Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kindersprache und Sprachgeschichte

Gestalt u. dergl. durch Laute darznstelleii. Jedenfalls haben bellte die Laute
die Fähigkeit, solche Vorstellungen zu erwecken. Man denke etwa an Verse
wie die Schillerschen:

wo zunächst die weichen Laute b, w und ol, dann die scharfen Zischlaute und
zlllil Schluß anch das kurze a mit folgendem et in dieser Art malend wirken.
ES ist durchaus nicht unglaublich, daß diese Fähigkeit der Leute schon in der
Urzeit ausgenutzt worden ist. -- Sprachgeschichtlich läßt sich das allerdings
so wenig wie die onomatopoetische Bildung der Urwurzeln überhaupt erweisen.
Aber die letzten Elemente der menschlichen Sprache aufzufinden, ist bei der
Veränderung, die sie im Laufe der Zeiten erfahren haben, für uns ein Ding
der Unmöglichkeit.

Die Erwerbung dieser nachahmenden Lautgebilde durch die Gesamtheit
konnte natürlich uur langsam vor sich gehn. Daß es aber den Menschen trotz
der llngenbtheit ihrer Sprachorgane gelang, ein solches Wort wieder hervor¬
zubringen, erklärt sich ans dem Bedürfnis nach besserer Verständigung. Der
Wert des neuen Ausorncksmittels zeigte sich so deutlich, daß man gewiß keine
Mühe scheute, es sich zu eigen zu machen.

Und fragen wir: Wie hat der Mensch über die onomatopoetischen Be¬
zeichnungen hinausgelangen können? so geben uns wieder die Kinder Ant¬
wort. El" englischer Knabe ahmte das Schnattern einer auf dem Teiche
schwimmenden Ente dnrch den Laut Knut "ach, bald nannte er aber anch alle
Vögel und Insekten Kucck und andrerseits alle Flüssigkeiten. Und als er auf
einem französischen So" einen Adler gesehen hatte, bezeichnete er auch sämt¬
liche Münzen mit Knak. Das Beispiel zeigt eins mit voller Deiltlichkeit: Wie
bei dem früher besprochnen Kinderworte apu wird der Name mit sonverüner
Freiheit ans die verschiedensten Dinge übertragen; lind die vuolnatvpoetische
Grundbedeutung vermag die anderweitige Verwendung nicht zu hindern, sie
kann verabschiedet werden, nachdem sie ihre Aufgabe, zwischen dem Wort und
seiner Bedeutung zu vermitteln, erfüllt hat. Knak wurde Name für die Ende,
ohne daß in jedem Falle der Anwendung an den Naturlaut gedacht wurde, was
ja zuweilen, weim sich das Tier ruhig verhielt, auch fern geung lag. Und da
die Vorstellung des Schreies nicht mehr den Vortritt beanspruchte, wurden die
mannigfachen Vernllgenreinerungen lind Metonymien möglich. Nicht anders
wird es beim Urmenschen gewesen sein. Auch hier wird sich die Erinnerung
an den Ursprung eines Wortes aus Lautuachahlnuug bald nicht mehr stark
genng erwiesen haben, die verschiedensten Übertraguugeu, die wir uus nicht
minder kühn zu denken haben wie jene kindliche", zu verhindern. Das Ver¬
gessen der Grundbedeutung, das auch heute noch der Weiterentwicklung der
Sprache im höchsten Grade förderlich ist, ist also scholl uns onomatopoetischer
Stufe möglich und nützlich gewesen.


Kindersprache und Sprachgeschichte

Gestalt u. dergl. durch Laute darznstelleii. Jedenfalls haben bellte die Laute
die Fähigkeit, solche Vorstellungen zu erwecken. Man denke etwa an Verse
wie die Schillerschen:

wo zunächst die weichen Laute b, w und ol, dann die scharfen Zischlaute und
zlllil Schluß anch das kurze a mit folgendem et in dieser Art malend wirken.
ES ist durchaus nicht unglaublich, daß diese Fähigkeit der Leute schon in der
Urzeit ausgenutzt worden ist. — Sprachgeschichtlich läßt sich das allerdings
so wenig wie die onomatopoetische Bildung der Urwurzeln überhaupt erweisen.
Aber die letzten Elemente der menschlichen Sprache aufzufinden, ist bei der
Veränderung, die sie im Laufe der Zeiten erfahren haben, für uns ein Ding
der Unmöglichkeit.

Die Erwerbung dieser nachahmenden Lautgebilde durch die Gesamtheit
konnte natürlich uur langsam vor sich gehn. Daß es aber den Menschen trotz
der llngenbtheit ihrer Sprachorgane gelang, ein solches Wort wieder hervor¬
zubringen, erklärt sich ans dem Bedürfnis nach besserer Verständigung. Der
Wert des neuen Ausorncksmittels zeigte sich so deutlich, daß man gewiß keine
Mühe scheute, es sich zu eigen zu machen.

