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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gebracht. Wohl mit Recht folgert daraus die Vossische Zeitung, daß diese Äuße¬
rung aus Friedrichsruh, vom Fürsten Herbert Bismarck stamme, und die ganz be¬
sondre Scharfe, mit der sich der Verfasser gegen einige Nachrichten der Tagebuch¬
blätter von Moritz Busch über die Londoner Sendung Graf Herberts 1885 wendet,
von der sonst niemand etwas näheres wissen kann, bestätigen diese naheliegende
Vermutung. Wir konstatieren mit um so größeren Vergnügen, daß der Artikel
außer dieser "Berichtigung" gegen den unsrigen sachlich nichts, anch gar nichts
vorzubringen weiß, daß er vielmehr seine Ausführungen über die fortdauernden
Bemühungen des großen Kanzlers, mit England in gutem Einvernehmen zu bleiben,
lediglich bestätigt, ganz natürlich, denn unsre Quelle" waren die Äußerungen Bis-
marcks selbst. Entschiedne Verwahrung aber müssen wir dagegen jetzt wie früher
einlegen, daß die Grenzboten, wie die Hamburger Nachrichten mehrmals andeuten,
"offiziös" seien und also "in blindem Eifer" vorgingen und "grobe Geschichts-
fälschnngen" wagten. Inwieweit diese beiden Eigentümlichkeiten mit dem Offiziosentum
verbunden siud, wissen die Hamburger Nachrichten jedenfalls am besten. Und wie
sonderbar nimmt sich der Vorwurf im Munde der modernsten geschwornen An¬
hänger Bismnrcks aus, der doch wahrhaftig die offiziöse Presse zu handhaben
wußte wie kein zweiter! Nun, die Grenzboten sind weder offiziös, noch halten
sie jeden Ofsizivsus von vornherein für einen Schwachkopf, Geschichtsfälscher, blinden
Eiferer u. tgi. mehr; sie sind vielmehr der Ansicht, daß die Regierung das Recht
und die Pflicht, ihren Standpunkt in der Presse zu vertreten, mindestens ebenso
gut habe, wie Parteihäuptlinge oder Staatsmänner a. D., und sie rechnen es sich
zur Ehre an, die Regierung gegen deren Angriffe zu unterstützen und zu ver¬
treten, wo sie es nach ihrer Kenntnis der Dinge für notwendig und gerechtfertigt
halten, freiwillig, unabhängig, freimütig. Ihr selbständiges Urteil lassen sie sich
durch niemand beschränken, und sie meinen, daß Fürst Herbert Bismarck zwar über
die Vergangenheit mannigfach besser unterrichtet sein mag als andre, weil er der
Gehilfe seines großen Vaters war, daß er aber über die gegenwärtige Politik
nicht wesentlich mehr weiß als jeder andre, dem die Akten verschlossen sind. Auch
glauben sie nicht, daß ihre Mitarbeiter unter die "ahnungslosen Schreiber" zählen,
"die nicht das erste Wort von der Schwierigkeit einer guten auswärtigen Politik
verstehn," unter "die Leutchen, die so thun, als handle es sich bei den kompliziertesten
Sachlagen immer nur um zwei Möglichkeiten, "hie englisch, hie russisch," während
die Kunst, die Fürst Bismarck so erfolgreich während achtundzwanzig Jahren und
durch drei schwere Kriege geübt hat, darin bestand, sich bei Festhnltung mehrerer
Trümpfe nicht in die Karten sehen zu lassen." Gerade die Grenzboten haben sich
immer bestrebt, gegenüber dem oft so urteilslvsen Gerede der Tagesblätter die
Schwierigkeiten unsrer Lage und also unsrer auswärtigen Politik zu verstehn und
andern begreiflich zu machen; sie haben immer vor leichtfertigen Aburteilen gewarnt,
von welcher Seite es auch tum, und sie haben niemals das aut-a-ut Englisch oder
Russisch anerkannt, sondern immer betont, daß die deutsche Politik weder englisch
noch russisch sein dürfe, noch irgend etwas andres als deutsch, und sie finden, daß sie
das gegenwärtig gerade so gut ist wie früher; sie wissen darum anch nicht, womit
die Hamburger Nachrichten ihren Schlußsatz rechtfertigen wollen, daß unsre aus¬
wärtige Politik jetzt nicht mehr das Vertrauen aller großen Kabinette wie früher
genieße. Übrigens hat sich die deutsche Politik auch früher bald hier bald dort
des allergrößten Mißtrauens erfreut, und es wäre kein Wunder und auch kein
Vorwurf für sie, wenn das jetzt wieder hier und da der Fall sein sollte, nämlich dort,
wo man uns die energische Wahrnehmung unsrer neuen Interessen verdenke und uus
uicht verzeihen kann, daß wir uns die Freiheit nehmen, als Großmacht und als
Weltmacht zu existieren. Daran wird auch der genialste Staatsmann nichts ändern.

