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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gehört es auch, daß, wenn der Körper zu meinem menschlichen Leibe in eine ge¬
wisse räumliche Beziehung tritt, Veränderungen in diesem meinem Leibe auftreten
(S, 94 bis 95). Die Welt geht ihren Gang, aber ich schlafe oder sterbe und weiß
nichts davon. Die physische Einheit bleibt bestehn, die psychische nicht. Erkläre mir
diese Beziehung des individuellen Ich zur Natur! Und weiter, wenn sich mein
individuelles Bewußtsein in Abhängigkeit von der Natur befindet, wie soll ich es
verstehn, daß die kritische Auffassung nun dem persönlichen Bewußtsein doch einen
Rang über der Natur zugesteht? Innerhalb der Naturwissenschaft giebt es nicht
Persönlichkeiten, sondern mir Individuen. Der Naturforscher hat daher mit dieser
Frage gar nichts zu thun; erst insofern er die Frage aufwirft, wie sich die Natur¬
wissenschaft zur Ethik, Ästhetik und Religion zu stellen hat, tritt der Begriff der
Persönlichkeit auf (S. 123). Außer deu Gesetzen der Anschauung und des Verstandes
giebt es noch Gesetze, die sich weder sinnlich bestätigen noch mathematisch oder logisch
beweisen lassen. Diese Gesetze nennen wir Ideen. Eine Idee ist ein Gesetz, das
eine Bestimmung enthält, die niemals in Raum und Zeit wirklich vollzogen ist,
sondern nur als Forderung besteht. Solche Forderungen sind die Idee der Freiheit
und die Idee der Zweckmäßigkeit. Obwohl sich in der Natur weder Freiheit noch
Zweckmäßigkeit f?j nachweisen läßt, bestehn sie doch als Forderungen, als eine be¬
stimmte Form, wie etwas sein soll. Das, was sein soll, gehört nicht zur Natur,
sondern erst sein Werden. Der ganze Komplex des sittlich handelnde" Individuums
findet sich als eine Thatsache in der Natur, nur die ursprüngliche Bestimmung des
Sollens findet sich nicht darin. Daß ich das, was ich bin, auch sein soll, das liegt
nicht in der Natur, sondern in dem Gesetz der sittlichen Person, und ich darf es
nicht etwa in ein unbekanntes Innere der Natur verlegen. Es gehört einem andern
Gebiete der Gesetzlichkeit an. Was Natur ist, haben wir ja als das Notwendig-
Seiende von dem Sein-sollenden abgeschieden; wir dürfen es nicht noch einmal
spalten (S. 156 bis 157). Weil die Natur keinen Zweck kennt, ist auch der Mensch
in der Natur kein Endzweck. Das Ich, das sich in der Persönlichkeit als Selbst¬
zweck fordert, ist nicht der Inhalt, durch den sich ein Individuum vom andern unter¬
scheidet; es ist vielmehr die Einheit, die allein individuellen Inhalt gemeinsam ist,
der Charakter, ein Ich zu sein (S. 167 bis 168). Allerdings entwickle ich mich
notwendig, insofern ich in der Zeit bin; aber die Bestimmung über meine Ent¬
wicklung ist kein Vorgang in der Zeit, sondern für die Zeit, sie selbst ist zeitlos.
Deswegen bin ich frei, weil meine Selbstbestimmung, die über meine Entwicklung
entscheidet, nicht in irgend einer Zeit diese Entscheidung festgestellt hat" <S. 182).
Laßwitz ahnt nicht, wie viel Dogmatismus auch noch in seinem Kritizismus steckt,
und wie er mit seiner zeitlosen Willensentscheidung in die bedenkliche Nachbarschaft
des Mystikers Dn Pret gerät, den er energisch bekämpft. Daß der Kritizismus
uicht allein die Ethik, sondern auch die Religion vor jedem Angriff der Natur¬
wissenschaften sicher stellt, ist von vornherein klar, und Laßwitz widmet diesem Gegen¬
stand eine sehr schöne Abhandlung, die den Theologen dringend empfohlen sein mag;
auch die Wunder läßt er zu. Andrerseits zeigt er, wie gefährlich es für die Re¬
ligion ist, wenn sie mit einer bestimmten Naturphilosophie verquickt wird; ganz in
seinem Element ist er in dem prächtigen Kapitel "Gerade und Krumm," aus dem
wir erfahren, daß Giordano Bruno verbrannt worden ist, weil sich Aristoteles zu
dem richtigen Begriff der Kreislinie, den später Archimedes erfaßt hat, nicht durch¬
zuringen vermochte. Im Schlußkapitel weist er darauf hin, wie der Technik und
der Industrie eine poetische Seite abgewonnen werden könnte. Bekanntlich hat er
das selbst in seinen phantasievollen Erzählungen aus zukünftige" Jahrhunderten mit
glücklichem Erfolg versucht.