Und fragen wir: Wie hat der Mensch über die onomatopoetischen Be¬
zeichnungen hinausgelangen können? so geben uns wieder die Kinder Ant¬
wort. El» englischer Knabe ahmte das Schnattern einer auf dem Teiche
schwimmenden Ente dnrch den Laut Knut »ach, bald nannte er aber anch alle
Vögel und Insekten Kucck und andrerseits alle Flüssigkeiten. Und als er auf
einem französischen So» einen Adler gesehen hatte, bezeichnete er auch sämt¬
liche Münzen mit Knak. Das Beispiel zeigt eins mit voller Deiltlichkeit: Wie
bei dem früher besprochnen Kinderworte apu wird der Name mit sonverüner
Freiheit ans die verschiedensten Dinge übertragen; lind die vuolnatvpoetische
Grundbedeutung vermag die anderweitige Verwendung nicht zu hindern, sie
kann verabschiedet werden, nachdem sie ihre Aufgabe, zwischen dem Wort und
seiner Bedeutung zu vermitteln, erfüllt hat. Knak wurde Name für die Ende,
ohne daß in jedem Falle der Anwendung an den Naturlaut gedacht wurde, was
ja zuweilen, weim sich das Tier ruhig verhielt, auch fern geung lag. Und da
die Vorstellung des Schreies nicht mehr den Vortritt beanspruchte, wurden die
mannigfachen Vernllgenreinerungen lind Metonymien möglich. Nicht anders
wird es beim Urmenschen gewesen sein. Auch hier wird sich die Erinnerung
an den Ursprung eines Wortes aus Lautuachahlnuug bald nicht mehr stark
genng erwiesen haben, die verschiedensten Übertraguugeu, die wir uus nicht
minder kühn zu denken haben wie jene kindliche», zu verhindern. Das Ver¬
gessen der Grundbedeutung, das auch heute noch der Weiterentwicklung der
Sprache im höchsten Grade förderlich ist, ist also scholl uns onomatopoetischer
Stufe möglich und nützlich gewesen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234998"/>
          <fw type="header" place="top"> Kindersprache und Sprachgeschichte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1387" prev="#ID_1386"> Gestalt u. dergl. durch Laute darznstelleii. Jedenfalls haben bellte die Laute<lb/>
die Fähigkeit, solche Vorstellungen zu erwecken. Man denke etwa an Verse<lb/>
wie die Schillerschen:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_21" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1388"> wo zunächst die weichen Laute b, w und ol, dann die scharfen Zischlaute und<lb/>
zlllil Schluß anch das kurze a mit folgendem et in dieser Art malend wirken.<lb/>
ES ist durchaus nicht unglaublich, daß diese Fähigkeit der Leute schon in der<lb/>
Urzeit ausgenutzt worden ist. &#x2014; Sprachgeschichtlich läßt sich das allerdings<lb/>
so wenig wie die onomatopoetische Bildung der Urwurzeln überhaupt erweisen.<lb/>
Aber die letzten Elemente der menschlichen Sprache aufzufinden, ist bei der<lb/>
Veränderung, die sie im Laufe der Zeiten erfahren haben, für uns ein Ding<lb/>
der Unmöglichkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1389"> Die Erwerbung dieser nachahmenden Lautgebilde durch die Gesamtheit<lb/>
konnte natürlich uur langsam vor sich gehn. Daß es aber den Menschen trotz<lb/>
der llngenbtheit ihrer Sprachorgane gelang, ein solches Wort wieder hervor¬<lb/>
zubringen, erklärt sich ans dem Bedürfnis nach besserer Verständigung. Der<lb/>
Wert des neuen Ausorncksmittels zeigte sich so deutlich, daß man gewiß keine<lb/>
Mühe scheute, es sich zu eigen zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1390"> Und fragen wir: Wie hat der Mensch über die onomatopoetischen Be¬<lb/>
zeichnungen hinausgelangen können? so geben uns wieder die Kinder Ant¬<lb/>
wort. El» englischer Knabe ahmte das Schnattern einer auf dem Teiche<lb/>
schwimmenden Ente dnrch den Laut Knut »ach, bald nannte er aber anch alle<lb/>
Vögel und Insekten Kucck und andrerseits alle Flüssigkeiten. Und als er auf<lb/>
einem französischen So» einen Adler gesehen hatte, bezeichnete er auch sämt¬<lb/>
liche Münzen mit Knak. Das Beispiel zeigt eins mit voller Deiltlichkeit: Wie<lb/>
bei dem früher besprochnen Kinderworte apu wird der Name mit sonverüner<lb/>
Freiheit ans die verschiedensten Dinge übertragen; lind die vuolnatvpoetische<lb/>
Grundbedeutung vermag die anderweitige Verwendung nicht zu hindern, sie<lb/>
