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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die Latiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens

herrschende Cliquenwesen beruht zu einem guten Teile auf landsmannschaft-
lichen Beziehungen.^)

Diese ganze Lebellsführung mit ihrer Anhänglichkeit an die enge Heimat
und dein weiten geistigen Horizont, mit ihrer Vorliebe nud ihrem Verständnis
für das Landleben und ihren doch so ganz städtischem Gewohnheiten hat
nun ganz andre Ziele als früher, ein ganz andres Lebensideal als in der
alten Zeit. Der echte Römer von altem Schrot und Korn ging im Staate,
im öffentlichen Dienste und in Geschäften ans, denn er war zuweilen Be¬
amter und immer Bürger eines souveränen Volkes, das sich selbst regiertes)
der Zeitgenosse des Horaz war im Durchschnitt ein Privatmann, denn er
war thatsächlich Unterthan eines Monarchen, ein regierter Mensch, und er
fühlte sich derart als solchen, daß er es ganz in der Ordnung fand, wenn
er in der Regel von der großen Politik gerade so wenig wußte wie wir
Modernen, und um so begieriger auf jedes Gerücht lauschte, das von oben
kam oder zu kommen schien, gerade wie wir. Vermutlich hatte er auch die
Neigung, über alles, was ihm daran mißfiel oder ""verständlich war, zu
räsonnieren, gerade wie Nur. Horaz ist dafür typisch und nicht nnr deshalb,
weil er als Sohn eines Freigelassenen wenig Aussicht auf die Ämterlaufbahn
gehabt hätte. Nichts verurteilt er schärfer als die Ämterjagd um des bloßen
Ehrgeizes willen; nichts findet er lästiger als die Bürde des Amts, das den
Träger zu verderblichem Aufwande zwingt und ihm tausend Rücksichten auflegt.^)
Aber auch im Berufe Null er uicht aufgehn, und er tadelt das an andern.
Nichts ist ihm widerwärtiger als das Jagen nach Gewinn um des Gewinns
oder des äußern Scheins willen; nichts bekämpft er deshalb eifriger als die
AVMitia,, als das "Geldmacheu," das rhin tÄLer" -- ich hätte bald gesagt das
more^ uiMnx -- und den Satz: Was du hast, das giltst du.^) Ihm ist
der Besitz nur Mittel zum böcckv vivers, und das sieht er in einem sorgen¬
freien Dasein, das weder an Amtspflichten noch an öffentliche Geschäfte
gebunden ist, sondern freie Muße zur geistigen Vertiefung und Vervoll¬
kommnung, anregenden und zwanglosen Verkehr mit Freunden und Nach-
barn gewährt. ^) Es liegt ein Stück feiner Selbstsucht darin, und wenn alle
so dächten, könnte kein Staat bestehn; aber wer empfände nicht etwas wie
Neid oder Mitfreude, wenn Horaz glückselig jubelt über den Erwerb seines
schönen Sabinum, wo er sicher und abgeschlossen haust wie auf seiner "Burg"
^ bouss is in/ <zg,8et6 --, tagsüber studiert oder schreibt, bummelt oder
sich am Bache ins Gras legt und abends -- nach Goethes Spruch: "Tages
Arbeit, abends Gäste" -- gute Freunde zum einfncheu Mahle um sich ver¬
sammelt, wenn er nicht müde wird, die Reize seines Gutes zu schildern. Es
ist dasselbe Lebensideal, das schon M. Cicero wie andre vor ihm wenigstens
zeitweise hatten und verwirklichten, wenn er sich aus dem Getümmel der Ge¬
schäfte einmal nach seinem heimatlichen Arpinus im bergumrahmten Liristhale
oder nach dem weitumschauenden Tuskulum zurückzog; aber als dauerndes
Ideal hat es erst Horaz aufgestellt, und spezifisch römisch ist es nicht mehr,


Die Latiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens

herrschende Cliquenwesen beruht zu einem guten Teile auf landsmannschaft-
lichen Beziehungen.^)

