Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kindersprache und Sprachgeschichte

Wir versuchen nun noch weiter rückwärts zu schreiten. Aber die Schritte
werden unsicherer. In das Dunkel der ältesten Zeit fällt ans der Kinderstube
nur spärliches Licht. Ein Unterschied zwischen dem Urmenschen und dem
sprechen lernenden Kinde besteht ohne Frage. Die Sprachwerkzeuge des
Kindes sind durch Vererbung geschickter, als die des Urmenschen gewesen sein
können. Andrerseits werden wir uns diesen geistig höher entwickelt denken
dürfen als das Kind während des ersten Lebensjahres. Und vor allem: dem
Kinde wird die Sprache überliefert, während der Urmensch sie ans sich selbst
schaffen mußte. Immerhin läßt die Analogie des sprechen lernenden Kindes
nicht völlig im Stich. An der Art, wie das Verständnis für die Sprache seiner
Umgebung beim Kinde erwacht, und wie dieses sich seine ersten Bezeichnungen
schasst, haben wir doch einen Fingerzeig für die Vorstellungen, die wir uns
von der Entstehung der menschlichen Sprache machen müssen. Das Sprach¬
verständnis des Kindes kann man allerdings auf verschiedne Art erwecken, aber
am leichtesten führt doch folgender Weg zum Ziele: Mail läßt das Kind irgend
ein Geräusch, das Ticken der Uhr, das Bellen des Hundes, hören und be¬
gleitet dies mit einem klangnachahmenden Lnutgebilde: Ticktack, Wauwau.
Durch das Band der Ähnlichkeit bildet sich am leichtesten die Assoziativ"
zwischen Lautzeichen und Bezeichneten. Auch nachher, wenn das Sprachver-
stündnis schon verhältnismäßig weit entwickelt ist, pflegen Angehörige und
Wärterinnen sich vorwiegend solcher nachahmenden Wörter zu bedienen, ja
man setzt später wohl diese mit den richtigen Namen zusammen und bildet
Wörter wie Muhkuh, Patschhand, Holtopferd. Das ebenso entstandne Piep¬
vogel ist sogar als Scherzwort in die Sprache der Erwachsenen übergegangen.
Und bei dem regen Nachahmungstrieb, der das Kind schon vom Ende des
ersten Lebensjahres um beherrscht, bildet es solche nachahmenden Wörter auch
von sich aus und verwendet sie gern.

Aus alledem läßt sich schließen, daß die menschliche Sprache in der Klang¬
nachahmung ihren Ursprung hat. Diese Ansicht, die onomatopoetische Theorie,
ist zwar als Bauwantheorie verspottet worden, wie sich auch die ander" Sprach-
ursprungstheorien Spottname" haben gefallen lassen müsse", aber sie ist jetzt
wohl kam" mehr bestritten. Darum herrscht aber doch noch keineswegs Einigkeit.