kann verabschiedet werden, nachdem sie ihre Aufgabe, zwischen dem Wort und<lb/>
seiner Bedeutung zu vermitteln, erfüllt hat. Knak wurde Name für die Ende,<lb/>
ohne daß in jedem Falle der Anwendung an den Naturlaut gedacht wurde, was<lb/>
ja zuweilen, weim sich das Tier ruhig verhielt, auch fern geung lag. Und da<lb/>
die Vorstellung des Schreies nicht mehr den Vortritt beanspruchte, wurden die<lb/>
mannigfachen Vernllgenreinerungen lind Metonymien möglich. Nicht anders<lb/>
wird es beim Urmenschen gewesen sein. Auch hier wird sich die Erinnerung<lb/>
an den Ursprung eines Wortes aus Lautuachahlnuug bald nicht mehr stark<lb/>
genng erwiesen haben, die verschiedensten Übertraguugeu, die wir uus nicht<lb/>
minder kühn zu denken haben wie jene kindliche», zu verhindern. Das Ver¬<lb/>
gessen der Grundbedeutung, das auch heute noch der Weiterentwicklung der<lb/>
Sprache im höchsten Grade förderlich ist, ist also scholl uns onomatopoetischer<lb/>
Stufe möglich und nützlich gewesen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0468] Kindersprache und Sprachgeschichte Gestalt u. dergl. durch Laute darznstelleii. Jedenfalls haben bellte die Laute die Fähigkeit, solche Vorstellungen zu erwecken. Man denke etwa an Verse wie die Schillerschen: wo zunächst die weichen Laute b, w und ol, dann die scharfen Zischlaute und zlllil Schluß anch das kurze a mit folgendem et in dieser Art malend wirken. ES ist durchaus nicht unglaublich, daß diese Fähigkeit der Leute schon in der Urzeit ausgenutzt worden ist. — Sprachgeschichtlich läßt sich das allerdings so wenig wie die onomatopoetische Bildung der Urwurzeln überhaupt erweisen. Aber die letzten Elemente der menschlichen Sprache aufzufinden, ist bei der Veränderung, die sie im Laufe der Zeiten erfahren haben, für uns ein Ding der Unmöglichkeit. Die Erwerbung dieser nachahmenden Lautgebilde durch die Gesamtheit konnte natürlich uur langsam vor sich gehn. Daß es aber den Menschen trotz der llngenbtheit ihrer Sprachorgane gelang, ein solches Wort wieder hervor¬ zubringen, erklärt sich ans dem Bedürfnis nach besserer Verständigung. Der Wert des neuen Ausorncksmittels zeigte sich so deutlich, daß man gewiß keine Mühe scheute, es sich zu eigen zu machen. Und fragen wir: Wie hat der Mensch über die onomatopoetischen Be¬ zeichnungen hinausgelangen können? so geben uns wieder die Kinder Ant¬ wort. El» englischer Knabe ahmte das Schnattern einer auf dem Teiche schwimmenden Ente dnrch den Laut Knut »ach, bald nannte er aber anch alle Vögel und Insekten Kucck und andrerseits alle Flüssigkeiten. Und als er auf einem französischen So» einen Adler gesehen hatte, bezeichnete er auch sämt¬ liche Münzen mit Knak. Das Beispiel zeigt eins mit voller Deiltlichkeit: Wie bei dem früher besprochnen Kinderworte apu wird der Name mit sonverüner Freiheit ans die verschiedensten Dinge übertragen; lind die vuolnatvpoetische Grundbedeutung vermag die anderweitige Verwendung nicht zu hindern, sie kann verabschiedet werden, nachdem sie ihre Aufgabe, zwischen dem Wort und seiner Bedeutung zu vermitteln, erfüllt hat. Knak wurde Name für die Ende, ohne daß in jedem Falle der Anwendung an den Naturlaut gedacht wurde, was ja zuweilen, weim sich das Tier ruhig verhielt, auch fern geung lag. Und da die Vorstellung des Schreies nicht mehr den Vortritt beanspruchte, wurden die mannigfachen Vernllgenreinerungen lind Metonymien möglich. Nicht anders wird es beim Urmenschen gewesen sein. Auch hier wird sich die Erinnerung an den Ursprung eines Wortes aus Lautuachahlnuug bald nicht mehr stark genng erwiesen haben, die verschiedensten Übertraguugeu, die wir uus nicht minder kühn zu denken haben wie jene kindliche», zu verhindern. Das Ver¬ gessen der Grundbedeutung, das auch heute noch der Weiterentwicklung der Sprache im höchsten Grade förderlich ist, ist also scholl uns onomatopoetischer Stufe möglich und nützlich gewesen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/468
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/468>, abgerufen am 24.08.2024.