Diese ganze Lebellsführung mit ihrer Anhänglichkeit an die enge Heimat
und dein weiten geistigen Horizont, mit ihrer Vorliebe nud ihrem Verständnis
für das Landleben und ihren doch so ganz städtischem Gewohnheiten hat
nun ganz andre Ziele als früher, ein ganz andres Lebensideal als in der
alten Zeit. Der echte Römer von altem Schrot und Korn ging im Staate,
im öffentlichen Dienste und in Geschäften ans, denn er war zuweilen Be¬
amter und immer Bürger eines souveränen Volkes, das sich selbst regiertes)
der Zeitgenosse des Horaz war im Durchschnitt ein Privatmann, denn er
war thatsächlich Unterthan eines Monarchen, ein regierter Mensch, und er
fühlte sich derart als solchen, daß er es ganz in der Ordnung fand, wenn
er in der Regel von der großen Politik gerade so wenig wußte wie wir
Modernen, und um so begieriger auf jedes Gerücht lauschte, das von oben
kam oder zu kommen schien, gerade wie wir. Vermutlich hatte er auch die
Neigung, über alles, was ihm daran mißfiel oder »»verständlich war, zu
räsonnieren, gerade wie Nur. Horaz ist dafür typisch und nicht nnr deshalb,
weil er als Sohn eines Freigelassenen wenig Aussicht auf die Ämterlaufbahn
gehabt hätte. Nichts verurteilt er schärfer als die Ämterjagd um des bloßen
Ehrgeizes willen; nichts findet er lästiger als die Bürde des Amts, das den
Träger zu verderblichem Aufwande zwingt und ihm tausend Rücksichten auflegt.^)
Aber auch im Berufe Null er uicht aufgehn, und er tadelt das an andern.
Nichts ist ihm widerwärtiger als das Jagen nach Gewinn um des Gewinns
oder des äußern Scheins willen; nichts bekämpft er deshalb eifriger als die
AVMitia,, als das „Geldmacheu," das rhin tÄLer« — ich hätte bald gesagt das
more^ uiMnx — und den Satz: Was du hast, das giltst du.^) Ihm ist
der Besitz nur Mittel zum böcckv vivers, und das sieht er in einem sorgen¬
freien Dasein, das weder an Amtspflichten noch an öffentliche Geschäfte
gebunden ist, sondern freie Muße zur geistigen Vertiefung und Vervoll¬
kommnung, anregenden und zwanglosen Verkehr mit Freunden und Nach-
barn gewährt. ^) Es liegt ein Stück feiner Selbstsucht darin, und wenn alle
so dächten, könnte kein Staat bestehn; aber wer empfände nicht etwas wie
Neid oder Mitfreude, wenn Horaz glückselig jubelt über den Erwerb seines
schönen Sabinum, wo er sicher und abgeschlossen haust wie auf seiner „Burg"
^ bouss is in/ <zg,8et6 —, tagsüber studiert oder schreibt, bummelt oder
sich am Bache ins Gras legt und abends — nach Goethes Spruch: „Tages
Arbeit, abends Gäste" — gute Freunde zum einfncheu Mahle um sich ver¬
sammelt, wenn er nicht müde wird, die Reize seines Gutes zu schildern. Es
ist dasselbe Lebensideal, das schon M. Cicero wie andre vor ihm wenigstens
zeitweise hatten und verwirklichten, wenn er sich aus dem Getümmel der Ge¬
schäfte einmal nach seinem heimatlichen Arpinus im bergumrahmten Liristhale
oder nach dem weitumschauenden Tuskulum zurückzog; aber als dauerndes
Ideal hat es erst Horaz aufgestellt, und spezifisch römisch ist es nicht mehr,


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[0459] Die Latiren des Horaz im Lichte des modernen italienischen Lebens herrschende Cliquenwesen beruht zu einem guten Teile auf landsmannschaft- lichen Beziehungen.^) Diese ganze Lebellsführung mit ihrer Anhänglichkeit an die enge Heimat und dein weiten geistigen Horizont, mit ihrer Vorliebe nud ihrem Verständnis für das Landleben und ihren doch so ganz städtischem Gewohnheiten hat nun ganz andre Ziele als früher, ein ganz andres Lebensideal als in der alten Zeit. Der echte Römer von altem Schrot und Korn ging im Staate, im öffentlichen Dienste und in Geschäften ans, denn er war zuweilen Be¬ amter und immer Bürger eines souveränen Volkes, das sich selbst regiertes) der Zeitgenosse des Horaz war im Durchschnitt ein Privatmann, denn er war thatsächlich Unterthan eines Monarchen, ein regierter Mensch, und er fühlte sich derart als solchen, daß er es ganz in der Ordnung fand, wenn er in der Regel von der großen Politik gerade so wenig wußte wie wir Modernen, und um so begieriger auf jedes Gerücht lauschte, das von oben kam oder zu kommen schien, gerade wie wir. Vermutlich hatte er auch die Neigung, über alles, was ihm daran mißfiel oder »»verständlich war, zu räsonnieren, gerade wie Nur. Horaz ist dafür typisch und nicht nnr deshalb, weil er als Sohn eines Freigelassenen wenig Aussicht auf die Ämterlaufbahn gehabt hätte. Nichts verurteilt er schärfer als die Ämterjagd um des bloßen Ehrgeizes willen; nichts findet er lästiger als die Bürde des Amts, das den Träger zu verderblichem Aufwande zwingt und ihm tausend Rücksichten auflegt.^) Aber auch im Berufe Null er uicht aufgehn, und er tadelt das an andern. Nichts ist ihm widerwärtiger als das Jagen nach Gewinn um des Gewinns oder des äußern Scheins willen; nichts bekämpft er deshalb eifriger als die AVMitia,, als das „Geldmacheu," das rhin tÄLer« — ich hätte bald gesagt das more^ uiMnx — und den Satz: Was du hast, das giltst du.^) Ihm ist der Besitz nur Mittel zum böcckv vivers, und das sieht er in einem sorgen¬ freien Dasein, das weder an Amtspflichten noch an öffentliche Geschäfte gebunden ist, sondern freie Muße zur geistigen Vertiefung und Vervoll¬ kommnung, anregenden und zwanglosen Verkehr mit Freunden und Nach- barn gewährt. ^) Es liegt ein Stück feiner Selbstsucht darin, und wenn alle so dächten, könnte kein Staat bestehn; aber wer empfände nicht etwas wie Neid oder Mitfreude, wenn Horaz glückselig jubelt über den Erwerb seines schönen Sabinum, wo er sicher und abgeschlossen haust wie auf seiner „Burg" ^ bouss is in/ <zg,8et6 —, tagsüber studiert oder schreibt, bummelt oder sich am Bache ins Gras legt und abends — nach Goethes Spruch: „Tages Arbeit, abends Gäste" — gute Freunde zum einfncheu Mahle um sich ver¬ sammelt, wenn er nicht müde wird, die Reize seines Gutes zu schildern. Es ist dasselbe Lebensideal, das schon M. Cicero wie andre vor ihm wenigstens zeitweise hatten und verwirklichten, wenn er sich aus dem Getümmel der Ge¬ schäfte einmal nach seinem heimatlichen Arpinus im bergumrahmten Liristhale oder nach dem weitumschauenden Tuskulum zurückzog; aber als dauerndes Ideal hat es erst Horaz aufgestellt, und spezifisch römisch ist es nicht mehr,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/459>, abgerufen am 28.09.2024.