms in seiner Schrift über seine Entlassung aus der Professur in Göttingen (1838). Der berühmte Germanist sagt: „Die Ge¬ schichte zeigt uns edle und freie Mnuuer, welche es wagten, vor dem Angesicht der Könige die volle Wahrheit zu sagen: das Befugtsein gehört denen, die den Mut dazu haben. Oft hat ihr Bekenntnis gefruchtet, zuweilen hat es sie verderbt, nicht ihren Namen, Auch die Poesie, der Geschichte Widerschein, unterläßt es nicht, Handlungen der Fürsten nach der Gerechtigkeit zu wägen. Solche Beispiele lösen dem Unterthanen seine Zunge da, wo die Not drängt, und trösten über jeden Ausgang." Vindiziert Grimm der politischen Poesie ihr allgemeines Recht gegenüber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/83
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/83>, abgerufen am 02.07.2024.