In das Verständnis des Kantischen Apriorismus führt Dr. Adolf Wagner
recht geschickt ein mit dem dritten seiner kleinen und netten populärwissenschaftlichen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

gehört es auch, daß, wenn der Körper zu meinem menschlichen Leibe in eine ge¬
wisse räumliche Beziehung tritt, Veränderungen in diesem meinem Leibe auftreten
(S, 94 bis 95). Die Welt geht ihren Gang, aber ich schlafe oder sterbe und weiß
nichts davon. Die physische Einheit bleibt bestehn, die psychische nicht. Erkläre mir
diese Beziehung des individuellen Ich zur Natur! Und weiter, wenn sich mein
individuelles Bewußtsein in Abhängigkeit von der Natur befindet, wie soll ich es
verstehn, daß die kritische Auffassung nun dem persönlichen Bewußtsein doch einen
Rang über der Natur zugesteht? Innerhalb der Naturwissenschaft giebt es nicht
Persönlichkeiten, sondern mir Individuen. Der Naturforscher hat daher mit dieser
Frage gar nichts zu thun; erst insofern er die Frage aufwirft, wie sich die Natur¬
wissenschaft zur Ethik, Ästhetik und Religion zu stellen hat, tritt der Begriff der
Persönlichkeit auf (S. 123). Außer deu Gesetzen der Anschauung und des Verstandes
giebt es noch Gesetze, die sich weder sinnlich bestätigen noch mathematisch oder logisch
beweisen lassen. Diese Gesetze nennen wir Ideen. Eine Idee ist ein Gesetz, das
eine Bestimmung enthält, die niemals in Raum und Zeit wirklich vollzogen ist,
sondern nur als Forderung besteht. Solche Forderungen sind die Idee der Freiheit
und die Idee der Zweckmäßigkeit. Obwohl sich in der Natur weder Freiheit noch
Zweckmäßigkeit f?j nachweisen läßt, bestehn sie doch als Forderungen, als eine be¬
stimmte Form, wie etwas sein soll. Das, was sein soll, gehört nicht zur Natur,
sondern erst sein Werden. Der ganze Komplex des sittlich handelnde» Individuums
findet sich als eine Thatsache in der Natur, nur die ursprüngliche Bestimmung des
Sollens findet sich nicht darin. Daß ich das, was ich bin, auch sein soll, das liegt
nicht in der Natur, sondern in dem Gesetz der sittlichen Person, und ich darf es
nicht etwa in ein unbekanntes Innere der Natur verlegen. Es gehört einem andern
Gebiete der Gesetzlichkeit an. Was Natur ist, haben wir ja als das Notwendig-
Seiende von dem Sein-sollenden abgeschieden; wir dürfen es nicht noch einmal
spalten (S. 156 bis 157). Weil die Natur keinen Zweck kennt, ist auch der Mensch
in der Natur kein Endzweck. Das Ich, das sich in der Persönlichkeit als Selbst¬
zweck fordert, ist nicht der Inhalt, durch den sich ein Individuum vom andern unter¬
scheidet; es ist vielmehr die Einheit, die allein individuellen Inhalt gemeinsam ist,
der Charakter, ein Ich zu sein (S. 167 bis 168). Allerdings entwickle ich mich
notwendig, insofern ich in der Zeit bin; aber die Bestimmung über meine Ent¬
wicklung ist kein Vorgang in der Zeit, sondern für die Zeit, sie selbst ist zeitlos.
Deswegen bin ich frei, weil meine Selbstbestimmung, die über meine Entwicklung
entscheidet, nicht in irgend einer Zeit diese Entscheidung festgestellt hat" <S. 182).
Laßwitz ahnt nicht, wie viel Dogmatismus auch noch in seinem Kritizismus steckt,
und wie er mit seiner zeitlosen Willensentscheidung in die bedenkliche Nachbarschaft
des Mystikers Dn Pret gerät, den er energisch bekämpft. Daß der Kritizismus
uicht allein die Ethik, sondern auch die Religion vor jedem Angriff der Natur¬
wissenschaften sicher stellt, ist von vornherein klar, und Laßwitz widmet diesem Gegen¬
stand eine sehr schöne Abhandlung, die den Theologen dringend empfohlen sein mag;
auch die Wunder läßt er zu. Andrerseits zeigt er, wie gefährlich es für die Re¬
ligion ist, wenn sie mit einer bestimmten Naturphilosophie verquickt wird; ganz in
seinem Element ist er in dem prächtigen Kapitel „Gerade und Krumm," aus dem
wir erfahren, daß Giordano Bruno verbrannt worden ist, weil sich Aristoteles zu
dem richtigen Begriff der Kreislinie, den später Archimedes erfaßt hat, nicht durch¬
zuringen vermochte. Im Schlußkapitel weist er darauf hin, wie der Technik und
der Industrie eine poetische Seite abgewonnen werden könnte. Bekanntlich hat er
das selbst in seinen phantasievollen Erzählungen aus zukünftige» Jahrhunderten mit
glücklichem Erfolg versucht.

