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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Aus der Werkstatt der Schulreform

richtuug der Vorkurse den Universitäten große Schwierigkeiten verursachen werde,
begegnete Wilamowitz mit der Erklärung, die Universitäten wurden in der
Überzeugung, daß mich sie Erziehungsanstalten seien, das Mehr an Arbeit,
das ihnen ans der ungleichen Vorbildung der studierenden Jugend entstehe,
bereitwillig tragen. Großen Eindruck machte die Mitteilung Oskar Jägers,
daß die Versammlung des Gymnasialvereins, die am Tage vorher in Braun-
schweig getagt hatte, und zu der sich ans allen Teilen Deutschlands etwa
zweihundert Gymnasiallehrer eingefunden hatte", ihre Stellung zu der Be¬
rechtigungsfrage in folgender Resolution zum Ausdruck gebracht habe: "Das
Gymnasium hat nicht das Recht, sondern die Pflicht, für akademische Studie"
die allgemeine Vorbildung zu geben, und ist mit Rücksicht auf diesen Zielpunkt
organisiert; sollte der Oberrealschule und dem Realgymnasium diese Aufgabe
bei ihrer jetzige"? Orgauisntiou gleichfalls übertragen werden, so ist vom Stand¬
punkte des Gymnasialvereins gegen die Einräumung der entsprechenden Rechte
kein Einspruch zu erhebe"?." Als man zur Abstimmung schritt, wurde mit
allen Stimmen gegen drei ein von Harnack gestellter Antrag angenommen, der
sich in den Hauptpunkten mit dem Antrag des Kultusministeriums deckte.

Durch diesen Beschluß hatte man der Bejahung der zweiten Hauptfrage,
ob sich für alle höhern Lehranstalten ein gemeinsamer lateinloser Unterban
empfehle, den Grund entzogen, den die Anhänger des sogenannten Reform-
gymnasinms mit besondern? Nachdruck cmzuführe" pflegten, nämlich die Er¬
wägung, daß die vielfach schwer empfnndne Kollision zwischen den Bildungs¬
bedürfnissen des praktischen Lebens und den? Lateinzwang des Gymuasial-
monopols durch einen lateinlosen Unterbau erträglicher gemacht und zum Teil
beseitigt werde. Gymnasialdirektor Reinhardt, der Leiter des Frankfurter
Goethegymnasiums, gab "numwunde" zu, daß diese schulpolitische Seite der
Frage durch die von der Konferenz befürwortete Umgestaltung des Berechti¬
gungswesens ii? ein andres Licht gerückt sei und aus der Begründung aus¬
scheide; nach wie vor aber spräche?? die pädagogischen Vorzüge des latcinlosen
Unterbaues für die Fortführung des in Frankfurt gemachte?? Versuchs; der
Gedanke einer Verallgemeinerung liege auch dessen Freunden gänzlich fern,
aber um der Freiheit willen, die man dei? verschiednen Schularten bewilligt
habe, solle man eine Anstalt, deren Lehrerkollegium sich in voller Überzeugung
dem Versuch unterziehe, nicht in der Arbeit störe??. Obwohl den? gegenüber
von andrer Seite die Bedenken und Schwächen des Neformplans hervor¬
gehoben wurden, nahm? man doch zuletzt einen Antrag an, der einerseits zwar
die allgemeine Einrichtung eines gemeinsamen Unterbaues als "zur Zeit uicht
ratsam" ablehnte, andrerseits aber sich dahin aussprnch, daß um? einer zweck¬
entsprechenden Weiterführung des in Frankfurt und um andern Orten gemachte"
Versuchs "icht entgegentrete??, sondern dessen allmähliche Erweiterung fördern
solle. Es verdient erwähnt zu werden, daß der letzte, den Reformplan billigende
Zusatz von den? Generalinspektor des MiMirerziehungs- und Bildungswesens
beantragt worden war, und daß ferner der Vertreter des Fiuanzmiuisteriums