Wenn sich die Köpfe auch nicht mehr über die Streitfrage der griechischen
Forscher erhitzen, ob die Sprache von Rat"r oder d"res menschliche Satzung
und Übereinkunft geworden, noch über die des achtzehnten Jahrhunderts, ob
sie ein göttliches Geschenk oder eine menschliche Erwerbung sei, so ist doch der
Streit nicht zur Ruhe gekommen. Eine Reihe angesehener Forscher kann sich
nicht davon überzeuge", daß bei der Entstehung der menschliche" Sprache die
Absicht der Mitteilung im Spiele gewesen sei; sie glaube" ohne die A"setz""g
von "Sprachreslexen," d. h. angebornen Lunten, die ungewollt in einer den
gehörten Lauten ähnlichen Gestalt hervorbrechen, nicht auskommen zu könne",
von andern Versuchen, die Annahme einer Absicht beim Sprachurspruuge zu
vermeiden, ganz abgesehen. Es soll hier auf Gründe und Gegengründe nicht


Kindersprache und Sprachgeschichte

Wir versuchen nun noch weiter rückwärts zu schreiten. Aber die Schritte
werden unsicherer. In das Dunkel der ältesten Zeit fällt ans der Kinderstube
nur spärliches Licht. Ein Unterschied zwischen dem Urmenschen und dem
sprechen lernenden Kinde besteht ohne Frage. Die Sprachwerkzeuge des
Kindes sind durch Vererbung geschickter, als die des Urmenschen gewesen sein
können. Andrerseits werden wir uns diesen geistig höher entwickelt denken
dürfen als das Kind während des ersten Lebensjahres. Und vor allem: dem
Kinde wird die Sprache überliefert, während der Urmensch sie ans sich selbst
schaffen mußte. Immerhin läßt die Analogie des sprechen lernenden Kindes
nicht völlig im Stich. An der Art, wie das Verständnis für die Sprache seiner
Umgebung beim Kinde erwacht, und wie dieses sich seine ersten Bezeichnungen
schasst, haben wir doch einen Fingerzeig für die Vorstellungen, die wir uns
von der Entstehung der menschlichen Sprache machen müssen. Das Sprach¬
verständnis des Kindes kann man allerdings auf verschiedne Art erwecken, aber
am leichtesten führt doch folgender Weg zum Ziele: Mail läßt das Kind irgend
ein Geräusch, das Ticken der Uhr, das Bellen des Hundes, hören und be¬
gleitet dies mit einem klangnachahmenden Lnutgebilde: Ticktack, Wauwau.
Durch das Band der Ähnlichkeit bildet sich am leichtesten die Assoziativ»
zwischen Lautzeichen und Bezeichneten. Auch nachher, wenn das Sprachver-
stündnis schon verhältnismäßig weit entwickelt ist, pflegen Angehörige und
Wärterinnen sich vorwiegend solcher nachahmenden Wörter zu bedienen, ja
man setzt später wohl diese mit den richtigen Namen zusammen und bildet
Wörter wie Muhkuh, Patschhand, Holtopferd. Das ebenso entstandne Piep¬
vogel ist sogar als Scherzwort in die Sprache der Erwachsenen übergegangen.
Und bei dem regen Nachahmungstrieb, der das Kind schon vom Ende des
ersten Lebensjahres um beherrscht, bildet es solche nachahmenden Wörter auch
von sich aus und verwendet sie gern.

Aus alledem läßt sich schließen, daß die menschliche Sprache in der Klang¬
nachahmung ihren Ursprung hat. Diese Ansicht, die onomatopoetische Theorie,
ist zwar als Bauwantheorie verspottet worden, wie sich auch die ander» Sprach-
ursprungstheorien Spottname» haben gefallen lassen müsse», aber sie ist jetzt
wohl kam» mehr bestritten. Darum herrscht aber doch noch keineswegs Einigkeit.
Wenn sich die Köpfe auch nicht mehr über die Streitfrage der griechischen
Forscher erhitzen, ob die Sprache von Rat»r oder d»res menschliche Satzung
und Übereinkunft geworden, noch über die des achtzehnten Jahrhunderts, ob
sie ein göttliches Geschenk oder eine menschliche Erwerbung sei, so ist doch der
Streit nicht zur Ruhe gekommen. Eine Reihe angesehener Forscher kann sich
nicht davon überzeuge», daß bei der Entstehung der menschliche» Sprache die
Absicht der Mitteilung im Spiele gewesen sei; sie glaube» ohne die A»setz«»g