So fällt der ganze Artikel, soweit er auf die Grenzboten gemünzt ist, haltlos
in sich zusammen. Nicht stichhält iger ist das, was er über den Charakter der Tage-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

gebracht. Wohl mit Recht folgert daraus die Vossische Zeitung, daß diese Äuße¬
rung aus Friedrichsruh, vom Fürsten Herbert Bismarck stamme, und die ganz be¬
sondre Scharfe, mit der sich der Verfasser gegen einige Nachrichten der Tagebuch¬
blätter von Moritz Busch über die Londoner Sendung Graf Herberts 1885 wendet,
von der sonst niemand etwas näheres wissen kann, bestätigen diese naheliegende
Vermutung. Wir konstatieren mit um so größeren Vergnügen, daß der Artikel
außer dieser „Berichtigung" gegen den unsrigen sachlich nichts, anch gar nichts
vorzubringen weiß, daß er vielmehr seine Ausführungen über die fortdauernden
Bemühungen des großen Kanzlers, mit England in gutem Einvernehmen zu bleiben,
lediglich bestätigt, ganz natürlich, denn unsre Quelle« waren die Äußerungen Bis-
marcks selbst. Entschiedne Verwahrung aber müssen wir dagegen jetzt wie früher
einlegen, daß die Grenzboten, wie die Hamburger Nachrichten mehrmals andeuten,
„offiziös" seien und also „in blindem Eifer" vorgingen und „grobe Geschichts-
fälschnngen" wagten. Inwieweit diese beiden Eigentümlichkeiten mit dem Offiziosentum
verbunden siud, wissen die Hamburger Nachrichten jedenfalls am besten. Und wie
sonderbar nimmt sich der Vorwurf im Munde der modernsten geschwornen An¬
hänger Bismnrcks aus, der doch wahrhaftig die offiziöse Presse zu handhaben
wußte wie kein zweiter! Nun, die Grenzboten sind weder offiziös, noch halten
sie jeden Ofsizivsus von vornherein für einen Schwachkopf, Geschichtsfälscher, blinden
Eiferer u. tgi. mehr; sie sind vielmehr der Ansicht, daß die Regierung das Recht
und die Pflicht, ihren Standpunkt in der Presse zu vertreten, mindestens ebenso
gut habe, wie Parteihäuptlinge oder Staatsmänner a. D., und sie rechnen es sich
zur Ehre an, die Regierung gegen deren Angriffe zu unterstützen und zu ver¬
treten, wo sie es nach ihrer Kenntnis der Dinge für notwendig und gerechtfertigt
halten, freiwillig, unabhängig, freimütig. Ihr selbständiges Urteil lassen sie sich
durch niemand beschränken, und sie meinen, daß Fürst Herbert Bismarck zwar über
die Vergangenheit mannigfach besser unterrichtet sein mag als andre, weil er der
Gehilfe seines großen Vaters war, daß er aber über die gegenwärtige Politik
nicht wesentlich mehr weiß als jeder andre, dem die Akten verschlossen sind. Auch
glauben sie nicht, daß ihre Mitarbeiter unter die „ahnungslosen Schreiber" zählen,
„die nicht das erste Wort von der Schwierigkeit einer guten auswärtigen Politik
verstehn," unter „die Leutchen, die so thun, als handle es sich bei den kompliziertesten
Sachlagen immer nur um zwei Möglichkeiten, »hie englisch, hie russisch,« während
die Kunst, die Fürst Bismarck so erfolgreich während achtundzwanzig Jahren und
durch drei schwere Kriege geübt hat, darin bestand, sich bei Festhnltung mehrerer
Trümpfe nicht in die Karten sehen zu lassen." Gerade die Grenzboten haben sich
immer bestrebt, gegenüber dem oft so urteilslvsen Gerede der Tagesblätter die
Schwierigkeiten unsrer Lage und also unsrer auswärtigen Politik zu verstehn und
andern begreiflich zu machen; sie haben immer vor leichtfertigen Aburteilen gewarnt,
von welcher Seite es auch tum, und sie haben niemals das aut-a-ut Englisch oder
Russisch anerkannt, sondern immer betont, daß die deutsche Politik weder englisch
noch russisch sein dürfe, noch irgend etwas andres als deutsch, und sie finden, daß sie
das gegenwärtig gerade so gut ist wie früher; sie wissen darum anch nicht, womit
die Hamburger Nachrichten ihren Schlußsatz rechtfertigen wollen, daß unsre aus¬
wärtige Politik jetzt nicht mehr das Vertrauen aller großen Kabinette wie früher
genieße. Übrigens hat sich die deutsche Politik auch früher bald hier bald dort
des allergrößten Mißtrauens erfreut, und es wäre kein Wunder und auch kein
Vorwurf für sie, wenn das jetzt wieder hier und da der Fall sein sollte, nämlich dort,
wo man uns die energische Wahrnehmung unsrer neuen Interessen verdenke und uus
uicht verzeihen kann, daß wir uns die Freiheit nehmen, als Großmacht und als
Weltmacht zu existieren. Daran wird auch der genialste Staatsmann nichts ändern.