Aus der Werkstatt der Schulreform

richtuug der Vorkurse den Universitäten große Schwierigkeiten verursachen werde,
begegnete Wilamowitz mit der Erklärung, die Universitäten wurden in der
Überzeugung, daß mich sie Erziehungsanstalten seien, das Mehr an Arbeit,
das ihnen ans der ungleichen Vorbildung der studierenden Jugend entstehe,
bereitwillig tragen. Großen Eindruck machte die Mitteilung Oskar Jägers,
daß die Versammlung des Gymnasialvereins, die am Tage vorher in Braun-
schweig getagt hatte, und zu der sich ans allen Teilen Deutschlands etwa
zweihundert Gymnasiallehrer eingefunden hatte», ihre Stellung zu der Be¬
rechtigungsfrage in folgender Resolution zum Ausdruck gebracht habe: „Das
Gymnasium hat nicht das Recht, sondern die Pflicht, für akademische Studie»
die allgemeine Vorbildung zu geben, und ist mit Rücksicht auf diesen Zielpunkt
organisiert; sollte der Oberrealschule und dem Realgymnasium diese Aufgabe
bei ihrer jetzige»? Orgauisntiou gleichfalls übertragen werden, so ist vom Stand¬
punkte des Gymnasialvereins gegen die Einräumung der entsprechenden Rechte
kein Einspruch zu erhebe»?." Als man zur Abstimmung schritt, wurde mit
allen Stimmen gegen drei ein von Harnack gestellter Antrag angenommen, der
sich in den Hauptpunkten mit dem Antrag des Kultusministeriums deckte.

Durch diesen Beschluß hatte man der Bejahung der zweiten Hauptfrage,
ob sich für alle höhern Lehranstalten ein gemeinsamer lateinloser Unterban
empfehle, den Grund entzogen, den die Anhänger des sogenannten Reform-
gymnasinms mit besondern? Nachdruck cmzuführe» pflegten, nämlich die Er¬
wägung, daß die vielfach schwer empfnndne Kollision zwischen den Bildungs¬
bedürfnissen des praktischen Lebens und den? Lateinzwang des Gymuasial-
monopols durch einen lateinlosen Unterbau erträglicher gemacht und zum Teil
beseitigt werde. Gymnasialdirektor Reinhardt, der Leiter des Frankfurter
Goethegymnasiums, gab »numwunde» zu, daß diese schulpolitische Seite der
Frage durch die von der Konferenz befürwortete Umgestaltung des Berechti¬
gungswesens ii? ein andres Licht gerückt sei und aus der Begründung aus¬
scheide; nach wie vor aber spräche?? die pädagogischen Vorzüge des latcinlosen
Unterbaues für die Fortführung des in Frankfurt gemachte?? Versuchs; der
Gedanke einer Verallgemeinerung liege auch dessen Freunden gänzlich fern,
aber um der Freiheit willen, die man dei? verschiednen Schularten bewilligt
habe, solle man eine Anstalt, deren Lehrerkollegium sich in voller Überzeugung
dem Versuch unterziehe, nicht in der Arbeit störe??. Obwohl den? gegenüber
von andrer Seite die Bedenken und Schwächen des Neformplans hervor¬
gehoben wurden, nahm? man doch zuletzt einen Antrag an, der einerseits zwar
die allgemeine Einrichtung eines gemeinsamen Unterbaues als „zur Zeit uicht
ratsam" ablehnte, andrerseits aber sich dahin aussprnch, daß um? einer zweck¬
entsprechenden Weiterführung des in Frankfurt und um andern Orten gemachte»
Versuchs »icht entgegentrete??, sondern dessen allmähliche Erweiterung fördern
solle. Es verdient erwähnt zu werden, daß der letzte, den Reformplan billigende
Zusatz von den? Generalinspektor des MiMirerziehungs- und Bildungswesens
beantragt worden war, und daß ferner der Vertreter des Fiuanzmiuisteriums


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/616>, abgerufen am 26.06.2024.