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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Friedrich "ist

Vorher selbst ein zivilisierter Staat, und zwar ein Nerfassungsstnat werden.
Das könne es aber nur werden durch deutsche Intelligenz und deutsche Arbeit,
die es sich nicht dnrch Eroberung deutschen Gebiets, sondern dnrch deutsche
Einwnndrung in sein altes Gebiet zu verschaffen habe.

Daß Nußland in Vorderasien Eroberungen mache, dürfe England nicht
zugeben, weil das seine Verbindung mit Indien bedrohen würde. England
müsse das Streben Mehmet Alis begünstigen, seine Herrschaft über Syrien
und Kleinasien auszudehnen, und sich in dem Herrscher des neuägyptischeu
Reichs einen Vasallen erziehen, der ihm die Straße nach Indien sichere (das ist
geschehn, wenn auch ohne die Gründung eines großägyptischen Reichs). Zu¬
gleich müsse es Deutschland zum Verbündeten gegen Frankreich und Rußland
haben, denn es könne nicht seine großartige Industrie im Gange erhalten und
gleichzeitig ein seiner ganzen Küste Wache stehn. Natürlich könne ihm ein
schwaches Deutschland nichts nützen, weshalb es sehr thöricht Handel" würde,
wenn es fortfahren wollte, durch seine Handelspolitik die Deutschen wirtschaft¬
lich zu schädigen und ihre Einigungsbestrebungen zu hindern. Die Balkan¬
länder gehörten den Deutschen. Um sich den Zugang dahin zu erschließen,
müßten die Deutschen Ungarn zivilisieren, das ebenso wie Rußland nur durch
deutsche Intelligenz, deutsches Kapital und deutsche Arbeiter ein Kulturstaat
werden könne. Und zwar sei bei der wirtschaftlichen Reform Ungarns die
größte Eile nötig; denn die Magyaren seien an politischem Verständnis der
rückständigen österreichischen Bureaukratie und dein ebenso rückständige!? öster-
reichen Hochadel ein Jahrhundert voraus und weit überlegen, dabei von natio¬
nalem Fanatismus erfüllt (der freilich, so lange man ihm die Gewalt läßt,
die Anwendung des von List vorgeschlagnen Heilmittels, die Germanisierung,
unmöglich macht), und würden sie nicht bald von Ästerreich mit der Wohlthat
einer großen wirtschaftlichen und finanziellen Reform beglückt, so würden sie
der dortigen Regierung die größten Schwierigkeiten bereiten und -- es ist das
drei Jahre vor 1848 geschrieben -- den Russen Gelegenheit zur Einmischung
geben. Ist Österreich gelähmt, läßt List einen fingierten russischen Politiker
sprechen, "so ist es ganz Deutschland. Auch finden sich hier glücklicherweise
zwei treffliche Elemente vor, die zu diesem Behuf zu benutzen sind -- der
Ultraslawismns und der Ultramagyarismus. Ans beide muß mit aller Kraft,
obwohl mit der größtmöglichen Behutsamkeit gewirkt werden. Die Wunde der
ungarischen Wirren ist zunächst die ergiebigste Quelle von Schwäche für Oster¬
reich, während eine Verständigung und Versöhnung zwischen Regierung und
Volk auf dem Grunde einer aufrichtigen politischen und nationalökonomischen
Reform den nahen und fernen Hoffnungen Rußlands für immer ein Ende zu
machen droht." Von der Erschließung Afrikas versprach sich List Bedeutendes;
dieser Erdteil sei reich an Naturschätzen, die Europa mit Jndustriewaren bezahlen
könne. Werde die Sklaverei aufgehoben, Hütten also Menschen keinen Tausch¬
wert mehr, so würden die Neger arbeiten lernen, um Tauschwerte zum Kauf
europäischer Waren zu schaffen.


Friedrich «ist

Vorher selbst ein zivilisierter Staat, und zwar ein Nerfassungsstnat werden.
Das könne es aber nur werden durch deutsche Intelligenz und deutsche Arbeit,
die es sich nicht dnrch Eroberung deutschen Gebiets, sondern dnrch deutsche
Einwnndrung in sein altes Gebiet zu verschaffen habe.