So fällt der ganze Artikel, soweit er auf die Grenzboten gemünzt ist, haltlos
in sich zusammen. Nicht stichhält iger ist das, was er über den Charakter der Tage-


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[0530] Maßgebliches und Unmaßgebliches gebracht. Wohl mit Recht folgert daraus die Vossische Zeitung, daß diese Äuße¬ rung aus Friedrichsruh, vom Fürsten Herbert Bismarck stamme, und die ganz be¬ sondre Scharfe, mit der sich der Verfasser gegen einige Nachrichten der Tagebuch¬ blätter von Moritz Busch über die Londoner Sendung Graf Herberts 1885 wendet, von der sonst niemand etwas näheres wissen kann, bestätigen diese naheliegende Vermutung. Wir konstatieren mit um so größeren Vergnügen, daß der Artikel außer dieser „Berichtigung" gegen den unsrigen sachlich nichts, anch gar nichts vorzubringen weiß, daß er vielmehr seine Ausführungen über die fortdauernden Bemühungen des großen Kanzlers, mit England in gutem Einvernehmen zu bleiben, lediglich bestätigt, ganz natürlich, denn unsre Quelle« waren die Äußerungen Bis- marcks selbst. Entschiedne Verwahrung aber müssen wir dagegen jetzt wie früher einlegen, daß die Grenzboten, wie die Hamburger Nachrichten mehrmals andeuten, „offiziös" seien und also „in blindem Eifer" vorgingen und „grobe Geschichts- fälschnngen" wagten. Inwieweit diese beiden Eigentümlichkeiten mit dem Offiziosentum verbunden siud, wissen die Hamburger Nachrichten jedenfalls am besten. Und wie sonderbar nimmt sich der Vorwurf im Munde der modernsten geschwornen An¬ hänger Bismnrcks aus, der doch wahrhaftig die offiziöse Presse zu handhaben wußte wie kein zweiter! Nun, die Grenzboten sind weder offiziös, noch halten sie jeden Ofsizivsus von vornherein für einen Schwachkopf, Geschichtsfälscher, blinden Eiferer u. tgi. mehr; sie sind vielmehr der Ansicht, daß die Regierung das Recht und die Pflicht, ihren Standpunkt in der Presse zu vertreten, mindestens ebenso gut habe, wie Parteihäuptlinge oder Staatsmänner a. D., und sie rechnen es sich zur Ehre an, die Regierung gegen deren Angriffe zu unterstützen und zu ver¬ treten, wo sie es nach ihrer Kenntnis der Dinge für notwendig und gerechtfertigt halten, freiwillig, unabhängig, freimütig. Ihr selbständiges Urteil lassen sie sich durch niemand beschränken, und sie meinen, daß Fürst Herbert Bismarck zwar über die Vergangenheit mannigfach besser unterrichtet sein mag als andre, weil er der Gehilfe seines großen Vaters war, daß er aber über die gegenwärtige Politik nicht wesentlich mehr weiß als jeder andre, dem die Akten verschlossen sind. Auch glauben sie nicht, daß ihre Mitarbeiter unter die „ahnungslosen Schreiber" zählen, „die nicht das erste Wort von der Schwierigkeit einer guten auswärtigen Politik verstehn," unter „die Leutchen, die so thun, als handle es sich bei den kompliziertesten Sachlagen immer nur um zwei Möglichkeiten, »hie englisch, hie russisch,« während die Kunst, die Fürst Bismarck so erfolgreich während achtundzwanzig Jahren und durch drei schwere Kriege geübt hat, darin bestand, sich bei Festhnltung mehrerer Trümpfe nicht in die Karten sehen zu lassen." Gerade die Grenzboten haben sich immer bestrebt, gegenüber dem oft so urteilslvsen Gerede der Tagesblätter die Schwierigkeiten unsrer Lage und also unsrer auswärtigen Politik zu verstehn und andern begreiflich zu machen; sie haben immer vor leichtfertigen Aburteilen gewarnt, von welcher Seite es auch tum, und sie haben niemals das aut-a-ut Englisch oder Russisch anerkannt, sondern immer betont, daß die deutsche Politik weder englisch noch russisch sein dürfe, noch irgend etwas andres als deutsch, und sie finden, daß sie das gegenwärtig gerade so gut ist wie früher; sie wissen darum anch nicht, womit die Hamburger Nachrichten ihren Schlußsatz rechtfertigen wollen, daß unsre aus¬ wärtige Politik jetzt nicht mehr das Vertrauen aller großen Kabinette wie früher genieße. Übrigens hat sich die deutsche Politik auch früher bald hier bald dort des allergrößten Mißtrauens erfreut, und es wäre kein Wunder und auch kein Vorwurf für sie, wenn das jetzt wieder hier und da der Fall sein sollte, nämlich dort, wo man uns die energische Wahrnehmung unsrer neuen Interessen verdenke und uus uicht verzeihen kann, daß wir uns die Freiheit nehmen, als Großmacht und als Weltmacht zu existieren. Daran wird auch der genialste Staatsmann nichts ändern. So fällt der ganze Artikel, soweit er auf die Grenzboten gemünzt ist, haltlos in sich zusammen. Nicht stichhält iger ist das, was er über den Charakter der Tage-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/530>, abgerufen am 03.07.2024.