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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die Satiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens

sondern es ist sozusagen allgemein menschlich, ein Stück der antiken Humanität,
deren milder Schimmer das Ende des Altertums vergoldet. Es, beruht auf
dem Drange gerade des gebildeten Menschen, über die engen Schranken des
Berufs hinaus seine Persönlichkeit frei zu entfalte", noch etwas andres zu
sein, als jener ihm vorschreibt, etwas für sich, und wohl dein, der es wenigstens
im noch rüstigen Alter zu verwirklichen vermag!

Ich will nun uicht behaupte", das; dieses hvrnzische Lebensideal im
heutigen Italien mehr verwirklicht werde als anderwärts in Europa, aber
ganz sicher pflegt der Italiener in seinem Berufe weit weniger aufzugehn als
nur Nordländer. Philistertum und Fachsimpelei sind ihm unbekannte Begriffe,
er null vor allem el" Mensch sein, und womöglich ein schöner Mensch. Auch
der kleine Mann ist nicht Schuster oder Schneider, sondern er "macht," d. h.
er spielt ihn, it Lartors, der Beruf ist ihm mehr wie ein Gewand, das er
anzieht, er durchdringt sein Wesen uicht, und der gebildete Mann geht viel
weniger in ihm ans als bei uns. Daher kommt die starke Neigung zu den
Berufen, die eine freiere Entfaltung der Persönlichkeit gewahren, des Schrift¬
stellers, namentlich des Journalisten, des Advokaten, des Abgeordneten, und
der uicht seltne Wechsel des Berufs, zu dem die Abhängigkeit der höhern
Beamtenlaufbahn vom xotörs politioo, d. h. vom Parlamentarismus, ebenso
leicht führt, wie sie in ihm mit wurzelt. Guido Baecelli, der dreimal das
Unterrichtsministerium verwaltet hat, ist seinem Berufe nach Arzt und Pro¬
fessor der Medizin an der Universität Rom -- denn das Monopol der Juristen
für die höchsten Staatsgüter besteht in Italien nicht -- lind hat diesen Beruf
immer wieder aufgenommen, weil" er aus dem Ministerium schied; der gegen¬
wärtige Minister des Auswärtigen, Giulio Prinetti, ist Ingenieur, und Angelo
de Gubernatis, einer ihrer hervorragendsten Sanskritisten, war nacheinander
lind oft nebeneinander Gymnasiallehrer, Professor, Bnchdrnckereibcsitzer, Jour-
nalist und Dichter. Daß diese Neigung ihre starken Schatte" hat, ist selbst¬
verständlich, aber vor Verknöcherung bewahrt sie, und den Menschen als solchen,
die Individualität bringt sie mehr zur Entfaltung.

Damit hängt ein Zug zusammen, der uns mehr zur Innerlichkeit neigende
Nordländer oft befremdet, zuweilen geradezu abstößt, weil er uns als Eitelkeit
erscheint, der Drang, die eigue Persönlichkeit zur Geltung zu bringen. Auch
hier ist dieses alte Kulturvolk im Grunde natürlicher, naiver als wir. Wir
verdenken es dem Cieero, wenn er nicht müde wird, die Verdienste seines
Konsulats zu preisen, aber handelt denn Horaz anders? Wie nachdrücklich
hebt er als bewußter Vertreter der neuen Dichtung die Berechtigung seiner
Weise gegenüber der übertriebnen Schützling des Alten hervor,^") und welch
stolzes Selbstbewußtsein verrät doch das berühmte Lied:"")


Ewiger schuf ich als Erz, höher als Kömgsmacht
Pyramiden sich türmt, mir ein Gedttchtnismal,
Das kein stürzender Guß, keines Orkans Gewalt
Zu erschüttern vermag, noch der unendliche
Strom der Jahre zerstört oder der Zeiten Flucht.

Die Satiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens

sondern es ist sozusagen allgemein menschlich, ein Stück der antiken Humanität,
deren milder Schimmer das Ende des Altertums vergoldet. Es, beruht auf
dem Drange gerade des gebildeten Menschen, über die engen Schranken des
Berufs hinaus seine Persönlichkeit frei zu entfalte», noch etwas andres zu
sein, als jener ihm vorschreibt, etwas für sich, und wohl dein, der es wenigstens
im noch rüstigen Alter zu verwirklichen vermag!

Ich will nun uicht behaupte», das; dieses hvrnzische Lebensideal im
heutigen Italien mehr verwirklicht werde als anderwärts in Europa, aber
ganz sicher pflegt der Italiener in seinem Berufe weit weniger aufzugehn als
nur Nordländer. Philistertum und Fachsimpelei sind ihm unbekannte Begriffe,
er null vor allem el» Mensch sein, und womöglich ein schöner Mensch. Auch
der kleine Mann ist nicht Schuster oder Schneider, sondern er „macht," d. h.
er spielt ihn, it Lartors, der Beruf ist ihm mehr wie ein Gewand, das er
anzieht, er durchdringt sein Wesen uicht, und der gebildete Mann geht viel
weniger in ihm ans als bei uns. Daher kommt die starke Neigung zu den
Berufen, die eine freiere Entfaltung der Persönlichkeit gewahren, des Schrift¬
stellers, namentlich des Journalisten, des Advokaten, des Abgeordneten, und
der uicht seltne Wechsel des Berufs, zu dem die Abhängigkeit der höhern
Beamtenlaufbahn vom xotörs politioo, d. h. vom Parlamentarismus, ebenso
leicht führt, wie sie in ihm mit wurzelt. Guido Baecelli, der dreimal das
Unterrichtsministerium verwaltet hat, ist seinem Berufe nach Arzt und Pro¬
fessor der Medizin an der Universität Rom — denn das Monopol der Juristen
für die höchsten Staatsgüter besteht in Italien nicht — lind hat diesen Beruf
immer wieder aufgenommen, weil» er aus dem Ministerium schied; der gegen¬
wärtige Minister des Auswärtigen, Giulio Prinetti, ist Ingenieur, und Angelo
de Gubernatis, einer ihrer hervorragendsten Sanskritisten, war nacheinander
lind oft nebeneinander Gymnasiallehrer, Professor, Bnchdrnckereibcsitzer, Jour-
nalist und Dichter. Daß diese Neigung ihre starken Schatte» hat, ist selbst¬
verständlich, aber vor Verknöcherung bewahrt sie, und den Menschen als solchen,
die Individualität bringt sie mehr zur Entfaltung.

Damit hängt ein Zug zusammen, der uns mehr zur Innerlichkeit neigende
Nordländer oft befremdet, zuweilen geradezu abstößt, weil er uns als Eitelkeit
erscheint, der Drang, die eigue Persönlichkeit zur Geltung zu bringen. Auch
hier ist dieses alte Kulturvolk im Grunde natürlicher, naiver als wir. Wir
verdenken es dem Cieero, wenn er nicht müde wird, die Verdienste seines
Konsulats zu preisen, aber handelt denn Horaz anders? Wie nachdrücklich
hebt er als bewußter Vertreter der neuen Dichtung die Berechtigung seiner
Weise gegenüber der übertriebnen Schützling des Alten hervor,^") und welch
stolzes Selbstbewußtsein verrät doch das berühmte Lied:"")


Ewiger schuf ich als Erz, höher als Kömgsmacht
Pyramiden sich türmt, mir ein Gedttchtnismal,
Das kein stürzender Guß, keines Orkans Gewalt
Zu erschüttern vermag, noch der unendliche
Strom der Jahre zerstört oder der Zeiten Flucht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/460>, abgerufen am 26.06.2024.