von „Sprachreslexen," d. h. angebornen Lunten, die ungewollt in einer den
gehörten Lauten ähnlichen Gestalt hervorbrechen, nicht auskommen zu könne»,
von andern Versuchen, die Annahme einer Absicht beim Sprachurspruuge zu
vermeiden, ganz abgesehen. Es soll hier auf Gründe und Gegengründe nicht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0466" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234996"/>
          <fw type="header" place="top"> Kindersprache und Sprachgeschichte</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1382"> Wir versuchen nun noch weiter rückwärts zu schreiten. Aber die Schritte<lb/>
werden unsicherer. In das Dunkel der ältesten Zeit fällt ans der Kinderstube<lb/>
nur spärliches Licht. Ein Unterschied zwischen dem Urmenschen und dem<lb/>
sprechen lernenden Kinde besteht ohne Frage. Die Sprachwerkzeuge des<lb/>
Kindes sind durch Vererbung geschickter, als die des Urmenschen gewesen sein<lb/>
können. Andrerseits werden wir uns diesen geistig höher entwickelt denken<lb/>
dürfen als das Kind während des ersten Lebensjahres. Und vor allem: dem<lb/>
Kinde wird die Sprache überliefert, während der Urmensch sie ans sich selbst<lb/>
schaffen mußte. Immerhin läßt die Analogie des sprechen lernenden Kindes<lb/>
nicht völlig im Stich. An der Art, wie das Verständnis für die Sprache seiner<lb/>
Umgebung beim Kinde erwacht, und wie dieses sich seine ersten Bezeichnungen<lb/>
schasst, haben wir doch einen Fingerzeig für die Vorstellungen, die wir uns<lb/>
von der Entstehung der menschlichen Sprache machen müssen. Das Sprach¬<lb/>
verständnis des Kindes kann man allerdings auf verschiedne Art erwecken, aber<lb/>
am leichtesten führt doch folgender Weg zum Ziele: Mail läßt das Kind irgend<lb/>
ein Geräusch, das Ticken der Uhr, das Bellen des Hundes, hören und be¬<lb/>
gleitet dies mit einem klangnachahmenden Lnutgebilde: Ticktack, Wauwau.<lb/>
Durch das Band der Ähnlichkeit bildet sich am leichtesten die Assoziativ»<lb/>
zwischen Lautzeichen und Bezeichneten. Auch nachher, wenn das Sprachver-<lb/>
stündnis schon verhältnismäßig weit entwickelt ist, pflegen Angehörige und<lb/>
Wärterinnen sich vorwiegend solcher nachahmenden Wörter zu bedienen, ja<lb/>
man setzt später wohl diese mit den richtigen Namen zusammen und bildet<lb/>
Wörter wie Muhkuh, Patschhand, Holtopferd. Das ebenso entstandne Piep¬<lb/>
vogel ist sogar als Scherzwort in die Sprache der Erwachsenen übergegangen.<lb/>
Und bei dem regen Nachahmungstrieb, der das Kind schon vom Ende des<lb/>
ersten Lebensjahres um beherrscht, bildet es solche nachahmenden Wörter auch<lb/>
von sich aus und verwendet sie gern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1383" next="#ID_1384"> Aus alledem läßt sich schließen, daß die menschliche Sprache in der Klang¬<lb/>
nachahmung ihren Ursprung hat. Diese Ansicht, die onomatopoetische Theorie,<lb/>
ist zwar als Bauwantheorie verspottet worden, wie sich auch die ander» Sprach-<lb/>
ursprungstheorien Spottname» haben gefallen lassen müsse», aber sie ist jetzt<lb/>
wohl kam» mehr bestritten. Darum herrscht aber doch noch keineswegs Einigkeit.<lb/>
Wenn sich die Köpfe auch nicht mehr über die Streitfrage der griechischen<lb/>
Forscher erhitzen, ob die Sprache von Rat»r oder d»res menschliche Satzung<lb/>
und Übereinkunft geworden, noch über die des achtzehnten Jahrhunderts, ob<lb/>
sie ein göttliches Geschenk oder eine menschliche Erwerbung sei, so ist doch der<lb/>
Streit nicht zur Ruhe gekommen. Eine Reihe angesehener Forscher kann sich<lb/>
nicht davon überzeuge», daß bei der Entstehung der menschliche» Sprache die<lb/>
Absicht der Mitteilung im Spiele gewesen sei; sie glaube» ohne die A»setz«»g<lb/>