In das Verständnis des Kantischen Apriorismus führt Dr. Adolf Wagner
recht geschickt ein mit dem dritten seiner kleinen und netten populärwissenschaftlichen


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[0439] Maßgebliches und Unmaßgebliches gehört es auch, daß, wenn der Körper zu meinem menschlichen Leibe in eine ge¬ wisse räumliche Beziehung tritt, Veränderungen in diesem meinem Leibe auftreten (S, 94 bis 95). Die Welt geht ihren Gang, aber ich schlafe oder sterbe und weiß nichts davon. Die physische Einheit bleibt bestehn, die psychische nicht. Erkläre mir diese Beziehung des individuellen Ich zur Natur! Und weiter, wenn sich mein individuelles Bewußtsein in Abhängigkeit von der Natur befindet, wie soll ich es verstehn, daß die kritische Auffassung nun dem persönlichen Bewußtsein doch einen Rang über der Natur zugesteht? Innerhalb der Naturwissenschaft giebt es nicht Persönlichkeiten, sondern mir Individuen. Der Naturforscher hat daher mit dieser Frage gar nichts zu thun; erst insofern er die Frage aufwirft, wie sich die Natur¬ wissenschaft zur Ethik, Ästhetik und Religion zu stellen hat, tritt der Begriff der Persönlichkeit auf (S. 123). Außer deu Gesetzen der Anschauung und des Verstandes giebt es noch Gesetze, die sich weder sinnlich bestätigen noch mathematisch oder logisch beweisen lassen. Diese Gesetze nennen wir Ideen. Eine Idee ist ein Gesetz, das eine Bestimmung enthält, die niemals in Raum und Zeit wirklich vollzogen ist, sondern nur als Forderung besteht. Solche Forderungen sind die Idee der Freiheit und die Idee der Zweckmäßigkeit. Obwohl sich in der Natur weder Freiheit noch Zweckmäßigkeit f?j nachweisen läßt, bestehn sie doch als Forderungen, als eine be¬ stimmte Form, wie etwas sein soll. Das, was sein soll, gehört nicht zur Natur, sondern erst sein Werden. Der ganze Komplex des sittlich handelnde» Individuums findet sich als eine Thatsache in der Natur, nur die ursprüngliche Bestimmung des Sollens findet sich nicht darin. Daß ich das, was ich bin, auch sein soll, das liegt nicht in der Natur, sondern in dem Gesetz der sittlichen Person, und ich darf es nicht etwa in ein unbekanntes Innere der Natur verlegen. Es gehört einem andern Gebiete der Gesetzlichkeit an. Was Natur ist, haben wir ja als das Notwendig- Seiende von dem Sein-sollenden abgeschieden; wir dürfen es nicht noch einmal spalten (S. 156 bis 157). Weil die Natur keinen Zweck kennt, ist auch der Mensch in der Natur kein Endzweck. Das Ich, das sich in der Persönlichkeit als Selbst¬ zweck fordert, ist nicht der Inhalt, durch den sich ein Individuum vom andern unter¬ scheidet; es ist vielmehr die Einheit, die allein individuellen Inhalt gemeinsam ist, der Charakter, ein Ich zu sein (S. 167 bis 168). Allerdings entwickle ich mich notwendig, insofern ich in der Zeit bin; aber die Bestimmung über meine Ent¬ wicklung ist kein Vorgang in der Zeit, sondern für die Zeit, sie selbst ist zeitlos. Deswegen bin ich frei, weil meine Selbstbestimmung, die über meine Entwicklung entscheidet, nicht in irgend einer Zeit diese Entscheidung festgestellt hat" <S. 182). Laßwitz ahnt nicht, wie viel Dogmatismus auch noch in seinem Kritizismus steckt, und wie er mit seiner zeitlosen Willensentscheidung in die bedenkliche Nachbarschaft des Mystikers Dn Pret gerät, den er energisch bekämpft. Daß der Kritizismus uicht allein die Ethik, sondern auch die Religion vor jedem Angriff der Natur¬ wissenschaften sicher stellt, ist von vornherein klar, und Laßwitz widmet diesem Gegen¬ stand eine sehr schöne Abhandlung, die den Theologen dringend empfohlen sein mag; auch die Wunder läßt er zu. Andrerseits zeigt er, wie gefährlich es für die Re¬ ligion ist, wenn sie mit einer bestimmten Naturphilosophie verquickt wird; ganz in seinem Element ist er in dem prächtigen Kapitel „Gerade und Krumm," aus dem wir erfahren, daß Giordano Bruno verbrannt worden ist, weil sich Aristoteles zu dem richtigen Begriff der Kreislinie, den später Archimedes erfaßt hat, nicht durch¬ zuringen vermochte. Im Schlußkapitel weist er darauf hin, wie der Technik und der Industrie eine poetische Seite abgewonnen werden könnte. Bekanntlich hat er das selbst in seinen phantasievollen Erzählungen aus zukünftige» Jahrhunderten mit glücklichem Erfolg versucht. In das Verständnis des Kantischen Apriorismus führt Dr. Adolf Wagner recht geschickt ein mit dem dritten seiner kleinen und netten populärwissenschaftlichen

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/439>, abgerufen am 01.07.2024.