Daß Nußland in Vorderasien Eroberungen mache, dürfe England nicht
zugeben, weil das seine Verbindung mit Indien bedrohen würde. England
müsse das Streben Mehmet Alis begünstigen, seine Herrschaft über Syrien
und Kleinasien auszudehnen, und sich in dem Herrscher des neuägyptischeu
Reichs einen Vasallen erziehen, der ihm die Straße nach Indien sichere (das ist
geschehn, wenn auch ohne die Gründung eines großägyptischen Reichs). Zu¬
gleich müsse es Deutschland zum Verbündeten gegen Frankreich und Rußland
haben, denn es könne nicht seine großartige Industrie im Gange erhalten und
gleichzeitig ein seiner ganzen Küste Wache stehn. Natürlich könne ihm ein
schwaches Deutschland nichts nützen, weshalb es sehr thöricht Handel» würde,
wenn es fortfahren wollte, durch seine Handelspolitik die Deutschen wirtschaft¬
lich zu schädigen und ihre Einigungsbestrebungen zu hindern. Die Balkan¬
länder gehörten den Deutschen. Um sich den Zugang dahin zu erschließen,
müßten die Deutschen Ungarn zivilisieren, das ebenso wie Rußland nur durch
deutsche Intelligenz, deutsches Kapital und deutsche Arbeiter ein Kulturstaat
werden könne. Und zwar sei bei der wirtschaftlichen Reform Ungarns die
größte Eile nötig; denn die Magyaren seien an politischem Verständnis der
rückständigen österreichischen Bureaukratie und dein ebenso rückständige!? öster-
reichen Hochadel ein Jahrhundert voraus und weit überlegen, dabei von natio¬
nalem Fanatismus erfüllt (der freilich, so lange man ihm die Gewalt läßt,
die Anwendung des von List vorgeschlagnen Heilmittels, die Germanisierung,
unmöglich macht), und würden sie nicht bald von Ästerreich mit der Wohlthat
einer großen wirtschaftlichen und finanziellen Reform beglückt, so würden sie
der dortigen Regierung die größten Schwierigkeiten bereiten und — es ist das
drei Jahre vor 1848 geschrieben — den Russen Gelegenheit zur Einmischung
geben. Ist Österreich gelähmt, läßt List einen fingierten russischen Politiker
sprechen, „so ist es ganz Deutschland. Auch finden sich hier glücklicherweise
zwei treffliche Elemente vor, die zu diesem Behuf zu benutzen sind — der
Ultraslawismns und der Ultramagyarismus. Ans beide muß mit aller Kraft,
obwohl mit der größtmöglichen Behutsamkeit gewirkt werden. Die Wunde der
ungarischen Wirren ist zunächst die ergiebigste Quelle von Schwäche für Oster¬
reich, während eine Verständigung und Versöhnung zwischen Regierung und
Volk auf dem Grunde einer aufrichtigen politischen und nationalökonomischen
Reform den nahen und fernen Hoffnungen Rußlands für immer ein Ende zu
machen droht." Von der Erschließung Afrikas versprach sich List Bedeutendes;
dieser Erdteil sei reich an Naturschätzen, die Europa mit Jndustriewaren bezahlen
könne. Werde die Sklaverei aufgehoben, Hütten also Menschen keinen Tausch¬
wert mehr, so würden die Neger arbeiten lernen, um Tauschwerte zum Kauf
europäischer Waren zu schaffen.


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[0502] Friedrich «ist Vorher selbst ein zivilisierter Staat, und zwar ein Nerfassungsstnat werden. Das könne es aber nur werden durch deutsche Intelligenz und deutsche Arbeit, die es sich nicht dnrch Eroberung deutschen Gebiets, sondern dnrch deutsche Einwnndrung in sein altes Gebiet zu verschaffen habe. Daß Nußland in Vorderasien Eroberungen mache, dürfe England nicht zugeben, weil das seine Verbindung mit Indien bedrohen würde. England müsse das Streben Mehmet Alis begünstigen, seine Herrschaft über Syrien und Kleinasien auszudehnen, und sich in dem Herrscher des neuägyptischeu Reichs einen Vasallen erziehen, der ihm die Straße nach Indien sichere (das ist geschehn, wenn auch ohne die Gründung eines großägyptischen Reichs). Zu¬ gleich müsse es Deutschland zum Verbündeten gegen Frankreich und Rußland haben, denn es könne nicht seine großartige Industrie im Gange erhalten und gleichzeitig ein seiner ganzen Küste Wache stehn. Natürlich könne ihm ein schwaches Deutschland nichts nützen, weshalb es sehr thöricht Handel» würde, wenn es fortfahren wollte, durch seine Handelspolitik die Deutschen wirtschaft¬ lich zu schädigen und ihre Einigungsbestrebungen zu hindern. Die Balkan¬ länder gehörten den Deutschen. Um sich den Zugang dahin zu erschließen, müßten die Deutschen Ungarn zivilisieren, das ebenso wie Rußland nur durch deutsche Intelligenz, deutsches Kapital und deutsche Arbeiter ein Kulturstaat werden könne. Und zwar sei bei der wirtschaftlichen Reform Ungarns die größte Eile nötig; denn die Magyaren seien an politischem Verständnis der rückständigen österreichischen Bureaukratie und dein ebenso rückständige!? öster- reichen Hochadel ein Jahrhundert voraus und weit überlegen, dabei von natio¬ nalem Fanatismus erfüllt (der freilich, so lange man ihm die Gewalt läßt, die Anwendung des von List vorgeschlagnen Heilmittels, die Germanisierung, unmöglich macht), und würden sie nicht bald von Ästerreich mit der Wohlthat einer großen wirtschaftlichen und finanziellen Reform beglückt, so würden sie der dortigen Regierung die größten Schwierigkeiten bereiten und — es ist das drei Jahre vor 1848 geschrieben — den Russen Gelegenheit zur Einmischung geben. Ist Österreich gelähmt, läßt List einen fingierten russischen Politiker sprechen, „so ist es ganz Deutschland. Auch finden sich hier glücklicherweise zwei treffliche Elemente vor, die zu diesem Behuf zu benutzen sind — der Ultraslawismns und der Ultramagyarismus. Ans beide muß mit aller Kraft, obwohl mit der größtmöglichen Behutsamkeit gewirkt werden. Die Wunde der ungarischen Wirren ist zunächst die ergiebigste Quelle von Schwäche für Oster¬ reich, während eine Verständigung und Versöhnung zwischen Regierung und Volk auf dem Grunde einer aufrichtigen politischen und nationalökonomischen Reform den nahen und fernen Hoffnungen Rußlands für immer ein Ende zu machen droht." Von der Erschließung Afrikas versprach sich List Bedeutendes; dieser Erdteil sei reich an Naturschätzen, die Europa mit Jndustriewaren bezahlen könne. Werde die Sklaverei aufgehoben, Hütten also Menschen keinen Tausch¬ wert mehr, so würden die Neger arbeiten lernen, um Tauschwerte zum Kauf europäischer Waren zu schaffen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/502>, abgerufen am 01.07.2024.