von &#x201E;Sprachreslexen," d. h. angebornen Lunten, die ungewollt in einer den<lb/>
gehörten Lauten ähnlichen Gestalt hervorbrechen, nicht auskommen zu könne»,<lb/>
von andern Versuchen, die Annahme einer Absicht beim Sprachurspruuge zu<lb/>
vermeiden, ganz abgesehen. Es soll hier auf Gründe und Gegengründe nicht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0466] Kindersprache und Sprachgeschichte Wir versuchen nun noch weiter rückwärts zu schreiten. Aber die Schritte werden unsicherer. In das Dunkel der ältesten Zeit fällt ans der Kinderstube nur spärliches Licht. Ein Unterschied zwischen dem Urmenschen und dem sprechen lernenden Kinde besteht ohne Frage. Die Sprachwerkzeuge des Kindes sind durch Vererbung geschickter, als die des Urmenschen gewesen sein können. Andrerseits werden wir uns diesen geistig höher entwickelt denken dürfen als das Kind während des ersten Lebensjahres. Und vor allem: dem Kinde wird die Sprache überliefert, während der Urmensch sie ans sich selbst schaffen mußte. Immerhin läßt die Analogie des sprechen lernenden Kindes nicht völlig im Stich. An der Art, wie das Verständnis für die Sprache seiner Umgebung beim Kinde erwacht, und wie dieses sich seine ersten Bezeichnungen schasst, haben wir doch einen Fingerzeig für die Vorstellungen, die wir uns von der Entstehung der menschlichen Sprache machen müssen. Das Sprach¬ verständnis des Kindes kann man allerdings auf verschiedne Art erwecken, aber am leichtesten führt doch folgender Weg zum Ziele: Mail läßt das Kind irgend ein Geräusch, das Ticken der Uhr, das Bellen des Hundes, hören und be¬ gleitet dies mit einem klangnachahmenden Lnutgebilde: Ticktack, Wauwau. Durch das Band der Ähnlichkeit bildet sich am leichtesten die Assoziativ» zwischen Lautzeichen und Bezeichneten. Auch nachher, wenn das Sprachver- stündnis schon verhältnismäßig weit entwickelt ist, pflegen Angehörige und Wärterinnen sich vorwiegend solcher nachahmenden Wörter zu bedienen, ja man setzt später wohl diese mit den richtigen Namen zusammen und bildet Wörter wie Muhkuh, Patschhand, Holtopferd. Das ebenso entstandne Piep¬ vogel ist sogar als Scherzwort in die Sprache der Erwachsenen übergegangen. Und bei dem regen Nachahmungstrieb, der das Kind schon vom Ende des ersten Lebensjahres um beherrscht, bildet es solche nachahmenden Wörter auch von sich aus und verwendet sie gern. Aus alledem läßt sich schließen, daß die menschliche Sprache in der Klang¬ nachahmung ihren Ursprung hat. Diese Ansicht, die onomatopoetische Theorie, ist zwar als Bauwantheorie verspottet worden, wie sich auch die ander» Sprach- ursprungstheorien Spottname» haben gefallen lassen müsse», aber sie ist jetzt wohl kam» mehr bestritten. Darum herrscht aber doch noch keineswegs Einigkeit. Wenn sich die Köpfe auch nicht mehr über die Streitfrage der griechischen Forscher erhitzen, ob die Sprache von Rat»r oder d»res menschliche Satzung und Übereinkunft geworden, noch über die des achtzehnten Jahrhunderts, ob sie ein göttliches Geschenk oder eine menschliche Erwerbung sei, so ist doch der Streit nicht zur Ruhe gekommen. Eine Reihe angesehener Forscher kann sich nicht davon überzeuge», daß bei der Entstehung der menschliche» Sprache die Absicht der Mitteilung im Spiele gewesen sei; sie glaube» ohne die A»setz«»g von „Sprachreslexen," d. h. angebornen Lunten, die ungewollt in einer den gehörten Lauten ähnlichen Gestalt hervorbrechen, nicht auskommen zu könne», von andern Versuchen, die Annahme einer Absicht beim Sprachurspruuge zu vermeiden, ganz abgesehen. Es soll hier auf Gründe und Gegengründe nicht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/466
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/466>, abgerufen am 24.08.2024.